Dieses Buch ist gewissermaßen im Auftrag meiner Familie entstanden. Die Schicksale meiner Vorfahren waren so faszinierend, dass man immer schon sagte: Das muss man einfach aufschreiben. Nach dem Tode meiner Mutter war es klar, dass eigentlich nur ich übrigblieb, um diese Aufgabe zu übernehmen. Mir war die Hinterlassenschaft zugefallen, diese Masse von angefangenen, aber nicht vollendeten Erinnerungen, von Schriftstücken und Photographien - von Briefen. Lange Zeit habe ich gezögert, denn ich war mir der Schwierigkeit der Aufgabe bewusst. Am Ende habe ich festgestellt, dass ich mich dem nicht entziehen kann - und mich an die Arbeit gemacht.
Joanna Olczak-Ronikier habe die schwierige Beziehung der polnischen Gesellschaft zu ihren jüdischen Intellektuellen, das Drama einer missglückten Assimilation mit großem Einfühlungsvermögen nachgezeichnet, hieß es in der Begründung der Jury für ihre Wahl der diesjährigen Nike-Preisträgerin. Und: Joanna Olczak Ronikier sei es gelungen, einer totgeglaubten literarischen Gattung neues Leben einzuhauchen.
Die Kulisse für die Preisverleihung bildete wie bereits in den vergangenen Jahren das ehrwürdige Warschauer Stanislawski-Theater - mit Staatspräsident Aleksander Kwasniewski auf dem Logenplatz. Erst seit 1997 wird der Nike-Preis für das Buch des Jahres vergeben, wobei die Auswahl von zunächst zwanzig (und in der letzten Vorrunde sieben) Titeln alle Gattungen respektiert, egal ob politische Publizistik oder Lyrik, ob Roman oder geisteswissenschaftlicher Essay. Gestiftet hat den "Nike"-Preis die private Unternehmensberatungsfirma "Nicom" gemeinsam mit der größten polnischen Tageszeitung, der "Gazeta Wyborcza". Für die Stifter ist "Nike" eine privatwirtschaftliche Antwort auf eine Frage, die sich stellte, nachdem der hochsubventionierte Kulturbetrieb Polens als Relikt des sozialistischen Staates in den neunziger Jahren einer Kahlschlag-Sanierung zum Opfer fiel, die Frage nämlich nach einer angemessenen Literaturförderung. Bereits nach sechs Jahren lässt sich sagen: "Nike" ist ein außerordentlich erfolgreiches Konzept, jedenfalls für diejenigen, die "Nike" bekommen. Im vergangenen Jahr wurde ein Buch des Feuilletonisten und satirischen Erzählers Jerzy Pilch ausgezeichnet. Der Roman "Zum starken Engel", mittlerweile auch in deutscher Übersetzung erschienen, ist die überaus artifizielle und eigentlich gar nicht bestsellerverdächtige Gestaltung eines Trinkerlebens. Seit der Auszeichnung im vergangenen Oktober wurde das Buch 100.000 Mal verkauft. So konnte es denn auch kaum verwundern, dass Adam Michnik im Namen der Stifter und in seiner Eigenschaft als Chefredakteur der "Gazeta Wyborcza" ein weitreichendes Versprechen abgab.
Die heutige Preisverleihung ist ein Festtag der polnischen Literatur. Und ich wünsche mir, dass das immer wieder so sein wird, solange es den Nike-Preis gibt. Und solange Sie noch die Geduld besitzen, Bücher zu lesen, solange werden wir für diesen Nike-Preis unsere Herzen öffnen - und unser Portemonnaie.
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