Kate Maleike: Die Lernforschung ist heute unser Thema. Nach dem Abschneiden bei den PISA-Studien fragt man sich natürlich, woran die Wissenschaftler im Moment forschen, welche Verbesserungsvorschläge sie möglicherweise für das Lernen in der Schule oder auch für die Erwachsenenfortbildung erarbeiten können? Am Telefon ist eine der bekanntesten Bildungsforscherinnen in Deutschland, sie ist Professorin am Max-Planck-Institut in Berlin: Elsbeth Stern. Frau Stern, würden Sie sagen, dass PISA und auch andere Leistungsvergleichsstudien die Lernforschung in Deutschland verbessert und angekurbelt haben?
Elsbeth Stern: Ja, das kann man schon rein quantitativ sagen. Es gibt von der deutschen Forschungsgemeinschaft, aber auch vom Bundesministerium seitdem viele Forschungsprogramme, die finanziert werden, wo es einerseits darum geht, noch mal die Bestandsaufnahme zu präzisieren, wo es aber auch vor allen Dingen darum geht, Verbesserungen oder Veränderungen im Bildungssystem zu evaluieren beziehungsweise neue Ideen zu entwickeln und sie auszuprobieren.
Maleike: Das heißt also, die Lernforscher tauschen sich aus?
Stern: Das auf jeden Fall. Wichtig ist hier aber auch nicht nur der Austausch zwischen den Lernforschern, sondern auch zwischen Wissenschaft und Praxis und auch zwischen Wissenschaft und Politik. Ich glaube, da hat sich in den letzten Jahren doch sehr vieles zum Positiven geändert: Politiker sind sehr interessiert an den Ergebnissen der Bildungsforschung. Sie bilden sich nicht nur Meinungen oder verbreiten Meinungen, sondern möchten auch lernen, ob die wissenschaftlich abgedeckt sind. Ob die Umsetzung in der Politik, ob die dann immer vereinbar ist mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen, das ist natürlich noch wieder eine andere Frage.
Maleike: Sie wissen, dass durch die anstehende Föderalismusreform vermutlich ein viel größerer Akzent in den Ländern liegen wird. Glauben Sie, dass durch den Wettbewerb, der dann jetzt zwischen den einzelnen Bundesländern entstehen wird, die Bildungsforscher stärker gefragt sein werden?
Stern: Ja, also ich möchte jetzt gar nicht darüber reden, ob das gut ist oder nicht, dass bei uns Bildung Ländersache ist. Klar ist: Bildung sollte nicht zentralistisch gesteuert sein, weil man die Vielfalt der Ideen auch haben sollte und niemand hat das Patenrezept für die gute Bildung. Ob es jetzt die Länder sein müssen, die hier die Unterschiede reinbringen und neue Ideen entwickeln, ist eine ganz andere Frage. Auf jeden Fall ist Vielfalt hier angesagt und durchaus zu begrüßen. Vielfalt heißt aber auch, man kann nur aus positiven oder nicht gelungenen Beispielen lernen, wenn man sich austauscht. Im Moment sind alle daran interessiert, gute Beispiele für Schule in unterschiedlichen Altersgruppen zu finden, und der Wunsch nach Austausch wird da sein.
Maleike: Sie haben vorhin den Austausch auch zur Praxis angesprochen, mal unabhängig von der Politik. Läuft das gut? Ist die Praxis auch inspiriert durch das, was in der Lernforschung passiert?
Stern: Wie immer kann alles noch besser sein, aber das Interesse von Seiten der Lehrerinnen und Lehrer auf ganz unterschiedlichen Altersgebieten an der Wissenschaft ist riesig. Fortbildungsveranstaltungen stoßen auf große Nachfrage. Es ist vor allen Dingen auch der Wunsch nach nachhaltiger Fortbildung da. Auch hier gibt es noch viele Möglichkeiten zur Verbesserung. Aber ich kann nur für die Bereiche, wo ich mich gut auskenne, sprechen. Da geht es zum Beispiel um die Frage Sachunterricht in der Grundschule, Physik schon in die Grundschule zu bringen. Da weiß ich, dass die Fortbildungsveranstaltungen meiner Kollegin Cornelia Möller aus Münster, die werden in so starkem Maße nachgefragt, dass sie auch nicht nur ansatzweise alle bedienen kann.
Also ich würde schon sagen, dass es eine große Nachfrage gibt und dass es auch nicht mehr einfach nur so einseitig ist, dass die Lehrer meinen, sie müssen einen Nachmittag zu einer Fortbildungsveranstaltung gehen und hätten damit ihr Soll erfüllt, sondern die Ansprüche der Lehrer an Fortbildung haben sich auch geändert, was gut ist. Sie wissen, dass man sein Verhalten nicht von einem Tag auf den anderen ändern kann, sondern dass man wirklich auch längerfristig Unterstützung haben muss, wenn man eben den Unterricht so verbessern möchte, dass es im Sinne der Wissenschaft auch vertretbar ist. Wir haben natürlich sehr viel mehr Lehrer, als wir Wissenschaftler haben. Von daher ist jetzt nicht so, dass alle Lehrer in gleichem Maße mit der Wissenschaft vernetzt sind.
Maleike: Wie könnte das denn praktisch aussehen?
Stern: Das könnte auch so aussehen, dass es einfach mehr Zwischenglieder noch zwischen Wissenschaft und Praxis gibt. Hier müssen wir einfach noch stärker eine Zwischenebene etablieren von so genannten Multiplikatoren. Aber auch da, denke ich, hat sich schon vieles getan in den letzten Jahren.
Maleike: Also würden Sie sich vorstellen, dass zum Beispiel so ein Multiplikator an jeder Schule ist?
Stern: Es sollte auch jeden Fall sichergestellt sein, dass aus jeder Schule eine Person relativ eng mit der Wissenschaft vernetzt ist, so dass sie vielleicht persönlich einen Wissenschaftler kennt, den man fragen könnte, wenn es Probleme gibt, oder jemand, der zumindest nah an der Wissenschaft ist. Das wäre sicherlich ein Ziel, dass man anstreben könnte.
Maleike: Wie schätzen Sie denn das internationale Renommee der Lernforschung in Deutschland im Moment ein? Sie sind ja auch viel auf Tagungen, auf Konferenzen. Tauschen wir uns genug auch aus, zum Beispiel mit Finnland?
Stern: Ja, sagen wir mal so: Wie in vielen anderen Wissenschaftsbereichen auch, hatte sich Deutschland so ein bisschen auch abgekoppelt. Andere europäische Wissenschaftler im Bereich der Lernforschung, für die ist es seit Jahrzehnten selbstverständlich, dass sie in internationalen Zeitschriften publizieren müssen, dass sie so Ergebnisse produzieren müssen, die eben auch international Beachtung finden. In Deutschland war das lange Zeit nicht der Fall, da konnten tatsächlich Menschen Professuren kriegen - das ist leider immer noch so -, die keine einzige internationale Zeitschriftenpublikation haben. Das wäre undenkbar in allen anderen Ländern. Also von daher hinken wir, wie in vielen anderen Bereichen auch da hinterher. Ich hoffe, dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird.
Maleike: Hat die Lernforschung de facto auch aus PISA und Co. gelernt?
Stern: Ja, sagen wir mal so, es wurde sehr viel Geld investiert, aber es kann auch nach hinten losgehen, wenn eben ja plötzlich Leute große Forschungsprojekte kriegen und das war auch in den letzten Jahren schon der Fall in Deutschland, die eigentlich international nicht die Reputation haben, die man erwarten kann für einen Wissenschaftler. Also hier gibt es ganz klar Defizite, wobei ich durchaus eben auch denke, das müssen ja nicht Menschen sein, die unbedingt schlechte Forschung machen, also wenn man die Wissenschaftler anhält, jetzt zukünftig mehr so zu publizieren, wie es eigentlich in der Wissenschaft üblich ist, dann, glaube ich, können wir da auch gut aufholen.
Maleike: Allerletzte Frage: Glauben Sie, dass wir bei der nächsten PISA-Studie ein bisschen besser dastehen werden?
Stern: Was heißt besser? Es ist schwer zu sagen, weil natürlich alle Länder im Moment große Anstrengungen unternehmen. Möglicherweise im internationalen Ranking würde man Verbesserungen auch gar nicht sehen. Deshalb müssen wir auch dazu kommen, dass wir nicht einfach nur schauen, welchen Rangplatz wir in der Welt einnehmen, sondern auch unabhängig davon einfach uns bestimmte Aufgaben, Gruppen anschauen, und vielleicht dann sehen: Auch wenn der Rangplatz sich nicht geändert hat, weil das Niveau insgesamt gestiegen ist, können bestimmte Anforderungen jetzt von mehr Schülern bewältigt werden, als das noch vor vier Jahren der Fall war. Wenn wir solche Ergebnisse zeigen könnten, dann wäre das auch schon ein Erfolg. Und damit rechne ich auf jeden Fall, denn die Lernbereitschaft gerade aller Lehrenden und aller an der Verbesserung des Bildungssystems beteiligten Personen ist schon sehr groß.
Elsbeth Stern: Ja, das kann man schon rein quantitativ sagen. Es gibt von der deutschen Forschungsgemeinschaft, aber auch vom Bundesministerium seitdem viele Forschungsprogramme, die finanziert werden, wo es einerseits darum geht, noch mal die Bestandsaufnahme zu präzisieren, wo es aber auch vor allen Dingen darum geht, Verbesserungen oder Veränderungen im Bildungssystem zu evaluieren beziehungsweise neue Ideen zu entwickeln und sie auszuprobieren.
Maleike: Das heißt also, die Lernforscher tauschen sich aus?
Stern: Das auf jeden Fall. Wichtig ist hier aber auch nicht nur der Austausch zwischen den Lernforschern, sondern auch zwischen Wissenschaft und Praxis und auch zwischen Wissenschaft und Politik. Ich glaube, da hat sich in den letzten Jahren doch sehr vieles zum Positiven geändert: Politiker sind sehr interessiert an den Ergebnissen der Bildungsforschung. Sie bilden sich nicht nur Meinungen oder verbreiten Meinungen, sondern möchten auch lernen, ob die wissenschaftlich abgedeckt sind. Ob die Umsetzung in der Politik, ob die dann immer vereinbar ist mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen, das ist natürlich noch wieder eine andere Frage.
Maleike: Sie wissen, dass durch die anstehende Föderalismusreform vermutlich ein viel größerer Akzent in den Ländern liegen wird. Glauben Sie, dass durch den Wettbewerb, der dann jetzt zwischen den einzelnen Bundesländern entstehen wird, die Bildungsforscher stärker gefragt sein werden?
Stern: Ja, also ich möchte jetzt gar nicht darüber reden, ob das gut ist oder nicht, dass bei uns Bildung Ländersache ist. Klar ist: Bildung sollte nicht zentralistisch gesteuert sein, weil man die Vielfalt der Ideen auch haben sollte und niemand hat das Patenrezept für die gute Bildung. Ob es jetzt die Länder sein müssen, die hier die Unterschiede reinbringen und neue Ideen entwickeln, ist eine ganz andere Frage. Auf jeden Fall ist Vielfalt hier angesagt und durchaus zu begrüßen. Vielfalt heißt aber auch, man kann nur aus positiven oder nicht gelungenen Beispielen lernen, wenn man sich austauscht. Im Moment sind alle daran interessiert, gute Beispiele für Schule in unterschiedlichen Altersgruppen zu finden, und der Wunsch nach Austausch wird da sein.
Maleike: Sie haben vorhin den Austausch auch zur Praxis angesprochen, mal unabhängig von der Politik. Läuft das gut? Ist die Praxis auch inspiriert durch das, was in der Lernforschung passiert?
Stern: Wie immer kann alles noch besser sein, aber das Interesse von Seiten der Lehrerinnen und Lehrer auf ganz unterschiedlichen Altersgebieten an der Wissenschaft ist riesig. Fortbildungsveranstaltungen stoßen auf große Nachfrage. Es ist vor allen Dingen auch der Wunsch nach nachhaltiger Fortbildung da. Auch hier gibt es noch viele Möglichkeiten zur Verbesserung. Aber ich kann nur für die Bereiche, wo ich mich gut auskenne, sprechen. Da geht es zum Beispiel um die Frage Sachunterricht in der Grundschule, Physik schon in die Grundschule zu bringen. Da weiß ich, dass die Fortbildungsveranstaltungen meiner Kollegin Cornelia Möller aus Münster, die werden in so starkem Maße nachgefragt, dass sie auch nicht nur ansatzweise alle bedienen kann.
Also ich würde schon sagen, dass es eine große Nachfrage gibt und dass es auch nicht mehr einfach nur so einseitig ist, dass die Lehrer meinen, sie müssen einen Nachmittag zu einer Fortbildungsveranstaltung gehen und hätten damit ihr Soll erfüllt, sondern die Ansprüche der Lehrer an Fortbildung haben sich auch geändert, was gut ist. Sie wissen, dass man sein Verhalten nicht von einem Tag auf den anderen ändern kann, sondern dass man wirklich auch längerfristig Unterstützung haben muss, wenn man eben den Unterricht so verbessern möchte, dass es im Sinne der Wissenschaft auch vertretbar ist. Wir haben natürlich sehr viel mehr Lehrer, als wir Wissenschaftler haben. Von daher ist jetzt nicht so, dass alle Lehrer in gleichem Maße mit der Wissenschaft vernetzt sind.
Maleike: Wie könnte das denn praktisch aussehen?
Stern: Das könnte auch so aussehen, dass es einfach mehr Zwischenglieder noch zwischen Wissenschaft und Praxis gibt. Hier müssen wir einfach noch stärker eine Zwischenebene etablieren von so genannten Multiplikatoren. Aber auch da, denke ich, hat sich schon vieles getan in den letzten Jahren.
Maleike: Also würden Sie sich vorstellen, dass zum Beispiel so ein Multiplikator an jeder Schule ist?
Stern: Es sollte auch jeden Fall sichergestellt sein, dass aus jeder Schule eine Person relativ eng mit der Wissenschaft vernetzt ist, so dass sie vielleicht persönlich einen Wissenschaftler kennt, den man fragen könnte, wenn es Probleme gibt, oder jemand, der zumindest nah an der Wissenschaft ist. Das wäre sicherlich ein Ziel, dass man anstreben könnte.
Maleike: Wie schätzen Sie denn das internationale Renommee der Lernforschung in Deutschland im Moment ein? Sie sind ja auch viel auf Tagungen, auf Konferenzen. Tauschen wir uns genug auch aus, zum Beispiel mit Finnland?
Stern: Ja, sagen wir mal so: Wie in vielen anderen Wissenschaftsbereichen auch, hatte sich Deutschland so ein bisschen auch abgekoppelt. Andere europäische Wissenschaftler im Bereich der Lernforschung, für die ist es seit Jahrzehnten selbstverständlich, dass sie in internationalen Zeitschriften publizieren müssen, dass sie so Ergebnisse produzieren müssen, die eben auch international Beachtung finden. In Deutschland war das lange Zeit nicht der Fall, da konnten tatsächlich Menschen Professuren kriegen - das ist leider immer noch so -, die keine einzige internationale Zeitschriftenpublikation haben. Das wäre undenkbar in allen anderen Ländern. Also von daher hinken wir, wie in vielen anderen Bereichen auch da hinterher. Ich hoffe, dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird.
Maleike: Hat die Lernforschung de facto auch aus PISA und Co. gelernt?
Stern: Ja, sagen wir mal so, es wurde sehr viel Geld investiert, aber es kann auch nach hinten losgehen, wenn eben ja plötzlich Leute große Forschungsprojekte kriegen und das war auch in den letzten Jahren schon der Fall in Deutschland, die eigentlich international nicht die Reputation haben, die man erwarten kann für einen Wissenschaftler. Also hier gibt es ganz klar Defizite, wobei ich durchaus eben auch denke, das müssen ja nicht Menschen sein, die unbedingt schlechte Forschung machen, also wenn man die Wissenschaftler anhält, jetzt zukünftig mehr so zu publizieren, wie es eigentlich in der Wissenschaft üblich ist, dann, glaube ich, können wir da auch gut aufholen.
Maleike: Allerletzte Frage: Glauben Sie, dass wir bei der nächsten PISA-Studie ein bisschen besser dastehen werden?
Stern: Was heißt besser? Es ist schwer zu sagen, weil natürlich alle Länder im Moment große Anstrengungen unternehmen. Möglicherweise im internationalen Ranking würde man Verbesserungen auch gar nicht sehen. Deshalb müssen wir auch dazu kommen, dass wir nicht einfach nur schauen, welchen Rangplatz wir in der Welt einnehmen, sondern auch unabhängig davon einfach uns bestimmte Aufgaben, Gruppen anschauen, und vielleicht dann sehen: Auch wenn der Rangplatz sich nicht geändert hat, weil das Niveau insgesamt gestiegen ist, können bestimmte Anforderungen jetzt von mehr Schülern bewältigt werden, als das noch vor vier Jahren der Fall war. Wenn wir solche Ergebnisse zeigen könnten, dann wäre das auch schon ein Erfolg. Und damit rechne ich auf jeden Fall, denn die Lernbereitschaft gerade aller Lehrenden und aller an der Verbesserung des Bildungssystems beteiligten Personen ist schon sehr groß.