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Niedersächsische Hochschulpolitik
Der Studienabbrecher, das unbekannte Wesen

Die Zahl der Studierenden in Deutschland ist mit rund 2,6 Millionen so hoch wie nie. Doch auch die Abbrecherquoten steigen. Bei den Ingenieurswissenschaften, Mathematik und Informatik kommt oft nur die Hälfte der Studenten ans Ziel. Jetzt will Niedersachsen herausfinden, woran das liegt.

Von Kathrin Riggert | 05.08.2014
    Studenten sitzen am Campus Koblenz der Universität Koblenz-Landau im großen Hörsaal.
    Studenten in einem Hörsaal: Immer mehr brechen ihr Studium ab, vor allem bei den naturwissenschaftlichen Fächern. (dpa / picture alliance / Thomas Frey)
    Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajic geht davon aus, dass in Niedersachsen pro Jahr rund 10.000 Studierende die Hochschule ohne Abschluss verlassen.
    "Das ist weder volkswirtschaftlich sinnvoll, wir haben einen hohen Fachkräftemangel, noch im Interesse der einzelnen Studierenden, die ja auch ein großes Interesse haben, wenn sie schon an eine Uni oder Hochschule gehen, auch das Studium zu Ende zu bringen."
    Ziel: Zahl der Studienabbrecher verringern
    Um die Zahl der Abbrecher zu verringern, nimmt Niedersachsen auch mehr Geld in die Hand: Für eine bessere Betreuung und Beratung der Studierenden an Fachhochschulen stellt das Land in den kommenden drei Jahren 20 Millionen Euro zur Verfügung. Darüber hinaus setzt Wissenschaftsministerin Heinen-Kljajic darauf, dass nach der Abschaffung der Studiengebühren weniger Studenten aufgrund finanzieller Probleme die Hochschulen ohne Abschluss verlassen. Der Wegfall der Gebühren wird vom Land mit 120 Millionen Euro jährlich ausgeglichen. Geld, mit dem die Hochschulen verpflichtend die Qualität der Lehre verbessern sollen.
    Wie alle anderen Bundesländer steht auch Niedersachsen vor dem Problem, dass es aus Datenschutzgründen keine Statistiken über Studienverläufe gibt. Sprich: Es weiß niemand so genau, an welchen Studiengängen, an welchen Hochschulen besonders viele beziehungsweise wenig Studenten aufgeben. Das will die niedersächsische Wissenschaftsministerin Heinen-Kljajic ändern.
    "Wir wollen versuchen, durch eine Abfrage, wie viele Studierende sind im ersten Semester und wie viele sind dann noch im fünften Fachsemester einen groben Richtwert zu ermitteln, der uns Auskunft darüber gibt, ob in einzelnen Studiengängen die Abbrecherqouten auffällig sind oder nicht."
    Diese Daten werden allerdings kaum etwas über die Gründe aussagen, warum jemand das Studium abbricht. Über die Ursachen wisse man noch viel zu wenig, sagt die Präsidentin der Ostfalia-Hochschule Braunschweig/Wolfenbüttel Rosemarie Kerger:
    "Es ist ja nicht so, dass jeder Studienabbrecher zu ihnen kommt und sagt, ich breche jetzt ab aus dem und dem Grund. Sie erwischen die ja meistens gar nicht, das ist ja so, wenn die irgendwann scheitern, sind die jungen Menschen weg."
    Lehre soll besser an Bedürfnisse der Studierenden angepasst werden
    Allerdings müssen sie sich offiziell abmelden. Niedersachsen will versuchen, mit einer freiwilligen Befragung der Studenten bei der Exmatrikulation mehr über die Gründe von Studienabbrüchen zu erfahren. Dass dabei viel Neues zutage kommt, wird von Experten allerdings bezweifelt. Aus bundesweiten Befragungen ist bereits bekannt, dass viele Studierende vor allem vom Leistungsanspruch überfordert sind, andere geben finanzielle Probleme oder mangelnde Motivation für den Abbruch an. Gründe, die auch Daniel Eckmann in der Psycholgisch-Therapeutischen Beratungsstelle der Universität Hannover immer wieder zu hören bekommt:
    "Ich komme von der Schule, bin eigentlich in der Schule gut gewesen, merke an der Uni, das ist Arbeit, nicht nur ein bisschen Arbeit, wo ich dann doch ganz locker wieder durchkomme, sondern da muss ich mich durchbeißen. Auch der Umgang mit der Frustration, also sich selber als jemand zu erleben, der nicht zu den Top-Leuten gehört. Aber die besten 10 Prozent können auch nur die besten 10 Prozent sein, 90 Prozent sind es automatisch nicht. Es kann sein, dass man das erst mal verkraften muss."
    Gründe zum Studienabbruch sehr unterschiedlich
    Zunächst lässt die Wissenschaftsministerin nun bis zum kommenden Herbst bereits bestehende, erfolgreiche Lern- und Lehr-Ansätze von Mentorenprogrammen über Beratungsangebote bis hin zu Nachhilfekursen an den Hochschulen evaluieren. Das hält auch Psychologe Eckmann von der Beratungsstelle der Leibnizuniversität Hannover für sinnvoll:
    "Keine einzelne Maßnahme, keine einzelne Intervention wird so wahnsinnig viel bringen. Weil die Gründe so unterschiedlich sind, wird es auch einen Haufen Maßnahmen geben. Eines ist aber auch klar, dass wir ganz ohne Studienabbrecher dastehen, das ist nicht zu erwarten."
    Studierende, die trotz aller Bemühungen die Universität ohne Abschluss verlassen, will Niedersachsen gemeinsam mit Industrie und Handwerk eine Ausbildung anbieten, bei der bereits erbrachte Studienleistungen anerkannt werden.