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Nizar Nayyouf (Syrien)

Am 10. Dezember 1989, am internationalen Tag der Menschenrechte, kamen einige Akademiker, Schriftsteller und Journalisten in Damaskus zusammen und beschlossen eine Idee, über die sie schon lange diskutierten, in die Tat umzusetzen: Die Gründung des Komitees zur Verteidigung der demokratischen Rechte und der Menschenrechte in Syrien, kurz CDF genannt. Die letzte Initiative dieser Art lag neun Jahre zurück. Damals forderten einige Berufsverbände die Beendigung des Ausnahmezustands. Das Regime reagierte mit willkürlichen Verhaftungen. Zwar waren die meisten der seinerzeit Verhafteten nach langjährigen Gefängnisaufenthalten wieder freigelassen worden. Aber die Lage in Syrien gab immer noch wenig Anlaß zum Optimismus. Tausende waren aus politischen Gründen in Haft: Kommunisten, Muslimbrüder, in Ungnade gefallene Politiker, Libanesen, Palästinenser u.a. Das Komitee wollte eine öffentliche Debatte über Fragen der Menschenrechte und der Demokratie einleiten. Die Mitglieder gründeten Zweigstellen in verschiedenen syrischen Städten und im Ausland. Das CDF begann Berichte über Menschenrechtsverletzungen im Land zu veröffentlichen. Zu den Gründern des Komitees gehörte auch Nizar Nayouf. Der damals 34-jährige hatte sein Soziologiestudium an der Universität Damaskus beendet und arbeitete als Journalist für verschiedene Zeitschriften. Er schrieb auch für die "Stimme der Demokratie", die im Namen des Komitees herausgegeben wurde. Samir Ismail, Mitarbeiter des Komitees in Deutschland, über den Inhalt der Zeitschrift:

Anisa Salim |
    Am 10. Dezember 1989, am internationalen Tag der Menschenrechte, kamen einige Akademiker, Schriftsteller und Journalisten in Damaskus zusammen und beschlossen eine Idee, über die sie schon lange diskutierten, in die Tat umzusetzen: Die Gründung des Komitees zur Verteidigung der demokratischen Rechte und der Menschenrechte in Syrien, kurz CDF genannt. Die letzte Initiative dieser Art lag neun Jahre zurück. Damals forderten einige Berufsverbände die Beendigung des Ausnahmezustands. Das Regime reagierte mit willkürlichen Verhaftungen. Zwar waren die meisten der seinerzeit Verhafteten nach langjährigen Gefängnisaufenthalten wieder freigelassen worden. Aber die Lage in Syrien gab immer noch wenig Anlaß zum Optimismus. Tausende waren aus politischen Gründen in Haft: Kommunisten, Muslimbrüder, in Ungnade gefallene Politiker, Libanesen, Palästinenser u.a. Das Komitee wollte eine öffentliche Debatte über Fragen der Menschenrechte und der Demokratie einleiten. Die Mitglieder gründeten Zweigstellen in verschiedenen syrischen Städten und im Ausland. Das CDF begann Berichte über Menschenrechtsverletzungen im Land zu veröffentlichen. Zu den Gründern des Komitees gehörte auch Nizar Nayouf. Der damals 34-jährige hatte sein Soziologiestudium an der Universität Damaskus beendet und arbeitete als Journalist für verschiedene Zeitschriften. Er schrieb auch für die "Stimme der Demokratie", die im Namen des Komitees herausgegeben wurde. Samir Ismail, Mitarbeiter des Komitees in Deutschland, über den Inhalt der Zeitschrift:

    O-Ton Samir Ismail: Die Zeitschrift veröffentlichte Artikel über die innenpolitische Situation im Land, über die Lage der politischen Gefangenen, über Folterungen in syrischen Gefängnissen und andere Menschenrechtsverletzungen. Man muß bedenken, daß diese Themen in der syrischen Öffentlichkeit als große Tabus gelten. Die Zeitschrift interessierte sich außerdem für Fragen der Zivilgesellschaft, der Demokratie und für die Kultur der Menschenrechte im allgemeinen.

    Sowohl die Gründung des Komitees als auch die Herausgabe der Zeitschrift waren in Syrien ein gefährliches Unterfangen. Haitham Manna, heute Sprecher des arabischen Komitees für Menschenrechte in Paris, erlebte die ersten Aktivitäten des Komitees in Syrien. Der herrschende Ausnahmezustand gibt dem Regime freie Hand:

    O-Ton Haitham Manna: Es ist unmöglich etwas zu drucken, ohne daß es vorher der Zensur im Informationsministerium vorgelegt wird. (...) Man kann keine einzige Seite drucken ohne Zustimmung der Zensur. (...) Seit dem 8. März 1963 lebt das Land im Ausnahmezustand. Das heißt, daß das Regime alle Medien kontrolliert. Außerdem verbietet es alle Organisationsformen. Ein Verein oder eine Organisation egal welcher Art zu gründen, ist nicht erlaubt. Diese Bestimmungen sind 1965 durch das sogenannte Gesetz zum Schutz der Revolution nochmals drastischer formuliert worden. Das Gesetz sieht eine lebenslängliche Haftstrafe, eine Gefängnisstrafe oder das Todesurteil vor für denjenigen, der Geld aus dem Ausland in Empfang nimmt oder mit dem Ausland zusammenarbeitet, auch wenn es ein arabisches Land ist. Sich über Themen äußern, die zur allgemeinen Unruhe beitragen, ist strafbar. Auch die Herstellung und Verbreitung von Druckmaterial zu den genannten Themen unterliegt der Strafe. Und das ist natürlich ein sehr weiter Begriff.

    Nizar Nayouf und seinen Mitstreitern vom Komitee CDF ist dieses Gesetz zum Verhängnis geworden. Im Dezember 1991 gaben sie aus Anlaß ihres zweijährigen Bestehens eine Erklärung heraus. Darin kritisierten sie den Verlauf des Volksent- scheids über die Wiederwahl des Präsidenten. Hafis el-Assad, seit 1970 im Amt, war der einzige Kandidat und ließ sich abermals vom Volk bestätigen. Außerdem forderte das CDF die Beendigung des Ausnahmezustands, begrüßte die jüngsten Entlassungen politischer Gefangener und machte auf die Aktivitäten des Komitees aufmerksam. Das genügte den syrischen Sicherheitskräften, jeden zu verhaften, der im Verdacht stand, mit der CDF in Verbindung zu stehen. Nizar Nayouf konnte untertauchen. Stattdessen wurden eine Frau und seine Tochter festgenommen. Daraufhin stellte er sich den Behörden. Samir Ismail von der CDF in Deutschland:

    O-Ton Samir Ismail: Zum ersten Mal versuchte das Regime seiner Verfolgung, die in diesem Fall sich gegen das Komitee richtete, einen legalen Anstrich zu geben. Das heißt, sie stellten die Mitglieder innerhalb von drei Monaten vor das oberste Staatssicherheitsgericht. Und das war etwas Neues. Normalerweise wurden die Leute einfach verhaftet und für Jahre ohne Anklageerhebung im Gefängnis gelassen.

    Die Anklage des obersten Staatssicherheitsgerichts gegen Nizar Nayouf und andere Aktivisten des Komitees lautete auf Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation. Das Gericht verkündete Haftstrafen zwischen 3 und 10 Jahren. Nizar Nayouf wurde zu 10 Jahren Gefängnis und Zwangsarbeit sowie Entzug der bürgerlichen Rechte verurteilt. Die Anklage stützte sich auf die Erklärung, die das CDF nach dem Volksent- scheid herausgab und auf Geständnisse, die wahrscheinlich unter Folter gemacht wurden. Der Forderung der Verteidigung an das Gericht, die Foltervorwürfe zu unter- suchen, wurde nicht entsprochen. Außerdem hatte die Verteidigung nur im Gerichts- saal Gelegenheit, mit den Angeklagten Kontakt aufzunehmen. Das Verfahren entsprach nicht den internationalen Standards. Samir Ismail:

    O-Ton Samir Ismail: Das oberste Staatssicherheitsgericht ist 1968 durch einen Präsidialerlaß gegründet worden. Es ist ein außerordentliches Gericht. Die Urteile, die das Gericht verkündet, sind von der Berufung ausgeschlossen. Allein der Staatspräsident kann sich einmischen. Das heißt, er bestätigt die Urteile und kann das Verfahren wiederholen lassen. Sie versuchen so zu tun, als ob es ein normales Gericht wäre, aber es ist in Wirklichkeit natürlich nicht so.

    Nach dem Bericht des CDF im Ausland war Nizar Nayouf beim Betreten des Gerichtssaals zur Urteilsverkündung am 17. März 1992 auf fremde Hilfe angewiesen. Er konnte sich nicht alleine auf den Beinen halten:

    O-Ton Samir Ismail: Nizar wurde auf dem sogenannten deutschen Stuhl gefoltert, auf dem die Wirbelsäule gestreckt wird. Viele tragen danach eine Lähmung davon. Bei einigen geht es weg, bei anderen bleibt es. Andere Foltermethoden wurden auch angewendet. Nach den letzten Informationen, die uns vorliegen, leidet Nizar an der Hodgkinschen Krankheit, einer Art Leukämie. Und wir haben erfahren, daß sein Zustand sehr gravierend ist. Er kann sich nicht mehr bewegen. Er braucht dringend medizinische Versorgung. Sein Zustand verschlechtert sich von Tag zu Tag. Nizar war nicht krank, bevor er ins Gefängnis kam. Sein Zustand ist eindeutig Folge der Folter, die er erlitten hat.

    Nach dem Verhör durch den Geheimdienst wurde Nayouf nach Sidnaya in der Nähe von Damaskus verlegt. Dort trat er mehrmals in den Hungerstreik, worauf er nach Tadmur, das schlimmste aller syrischen Gefängnisse, geschickt wurde. Es liegt unweit der Ruinenstadt Palmyra und ist für seine harten Haftbedingungen berüchtigt. Nach sechs Monaten kam er wieder nach Damaskus. Diesmal ins Mezze Militärgefängnis. Nizar Nayouf befindet sich dort in Isolationshaft.