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Nimmersatt auf Blätterjagd

Botanik.- Auf die Ulmen in Deutschland kommt nach dem Ulmensterben möglicherweise eine weitere Belastung zu: Von der Ukraine bis nach Österreich frisst die aus Ostasien stammende Ulmenblattwespe die Bäume kahl.

Von Joachim Budde | 12.11.2010
    Im Juli 2008 boten die Ulmen gegenüber dem ungarischen Parlament am Ufer der Do-nau mitten in Budapest einen traurigen An-blick. Ein Schädling setzte den Bäumen zu – sehr zur Überraschung ungarischer Biolo-gen, wie Gábor Vétek, Insektenkundler an der Corvinus-Universität Budapest, sich erinnert.

    "Das Stadtzentrum ist von Wäldern weit entfernt. Dennoch ist der Schädling dort-hin gelangt und hat die Bäume von einem Tag auf den nächsten fast völlig ent-laubt."

    Die Insekten hatten ein serpentinenför-miges Zickzack in die Blätter gefressen – das ist typisch für die jungen Larven der Ulmenblattwespe Aproceros leucopoda. Die Wespe stammt aus Ostasien und wurde 2003 erstmals in Polen und Ungarn beobach-tet. Inzwischen hat sie sich von Polen bis Rumänien und von der Ost-Ukraine bis nach Österreich ausgebreitet. Für den Erfolg der Art sieht Stephan Blank, Insektenfor-scher am Senckenberg Deutschen Entomologi-schen Institut in Müncheberg, drei Gründe. Erstens: die Fortpflanzung:

    "Ein Weibchen braucht kein Männchen zur Begattung, um lebensfähige Eier hervorzubringen. Das Weibchen legt unbe-fruchtete Eier, die sich dann zu Larven entwickeln. Das heißt, das Weibchen spart Zeit."

    Ein einzelnes Weibchen kann eine ganze Population begründen. Und die Wespe ver-mehrt sich rasant, in einem Sommer entwic-kelt sie bis zu vier Generationen. Jedes einzelne Tier kann unter diesen Umständen in einem Jahr mehrere Tausend Nachkommen hervorbringen.

    Der zweite Grund für den Erfolg: Die kurze Puppenruhe. Die Larven verpuppen sich, und schon nach vier bis acht Tagen schlüpfen die Wespen. Andere Blattwespen-arten ruhen drei bis vier Wochen im Kokon.

    "Der dritte Faktor, warum die Wespe sehr erfolgreich ist, ist dass sie einen einfachen Kokon in den Sommermonaten baut. Ein Winterkokon ist dicht, sprich er ist gegen Verdunstung und so weiter geschützt, hingegen der Sommerkokon ist ein leichtes Netzchen, das sehr schnell produziert wird."

    Diese Netzchen kleben die Wespenlarven direkt an die Blätter ihres Wirtsbaumes. So sparen sie sich den Weg auf den Boden. Einige Larven verpuppen sich im Erdreich in den stabilen Winterkokons und warten auf den Frühling – als Basis für die Popu-lation des nächsten Jahres.

    Stephan Blank erwartet, dass die Ulmen-blattwespe schon bald nach Deutschland ge-langt. Bei Stichproben haben österreichi-sche Biologen sie in diesem Jahr rund um die Stadt Krems an der Donau gefunden – rund 200 Kilometer östlich von Passau.

    "Ulmen kommen in der Natur hauptsächlich in Flusstälern vor […]. Und so ist es prognostizierbar mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass das Donautal der Einwanderungs-weg dieser Ulmenblattwespe nach Deutschland wird."

    Die Ulmenblattwespe hat in Europa keine Feinde. Und auch in Ost-Asien haben die Forscher bisher keinen natürlichen Feind gefunden, der auf dieses Insekt speziali-siert ist und den man in den betroffenen Gebieten aussetzen könnte. Doch solch ei-nen Gegenspieler bräuchte man zur biologi-schen Schädlingsbekämpfung – für Stephan Blank das Mittel der Wahl.

    Die Ulmenblattwespe hat sich überall in ihrer neuen Heimat festgesetzt. Nur in Bu-dapest hat sie nicht überwintern können. Vermutlich hat der Asphalt die Larven dar-an gehindert, sich einzugraben. Lediglich einige tote Äste erinnern an den Schäd-lingsbefall. Gábor Vétek von der Corvinus-Universität bleibt angesichts der Bedro-hung gelassen.

    "Ich denke, das Insekt wird Teil der eu-ropäischen Fauna werden und in manchen Jahren Schäden an Ulmen anrichten. Doch weil es sich ausschließlich von Ulmen er-nährt, bezweifle ich, dass unsere Wälder in sehr großer Gefahr sind. Aber niemand weiß das mit Sicherheit."