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Niesen, Schnupfen, Atemnot

Wer unter einer Pollenallergie leidet, möchte wissen, wann welche Pflanzen blühen. Das Allergie-Centrum der Berliner Charité hat den neuen Pollenflugkalender für Deutschland vorgestellt.

Von Philip Banse |
    Zurzeit sind es vor allem Haselnuss und Erle, die den Allergikern zu schaffen machen. Bemerkenswert ist hier, dass diese beiden Pflanzen schon seit Anfang/Mitte Januar blühen - vier Wochen früher als bisher üblich. Das liege eindeutig am Klimawandel, der die Winter wärmer mache, sagt Klaus Bucher, Biometeorologe vom Deutschen Wetterdienst:

    "Diese Erwärmung gerade in den Wintermonaten wirkt sich da eben sehr stark aus auf den Blühbeginn der Frühblüher, also Haselnuss und Erle, die gehören ja zu den hauptallergenen Baumarten. Deren Blühbeginn ist weit nach vorne gezogen, man spricht im Mittel von drei bis vier Wochen früherer Blühbeginn der Haselnuss. Das hat aber nicht zur Folge, dass auch das Blühende sich nach vorne verschiebt, sondern die Blühdauer wird insgesamt länger, und der Pollenflug ist intensiver geworden."

    Früher, länger und intensiver - das gelte vor allem für die Frühblüher, weil vor allem Herbst und Winter wärmer würden. Im Sommer könne der Klimawandel für bestimmte Allergiker auch Erleichterung bringen, sagt der Biometeorologe, Beispiel Gräser:

    "Bei den Gräsern sind andere Einflüsse im Vordergrund, etwa dass die Sommer trockener werden. Das kann zur Folge haben, dass der Pollenflug der Gräser etwas reduziert wird. Denn trockene Sommer behindern den Gräserwuchs und damit die Pollenproduktion."

    Gegen Ende des Jahres sorgt die Erwärmung der Erde wieder für rote Augen, Schnupfen und Asthma. Denn neue, hierzulande bis dato unbekannte Pflanzen, werden in Deutschland heimisch und setzten Pollen frei. Die seit Kurzem hier blühende Ambrosia etwa sorgt für Pollenflug bis in den November. Pollen piesacken Allergiker also von Januar bis November, mitunter bis Dezember. Die Folgen für viele der rund zwölf Millionen Pollen-Allergiker in Deutschland sind dramatisch, sagt Professor Karl-Christian Bergmann vom Allergie-Zentrum der Berliner Charité:

    "Die Folge ist, dass Patienten, die an einer Allergie gegen Baumpollen, Gräser- und Kräuterpollen leiden, dass die jetzt kaum noch pollenfreie Zeiten haben. Das heißt, dass sie auch kaum noch Zeiten haben, in denen sie sicher ohne Beschwerden sind."

    Dass die Belastung der Menschen mit Heuschnupfen und Asthma steigt, heißt jedoch nicht, dass die Medizin völlig neuartige Therapien anbieten kann. Aus schulmedizinischer Sicht das erfolgversprechendste Rezept gegen Pollen-Allergien ist nach wie vor die Immuntherapie. Bei der sogenannten Hyposensibilisierung werden die problematischen Allergene unter die Haut gespritzt oder über den Mund aufgenommen. Nach Schätzungen der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft werden aber von 100 Menschen mit allergischen Atemwegserkrankungen nur 10 richtig therapiert. Unter den verschärften Bedingungen sollten jetzt mehr Allergiker über die sehr langwierige Immuntherapie nachdenken, sagt Professor Karl-Christian Bergmann:

    "Diese neuen Verhältnisse, die wir haben, führen noch mehr dazu, dass man darüber nachdenken muss, dass man rechtzeitig eine Immuntherapie macht. Diese Immuntherapie ist ja die einzige Therapieform, die auf den Verlauf der Erkrankung Einfluss nimmt. Also: den Übergang vom Heuschnupfen zum Pollenasthma verhindern, den Übergang möglicherweise verhindern vom Heuschnupfen in eine Nahrungsmittelüberempfindlichkeit, dass ich also kein Obst mehr essen kann. Diese höheren Risiken, die wir jetzt haben, führen dazu, dass jeder Patient mit seinem Arzt darüber sprechen sollte: Kann ich nicht durch eine Immuntherapie nicht ein Stopp machen, kann ich nicht die Symptome reduzieren?"

    Diese Immuntherapie muss beginnen, bevor die fraglichen Pollen in der Luft sind. Weil viele Pflanzen aber immer früher blühen, müssten Ärzte darauf achten, dass sie auch früher als bisher mit der Therapie beginnen. Allergische Atemwegserkrankungen kosteten im Jahr 2000 nach Angaben der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft über fünf Milliarden Euro. Ob die stärkere und längere Pollenbelastung auch dazu führt, dass mehr Menschen Allergien entwickeln, so Allergie-Experte Bergmann, könne bisher nur vermutet werden.