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Niederlande weiten Hochwasserschutz auf Flüsse aus

1953 fanden in den Niederlanden fast 2000 Menschen nach einer Meeresflut den Tod. Das Land baute daraufhin die größten Stau- und Dammkonstruktionen der Welt. Doch auch Flüsse im Inland können gefährlich werden - ein Hochwasserschutzprogramm soll die Anwohner schützen.

Von Kerstin Schweighöfer |
    ""Schauen Sie, da liegt unser Terp! Da oben werden wir bald wohnen, nur 400 oder 500 Meter von unserem alten Wohnhaus entfernt!”"

    Bauer Nol Hooimaaijers steht auf der Blumenwiese vor seinem kleinen Backsteinwohnhaus und weist voller Stolz auf einen Erdhügel, der sich sieben Meter hoch aus der flachen Polderlandschaft erhebt: Es geht um einen sogenannten Terp, einen künstlich aufgeschütteten Hügel aus Sand- und Erdlagen. Er sieht aus wie eine Art Mini-Tafelberg. Dort oben will Bauer Hooimaaijers sich und seine Familie samt den 75 Milchkühen und dem Jungvieh im wahrsten Sinne des Wortes ins Trockene bringen. Auch seine Nachbarn bekommen ihren eigenen Terp. Insgesamt acht sollen gebaut werden.

    Der erste Bauer wird schon in wenigen Wochen umziehen, im Juli oder August, weiß Hooimaaijers. Selbst muss er noch bis Dezember warten. "Mein nächster Weihnachtsbaum”, kündigt der 62-Jährige lachend an, "der steht da oben".
    Die Hooimaaijers leben im Overdiepse Polder, einem Flussauengebiet zwischen Dordrecht und Herzogenbosch, das vor 40 Jahren trockengelegt wurde. Nun jedoch wurde dieser Polder wurde zum 'calamiteitenpolder' erklärt, zum Katastrophenpolder: Das heißt, bei drohendem Hochwasser kann er geflutet werden, um überschüssige Wassermassen abzuführen. Die acht Terpen im Overdiepse-Polder werden dann zu kleinen Inseln, durch Brücken mit dem Festland verbunden.

    Auf diese Weise sollen die dicht besiedelten und wirtschaftlich wichtigeren Gebiete weiter flussabwärts bei Dordrecht vor Überflutungen geschützt werden, erklärt Ingwer de Boer, der Direktor des nationalen Hochwasserschutzprogramms "Ruimte voor de Rivier”, zu Deutsch: ”Raum für den Fluss”.

    ""Wir gehen davon aus, dass der Polder einmal in 50 Jahren geflutet werden muss. Dadurch entsteht den Bauern zwar Schaden auf ihren Äckern und Feldern, aber der wird zu 100 Prozent vom Staat kompensiert. Rund zwei Millionen Menschen weiter flussabwärts sind durch diese Flutung vor dem Hochwasser sicher. Das gilt auch für die Häuser und Ställe der Bauern, die brauchen auf ihren Terpen dann ebenfalls keine Hochwasserschäden mehr zu fürchten.”"

    Die Terpen im Overdiepse Polder sind eine von insgesamt 30 Maßnahmen, mit denen die Niederländer ihren Flüssen mehr Spielraum geben wollen. Denn mit dem Verstärken und Verbreiten von Deichen allein ist es nicht mehr getan, stellt Direktor de Boer klar:

    ""Wir können die Deiche zwar immer höher und breiter machen, aber wenn dann etwas passiert, steht in den Häusern nicht mehr nur der erste Stock, sondern auch der zweite unter Wasser – wobei viele Häuser keinen zweiten Stock haben. Da ist es viel sicherer, dem Fluss mehr Raum zu geben.”"

    So zum Beispiel erhalten die Flüsse an vielen Stellen Nebenrinnen. Deiche werden zurückversetzt, Flussauen verbreitet, Flussbetten vertieft. Die Ijssel bekommt an einer ihrer Flussschleifen einen sogenannten Bypass, der dafür sorgt, dass große Wassermassen schnell abfließen können.

    Dass es fast 20 Jahre dauerte, um Maßnahmen wie diese zu realisieren, kommt nicht von ungefähr. An fast allen Orten mussten die Behörden erst sehr viel Überzeugungsarbeit leisten. Denn durch das Zurückversetzen von Deichen oder das Verbreiten der Flussauen verlieren viele Bürger Heim und Hof und müssen umziehen. Auch im Overdiepse Polder wohnten einst 17 Bauern mit ihren Familien. Nur acht von ihnen, so erfuhren sie eines Tages auf einem Informationsabend, würden bleiben und auf Terpen umziehen können. "Natürlich waren wir schockiert!”, erinnert sich Bauer Hooimaaijers:

    ""Sie hatten unseren Polder auf den Karten ja bereits blau eingefärbt! Da brach wirklich Panik aus! Aber nach einigen Tagen hatten wir uns beruhigt. Schließlich boten die Pläne ja auch eine Chance! Immerhin konnten wir unsere alten Höfe für gutes Geld verkaufen und neu anfangen - mit neuen Ställen, Scheunen, Häusern. Mit einem neuen Hof!”"

    Sechs Bauern beschlossen letztendlich, sich in Ländern wie Kanada eine neue Existenz aufzubauen, ein weiteres Drittel hörte aus Altersgründen ganz auf - und acht Bauern blieben, um so wie Nol Hooimaaiers mit seinem Sohn auf dem Terp neu anzufangen.

    Mehr zum Thema:

    Kalenderblatt vom 10. April 2011: Das achte Weltwunder der Holländer - Vor 25 Jahren wurde das damals größte bewegliche Sturmflutwehr der Welt eröffnet