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Niederlande will Abtreibungen erschweren

Zusammen mit Deutschland und Belgien gehören die Niederlande zu den Ländern mit den niedrigsten Abtreibungsraten in der Welt. Rund 30.000 Schwangerschaften werden pro Jahr abgebrochen. Dennoch plant die Regierung in Den Haag, das Abtreibungsrecht zu verschärfen. Kerstin Schweighöfer berichtet.

    Die Arzthelferinnen in der Haager Abtreibungsklinik Casa kennen während ihrer Teepause nur ein Gesprächsthema: Die Pläne des neuen konservativen Kabinetts, Frauen eine Abtreibung zu erschweren.

    Die 50-jährige Saskia ter Burg arbeitet seit sechs Jahren hier. Böse ist sie, richtig böse. Aufgebracht deutet sie auf eines der Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden mit einer Gruppe demonstrierender Frauen aus den 60er Jahren:

    ""Für was haben wir denn damals gekämpft?","

    schimpft sie.

    ""Soll etwa alles wieder so werden wie vor 40 Jahren?"

    Jammerschade wäre das, pflichtet ihr Kollegin Jeanine bei.

    "Bei uns war alles gut geregelt","

    klagt sie.

    ""Jetzt sollen Frauen wieder bevormundet werden!"

    Verantwortlich dafür ist die strenggläubige Christenunie, der kleinste der drei Koalitionspartner. Sie konnte sich mit den Christ- und Sozialdemokraten auf vier Kompromisse einigen: Erstens müssen Ärzte fortan die Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch registrieren. So soll festgestellt werden, in welchen Notsituationen sich die Frauen genau befunden haben. Zweitens werden die Kriterien für die Bedenkzeit verschärft: In den ersten beiden Wochen nach dem Ausbleiben der Menstruation konnten Frauen bislang die Schwangerschaft sofort und ohne Warten abbrechen; jetzt soll auch für diesen Zeitraum eine Bedenkzeit eingeführt werden. Drittens will das neue Kabinett mehr Alternativen bieten, zum Beispiel Adoption. Insbesondere Minderjährigen soll es leichter gemacht werden, in speziellen Schwangerschaftszentren ihr Kind doch auszutragen. Auch soll geprüft werden, ob Schwangerschaftsabbrüche bei den Frauen zu psychologischen Spätschäden führen. Das Bekanntwerden dieser Pläne sorgte im ganzen Land für Schlagzeilen, auch bei der niederländischen "Tagesschau".

    Am liebsten hätte die Christenunie Abtreibung ganz verboten. Die Mitglieder der Stiftung "Schrei um Leben" - einer ihrer treusten Anhänger - hatten dafür während der fünfwöchigen Koalitionsverhandlungen sogar jeden Tag gebetet. Mit den erzielten Kompromissen können sie dennoch leben:

    "Das sind erste Schritte hin zu einem Verbot","

    freut sich Stiftungsvorsitzender Bert Dorenbos: Nach 20 Jahren sei endlich etwas in Bewegung gekommen.

    Viele Frauen und Ärzte hingegen sind beunruhigt. Sie halten die Änderungen für unnötig. Erst vor einem Jahr hatte eine Evaluierungskommission der Regierung bescheinigt, dass das Abtreibungsgesetz in seiner jetzigen Form völlig ausreiche; nur in wenigen Ausnahmefällen hätten sich Ärzte nicht an die Regeln gehalten. Die Kommission plädierte deshalb sogar auf die Abschaffung der gesetzlichen Bedenkzeit von fünf Tagen: Das könne fortan besser individuell zwischen Arzt und Patientin geregelt werden. Jetzt tritt das Gegenteil ein.

    ""Unsere neue Regierung weckt den Eindruck, dass unser System der Verbesserung bedarf","

    schimpft Abtreibungsarzt Florian Willems von der Casa-Klinik in Den Haag. Dieser Kniefall der Sozialdemokraten vor der Christenunie sei überflüssig gewesen.

    Immerhin gehörten die Niederlande zusammen mit Deutschland und Belgien zu den Ländern mit der niedrigsten Abtreibungsrate der Welt. Insgesamt werden jedes Jahr 30.000 Abbrüche durchgeführt.

    ""Auf diese Zahlen können wir stolz sein!"

    sagt Willems.

    So wie viele seiner Kollegen ist auch er davon überzeugt, dass sich die neuen Regeln nicht in die Praxis umsetzen lassen. Kein Arzt sei dazu bereit, Frauen ins Gewissen zu reden und die Gründe für einen Abbruch zu registrieren. Nach psychischen Spätschäden seien Abtreibungsgegner schon seit Jahrzehnten auf der Suche, ohne fündig zu werden. Und Adoption hält er in den wenigsten Fällen für eine Alternative: Junge Mädchen im Alter von 13 oder 14 Jahren ließen sich nicht dazu bringen, ein Kind auszutragen. Sie würden andere Wege finden. Die Zahl der Adoptivkinder jedenfalls werde dadurch nicht steigen. Wer sich das ausgedacht habe, sei völlig weltfremd.

    Willems hofft trotz allem, dass nicht der Rückwärtsgang eingelegt werden muss, dass sich die geplanten Änderungen nicht als Zeichen an der Wand, sondern als viel Lärm um nichts entpuppen - zur Besänftigung der kalvinistischen Wähler. Er erinnert an ein holländisches Sprichwort:

    "Die Suppe wird nie so heiß gegessen, wie sie serviert wird."