
Mit dem Traktor zur Blockade: Für die Anti-Atom-Veteranin Monika Tietke aus dem Wendland war ihr Arbeitsgerät stets ein legitimes Mittel im Widerstand gegen Endlagerung und Castor-Transporte. Als Verfassungsfeind versteht sich die Bäuerin keineswegs. Ins Visier des niedersächsischen Verfassungsschutzes gerieten die Aktivisten gleichwohl. Offenbar wurden auch allerhand personenbezogene Informationen in einem Register gespeichert.
"Wir sind immer mit unseren Treckern dann losgefahren, um eben zu symbolisieren: wir sind hier nicht irgendwelche zugereisten Demonstranten oder der Schwarze Block aus Berlin, sondern das ist hier die heimische Bevölkerung, die auch für diesen Widerstand steht. Das waren schon ganz massive Drohungen, die da ausgesprochen wurden. Und da hat dieses Obrigkeitsgefühl doch massive Knicke gekriegt!"
Es ist so eine liebe Not mit der Obrigkeit: In einer Regierungserklärung im Landtag bewertet Innenminister Boris Pistorius (SPD) den Bericht einer Arbeitsgruppe, die mehr als 9.000 personenbezogene Dateispeicherungen beim Verfassungsschutz überprüft hat. Die Task Force empfiehlt, jede fünfte Speicherung sofort zu löschen. Denn entweder hätten die Datensätze niemals angelegt werden dürfen, weil es schon für ihre Erfassung keine Grundlage gab. Oder sie wurden länger als zulässig gespeichert. Manche Speicherungen betreffen Minderjährige. Diese dürfen aber nur dann ins Visier der Geheimen rücken, wenn es einen "konkreten, individuell zurechenbaren Gewaltbezug" gibt. Immer wieder seien unbescholtene Niedersachsen als Verfassungsfeinde eingestuft, bürgerlicher Protest, etwa gegen die Aufmärsche von Neonazis, sei als linksextremistisch gewertet worden. Kein Versehen einzelner Mitarbeiter, betont Pistorius: Er beklagt den Fehler im System:
"So wurde ein Landwirt, der ausschließlich im Rahmen von Blockadeaktionen, insbesondere mittels Traktoren im Rahmen der Anti-Castor-Transporte auffällig geworden war, gespeichert. Das mag ohne Frage ein Fall für die Polizei sein. Linksextremistisch, meine Damen und Herren, ist das aber auf keinen Fall! Ein anderes Beispiel aus diesem Phänomenbereich: Im Jahr 2012 wurde eine Studentin als Verdachtsfall gespeichert, nur weil sie in einem von der Polizei als solches bewerteten Szeneobjekt wohnte. Das war alles!"
CDU sieht keinen Skandal
Mit direkten Schuldzuweisungen an die schwarz-gelbe Vorgängerregierung hält sich der Minister zurück. In den kommenden Wochen wird nämlich über die Neuaufstellung der Behörde zu sprechen sein. Der Dienst soll sich einer größeren demokratischen Kontrolle unterwerfen, es soll strengere Regeln für den Einsatz von Informanten und für den Datenschutz geben. Transparenz und Berechenbarkeit statt blinder Sammelwut: Höchste Zeit, die angestrebten Reformen umzusetzen, meint auch die Opposition. Doch Jens Nacke, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion, bläst noch einmal zur Attacke, dreht den Spieß um, verleugnet jeglichen Skandal um die Speicherpraxis und wirft seinerseits Rot-Grün vor, den Dienst unter neuer Leitung politisch zu instrumentalisieren:
"Die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes sind zutiefst verunsichert. Sie fühlen sich verfolgt und stigmatisiert von Ihnen!"
Wer regelmäßig das Freitagsgebet in einer vom Verfassungsschutz beobachteten Moschee besuchte, galt den Geheimen schnell als Islamist. Nacke wehrt sich gegen die Kritik an diesem Raster - und warnt vor umfangreichen Löschaktionen.
"Ist es denn falsch, wenn der Verfassungsschutz hinschaut, was für Menschen in die Fänge religiöser Hassprediger geraten? In einem Zeitpunkt, wo die Entwicklung im Bereich des Salafismus höchste Sorge bereiten muss? Wo hier Jungen und Mädchen radikalisiert werden, um dann Richtung Syrien zu verschwinden und dort zu kämpfen, Menschen zu töten und Menschen abzuschlachten, weil sie einen anderen Glauben haben?"
Carlo Bleichert, Kommunalpolitiker von der Partei Die Linke, erfuhr im Herbst, dass der Verfassungsschutz ohne Grundlage über ihn Daten führte. Das Innenministerium schrieb ihm einen Brief. Bleichert fordert zumindest, dass die Betroffenen vor dem Löschen ihrer Daten informiert werden.
"Im ersten Augenblick habe ich gedacht: Ich bin im falschen Film. Man weiß ja nicht, ob die Telefone abgehört worden sind oder nicht. Ich habe nur dieses Schreiben gekriegt - und das war es. Ich habe auch bis heute keine Entschuldigung vom jetzigen niedersächsischen Innenminister bekommen für das Verhalten dieser Landesbehörde."