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Nietzsche - Philosoph der Kulturen

Interessierte Laien aus 15 Ländern diskutierten die Frage, wie Nietzsche das Verhältnis von Kulturen zueinander begreift und ob man heute daran anknüpfen kann. Klar ist, Nietzsche hatte sich intensiv mit dem Buddhismus, der indischen Philosophie und dem Islam beschäftigt. Bei aller Kontroverse: Nietzsche bleibt schwierig, das zeigte auch dieser Kongress.

Von Peter Leusch |
    "Wir haben natürlich zunächst einmal Kulturwissenschaftler im eigentlichen Sinne eingeladen, also etwa Renate Reschke von der Humboldt-Universität in Berlin, die über die Kulturkritik von Nietzsche gearbeitet hat, Johan Figl aus Wien, der den ganz frühen Nietzsche aus eigener Editionstätigkeit ausgezeichnet kennt und jüngst ein Buch geschrieben hat über die transkulturellen Perspektiven Nietzsches, ausgehend von Nietzsches Lektüren als Schuljunge und als Student, Figl ist von Hause aus Religionswissenschaftler, dann Heinz Kimmerle, einer der führenden Repräsentanten der so genannten interkulturellen Philosophie, die versucht, die europäischen Beschränkungen zu überwinden. Kimmerle hat sich für diese Tagung auf Nietzsche eingelassen, um zu sehen wie sieht es aus mit Nietzsches Brauchbarkeit für eine interkulturelle Philosophie ... "

    Andreas Urs Sommer, stellvertretender Vorsitzender der Nietzsche-Gesellschaft, leitete den Kongress, an dem Fachwissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen ebenso wie interessierte Laien aus 15 Ländern teilnahmen. Sie diskutierten - in einem Schwerpunkt - die Frage, wie Nietzsche das Verhältnis von Kulturen zueinander begreift und ob man heute daran anknüpfen kann.

    Nietzsche hat sich - das hat die Forschung schon aufgearbeitet - intensiv mit Buddhismus, mit der indischen Philosophie und mit dem Islam beschäftigt.

    Alle Zeiten und Völker blicken bunt aus euren Schleiern; alle Sitten und Glauben reden bunt aus euren Gebärden. Wer von euch Schleier und Überwürfe und Farben und Gebärden abzöge: gerade genug würde er übrig behalten, um die Vögel damit abzuschrecken.

    In "Also sprach Zarathustra" verglich Nietzsche die zeitgenössische Kultur mit einer Vogelscheuche.

    Er liebt es seine Themen in Bildern und Gedichten abzuhandeln oder aber mit scharf geschliffenen Aphorismen aufzuspießen. Nietzsche liefert kein philosophisches Systemgebäude, mit festem Fundament und unverrückbaren Pfeilern der Begründung, Sein Philosophieren bietet Rätsel, provoziert zum Weiterdenken, ist buchstäblich im Werden. So wie er sich auch selber veränderte. Die Vorstellungen von Kultur des jungen Nietzsche standen ganz im Banne Richard Wagners, seines Idols, so Christian Niemeyer in seinem biographisch fundierten Vortrag.

    "Nietzsche erinnert in dieser ganzen Phase an einen gläubigen Hitlerjungen der Flakhelfergeneration ... "Du hast Dich betrügen lassen" - so beschreibt er später seine Ausgeliefertheit an Wagner,
    Und dann kann man einen Paradigmenwechsel beobachten: was wir brauchen ist gar nicht eine bestimmte Leitkultur, die dem deutschen Wesen seinen Charakter gibt, sondern was wir brauchen ist eine Art Forschungskultur, das ist eigentlich eine stark psychologische Programmatik, der nun auch Denkformen andeutet, die in Richtung der späteren Psychoanalyse Freuds gehen."

    Der Leib ist eine große Vernunft - heißt es im Zarathustra.
    Vor Sigmund Freud hat Nietzsche die Kultur an die Körperlichkeit des Menschen erinnert, die insbesondere von der Philosophie bis heute vernachlässigt wird. Volker Caysa und Gunter Gebauer sprachen im Anschluss an Nietzsche und über ihn hinausgehend über die Rechte des Körpers.
    Und die niederländische Philosophin Martine Prange hielt ein Referat über Nietzsches Vorstellungen eines Kosmpolitismus, der eben solche praktischen und sinnlich-ästhetischen Seiten einschließt.

    "Nietzsche gründet seinen Kosmopolitismus auf die griechische Kultur und auf Goethe. Was er im Sommer 1872 herausfindet, ist, dass die Griechen einen sehr kosmopolitischen Geist und eine entsprechende Praxis hatten. Und diese Praxis zeigt sich im Interesse an den Nachbarländern. Nicht nur sich deren Sitten und Gebräuchen gegenüber zu öffnen, sondern in der Absicht von ihnen zu lernen, insbesondere was Kunsthandwerk und Ästhetik anging, sich das Andere anzueignen und mit dem Eigenen zu mischen.
    Für Nietzsche ist das kein Verhältnis von Krieg oder Feindschaft mit dem Nachbarn, es ist eher ein Wettstreit, in den man mit dem Anderen eintritt. Man sieht den Anderen als einen Meister an, sich selber als Studenten. Und man versucht den Meister zu meistern. "

    Während der Kosmopolitismus von Immanuel Kant auf eine Weltgemeinschaft setzt, auf universelle Moral und die mögliche Versöhnung, bezieht sich Nietzsche primär auf das Individuum und plädiert für Wettstreit.

    Mit einem Blick nach vorn ergänzte der Berliner Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott wie sich Nietzsche im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in dieser Hochblüte des Nationalismus die Europäer der Zukunft vorstellte.

    "Hier habe ich an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder den Hinweis auf den Nomaden als künftigen Europäer gefunden. ... Nietzsche beobachtet, dass die Verkehrsverhältnisse seiner Zeit bereits es möglich und nötig machen, die Menschen mental aufeinander zu zu bewegen- er spricht in diesem Zusammenhang von der Vernichtung der Nation vor seinen Augen, und diese Verkehrsverhältnisse für ihn plötzlich eine ganz fundamentale Bedeutung erhalten in jeder Hinsicht. - damit ist nicht nur allgemein und philosophisch von Kommunikation die Rede, sondern buchstäblich: Menschen treten aus ihren alten Kontexten heraus, den Traditionen, aus Stadt und Land, den nationalen Bindungen, den kontinentalen Beziehungen und treten miteinander in Beziehung - Nietzsche spricht noch nicht von Globalisierung, aber er gebraucht den Begriff des Kosmopolitismus in diesem Zusammenhang mehrfach und er sieht den Nomaden als Objekt dieses künftigen Europa, und das hat hellhörig gemacht. "

    Nietzsche bleibt schwierig, das zeigte auch dieser Kongress. Weiterhin hängt viel an der Interpretation seiner Leitbegriffe - allen voran der ominöse "Wille zur Macht". Bedeutet er simpel Herrschenwollen, wie früher angenommen, oder meint er ein Prinzip, wonach Leben und Kultur auf Steigerung drängen und sich verbessern wollen?

    Wie man Nietzsche missverstehen und manipulieren kann, das demonstriert zeitgleich eine Ausstellung über die Schwester Elisabeth Förster- Nietzsche, die sein Werk den Nazis angedient hat. Die Ausstellung unter dem Titel "Die unheilige Elisabeth - Legenden einer Meisterfälscherin" ist bis zum 31. Oktober im Nietzsche-Haus in Naumburg zu sehen.