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Nigeria
Ex-Diktator als Hoffnung der Demokratie

Kampf gegen Korruption, Terrorismus und Arbeitslosigkeit: Wenn Nigerias neu gewählter Präsident Muhammadu Buhari im Mai die Amtsgeschäfte von Vorgänger Goodluck Jonathan übernimmt, hat er große Aufgaben zu bewältigen. Die Erwartungen an ihn sind hoch.

Von Jens Borchers | 04.04.2015
    Muhammadu Buhari hat die Wahl in Nigeria gewonnen
    Muhammadu Buhari hat die Wahl in Nigeria gewonnen (picture alliance / dpa )
    Sechs Militärcoups hat Nigeria seit der Unabhängigkeit 1960 erlebt. Dann 16 Jahre lang ununterbrochen die Herrschaft nur einer Partei. Und jetzt plötzlich ein friedlicher, demokratischer Machtwechsel. Irgendwann werden Historiker sagen müssen, was wohl entscheidend dafür war:
    War es die elektronische Wähler-Registrierung? Die hatte es erheblich schwerer gemacht, die Wahlergebnisse nachher zu fälschen.
    Oder war die Ruhe von Attahiru Jega entscheidend? Er ist Leiter der Unabhängigen Wahlkommission Nigerias. Jega war noch am Tag der Auszählung vor laufenden Kameras von einem hohen Funktionär der Regierungspartei angebrüllt und beleidigt worden. Und antwortete anschließend nur trocken:
    "Sie sollten vorsichtig mit Ihren Anschuldigungen sein. Und Sie sollten aufpassen, wie Sie sich in der Öffentlichkeit benehmen."
    In Nigerias sozialen Medien löste diese kühle, besonnene Reaktion Begeisterung aus: Jega ließ sich von den Herrschenden nicht einschüchtern, er hielt den Rücken gerade. Auf Twitter kürte man den Leiter der Wahlkommission daraufhin zum "Minister für Besonnenheit".
    Vielleicht war aber vor allem eines entscheidend: Dass die Politiker-Klasse Nigerias verstanden hatte - Die Bevölkerung würde diesmal jeden groß angelegten Betrugsversuch mit Wut und mit Widerstand beantworten. Zu klar war die Wechselstimmung im Land. Deshalb konnte Wahlsieger Muhammadu Buhari bei seinem ersten Medienauftritt nach dem Sieg gelassen sagen:
    "Ihr habt für den Wechsel gestimmt, jetzt ist er da."
    Hohe Erwartungen im Volk
    Aber mit diesem Wechsel sind auch hoch gespannte Erwartungen da.
    Stichwort Korruption: Muhammadu Buhari gilt als Lichtgestalt in einer ansonsten für ihre Raffgier bekannten Politiker-Kaste. Viele Nigerianer haben Buhari abgenommen, dass er sich persönlich nicht bereichern will. Das bestätigt auch Kole Shettima vom nigerianischen Zentrum für Entwicklung und Demokratie. Aber dennoch: Wie groß ist die Herausforderung, gegen die Korruption kämpfen zu wollen? Shettima meint:
    "Das Mindeste ist, da wirklich anzusetzen. Das muss sein. Dann würden auch die Ressourcen frei, um zu tun, was getan werden sollte. Das allein reicht aber noch nicht: Es reicht nicht aus wenn das Geld nur da ist. Es muss auch für den vorgesehenen Zweck ausgegeben werden."
    Für den vorgesehenen Zweck. Es darf nicht für irgendetwas Anderes abgezweigt und umgeleitet werden. Das ist an sich schon eine Aufgabe für einen Titanen. Aber auch ein Titan würde das kaum ohne Hilfe schaffen. Und die offene Frage in Nigeria ist, welche verlässlichen und vertrauenswürdigen Helfer Muhammadu Buhari in seinem Vier-Parteien-Bündnis dafür finden wird.
    Stichwort Boko Haram. Die Terroristen-Miliz ist ein vielschichtiges Phänomen. Kabir Adamu hat sich damit lange beschäftigt. Adamu arbeitete früher für den nigerianischen Geheimdienst. Jetzt berät er Firmen und Organisationen, die im gefährlichen Nordosten Nigerias ihre Sicherheitsrisiken minimieren wollen. Kabir Adamu meint, dass schießen und bomben nur begrenzt hilft. Wahlsieger Buhari müsse mehr tun:
    "Er hat versprochen, das in sechs Monaten zu beenden. Wir werden sehen. Vielleicht bekommt er Boko Haram wenigstens so weit in den Griff, dass er mit denen, die hinter Boko Haram stecken, eine Art Vereinbarung aushandeln kann."
    Adamu ist fest davon überzeugt. Boko Haram Terror war in den vergangenen sechs Jahren nur möglich, weil die Organisation bis in höchste Regierungskreise gedeckt wurde. Und Muhammadu Buhari muss klar machen, dass damit nun Schluss sein wird. In den zurückliegenden sechs Wochen waren Truppen der Nachbarländer Tschad, Niger und Kamerun gemeinsam mit nigerianischen Soldaten gegen die Terror-Miliz vorgegangen. Zumindest zeitweise hat diese Internationale Einsatztruppe damit Gelände zurückgewonnen. Aber Kabir Adamu sagt:
    "Ich wünschte, diese Internationale Truppe, vor allem aber das nigerianische Militär hätte eine klare Strategie. Entweder die Zerstörung Boko Harams oder das Ziel, eine Art Waffenstillstand zu erreichen. Jetzt werden die Aufständischen nur aufgescheucht und vertrieben. Ohne eine klare Strategie wird da nicht wirklich viel erreicht."
    Furcht vor Boko Haram
    Für Muhammadu Buhari ist die Herausforderung Boko Haram vielleicht die Top-Priorität: In Sicherheitsfragen fühlt sich der pensionierte General stark. Und es heißt, er sei respektiert im eigenen Militär.
    Fakt ist: Boko Haram ist nicht nur eine Sicherheitsfrage. Der Terrorismus legt teilweise die Wirtschaft im Norden und Nordosten Nigerias lahm. Damit wären wir beim Stichwort Arbeitslosigkeit.
    In einem Industriegebiet in Kano laufen in der Fabrik von Fawaz Darwish die Maschinen, die Transport-Säcke für die Landwirtschaft herstellen. Aber Geschäftsführer Darwish klagt über miserable Geschäfte. Warum? Schauen Sie auf die Landkarte, sagt Darwish:
    Fawaz Darwish hackt mit seinem Kugelschreiber auf die drei nigerianischen Bundesstaaten Borno, Adamawa und Yobe ein. "Da können Sie alles verkaufen", sagt er.
    Niger, Tschad, Kamerun – aus diesen Nachbarstaaten kommen normalerweise die Händler und kaufen nigerianische Produkte. Jetzt kaum noch – sie fürchten die Lebensgefahr durch Boko Haram.
    Aber das ist es ja nicht allein, sagt Alhaji Madugu. Der Vizepräsident des Industrieverbandes von Nigeria stellt im eigenen Unternehmen Lebensmittel her. Und er fordert, dass die Regierung endlich für bessere Infrastruktur, für eine stabile Währung und für Sicherheit sorgen müsse. Nur dann könne Nigeria seine Potentiale nutzen:
    "Wir in Nigeria sollten selbst produzieren, was wir konsumieren. Und dann den Rest der Produktion exportieren. Nicht nach Europa oder Asien. Sondern in die westafrikanischen Nachbarländer – da ist ein Markt von 300 Millionen Menschen. Aber ich könnte heulen, weil die Voraussetzungen nicht da sind, um das zu nutzen."
    Korruption, Sicherheit, Arbeitslosigkeit – Muhammadu Buhari hat riesige Erwartungen geweckt. Jetzt wartet Nigeria gespannt darauf, wie er sie erfüllen will.