Sonntag, 19. Mai 2024

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"No markets are free"

"Es gibt keine freien Märkte. Die Frage ist nicht, ob der Markt reguliert wird. Die Frage ist: von wem und zu welchem Zweck? Regulieren wir den Markt im Interesse der Bevölkerung oder im Interesse des Profits? Die derzeitige Liberalisierung der Märkte geschieht tatsächlich im Interesse der großen Unternehmen."

Albrecht Kieser | 04.11.1999
    Jessica Woodrof arbeitet in der englischen Organisation mit dem Namen "World Development Movement", der "Bewegung für Weltentwicklung". Sie kritisiert die derzeitige Liberalisierungspolitik der Internationalen Wirtschaftsorganisationen. Die Kritik kommt von vielen Nichtregierungsorganisationen aus Industrieländern und aus Ländern des Südens. So auch von Orora Donoza von "Friends of the Earth" aus Ecuador:

    "Wir glauben durchaus, dass Handel der menschlichen Gemeinschaft nützen kann - wenn er gezügelt wird. Doch aller Fesseln ledig, erhält er - wie der Geist aus der Flasche - zerstörerische Kräfte."

    Wirkt der freie Handel, der freie Welthandel, tatsächlich zerstörerisch und wenn er das tut, gegen wen oder was richtet sich die Zerstörung und wer profitiert davon? Diese Fragen beschäftigen nicht nur die sogenannten NGO's, sondern auch die Welthandelsorganisation, die "World Trade Organisation", kurz WTO. Es ist ein Zusammenschluss von 130 Regierungen mit Sitz in Genf.

    Die WTO verantwortet die multilateralen Absprachen und Vertragswerke über die Liberalisierung des Handels. Hier werden neue Bestimmungen über Abbau oder Bestätigung von Zoll- und Handelsschranken erörtert und verabschiedet, hier wird die Aufsicht über den freien oder erlaubt behinderten Warenfluss rund um den Globus geführt.

    Die WTO entscheidet, ob kolumbianische Papajas auf dem europäischen Markt verkauft werden dürfen, mit welchen Einfuhrzöllen französische Textilien in Zimbabwe belegt werden, ob holländische Zwiebeln Indien beglücken dürfen und welche Einfuhrschranken amerikanischer Stahl auf dem Weg nach Rußland zu überwinden hat.

    Geht es nach der WTO, so werden ab November im US-amerikanischen Seattle, in der von ihr so getauften Millenium-Runde, neue Handelsliberalisierungen beschlossen. Wobei die Industrieländer, gestützt auf ihren 80%gen Anteil am Welthandel und auf ihre "Pressure"-Organisation, die OECD, bereits die Weichen für einen grenzenlosen Waren- und Kapitalverkehr gestellt haben. Mit ungeheuren Folgen für Produktion, Arbeitsplätze und Preise auf dem ganzen Erdball.

    Die WTO sieht da keine Probleme, sie verspricht als Folge ihrer Arbeit - so wörtlich - "eine aufblühende, friedliche und verantwortungsvolle Weltwirtschaft". Kritiker gehen da allerdings lieber ins Detail; Maria Mies, Soziologie-Professorin in Köln und Mitautorin des Buches "Lizenz zum Plündern", nennt Verlierer und Sieger der Liberalisierung:

    "Die meisten Menschen fragen bis heute nicht, was denn eigentlich die Kosten sind, warum das alles so billig geworden ist? Wer denn die Kosten trägt? Oder - ich hab das so ausgedrückt - welche Schwarzen Löcher da irgendwo anders aufgerissen werden, wenn hier die ganzen Warenberge aufgehäuft werden. Ich nehm' nur ein Beispiel: Wenn statt Reis und Grundnahrungsmittel für die indische Bevölkerung dort Blumen angebaut werden, die dann auf den europäischen Markt exportiert werden; oder ein anderes Beispiel: wenn das beste Reisland benutzt wird, um Shrimps-Farmen anzulegen, die dann exportiert werden, wenn also die Landwirtschaft in der Dritten Welt benutzt wird, um Exportprodukte für den Weltmarkt herzustellen, dann ist faktisch nicht mehr genug Land vorhanden, um die Menschen mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen - und diese Grundnahrungsmittel werden teurer."

    Studien in ausgewählten Ländern des Südens zeigen tatsächlich, dass die Aufhebung von Handelsschranken im Agrarsektor die heimische bäuerliche Landwirtschaft zu großen Teilen in den Ruin treibt. Die Durchsetzung des freien Handels mit Mais in Mexiko und auf den Philippinen z.B. hat jedem zweiten Bauern den Konkurs gebracht, weil große Handels- und Agrokonzerne der Industrieländer den Markt mit Billig-Mais überschwemmten. Aber auch in den Industrieländern sorgt der in Teilen bereits freie Agrarmarkt für weiteres Bauernsterben und hat auch für die Konsumenten nicht nur Vorteile. Die Engländerin Helena Norber-Kotsch, Trägerin des Alternativen Nobelpreises:

    "Für riesengroße globale Unternehmungen sind Verschiedenheiten ein Problem. Man muss standardisieren, um auf dieser globalen Ebene arbeiten zu können. Die Supermärkte gehören einem System, das auf der Produktionsebene Vielfalt nicht tolerieren kann. Es zwingt Monokultur, immer größere Monokultur für Export. Als Kleinbauer kann man nicht überleben."

    Was beim hiesigen Verbraucher womöglich "nur" als Qualitätsproblem ankommt - Nahrungsmittelvergiftungen durch Massenproduktion einmal ausgenommen -, hat allerdings erhebliche soziale Auswirkungen. Der Wirtschaftsprofessor Michael Chossodovsky aus Kanada:

    "Wir durchlaufen heute die ernsthafteste ökonomische Krise der Weltgeschichte. In vielen Ländern bricht der Lebensstandard ein, und zwar gleichzeitig. Das ist nicht das Ergebnis knapper Ressourcen. Im Gegenteil: Es ist das Ergebnis eines Systems, das unbegrenzte Kraft zur Produktion besitzt. Das aber auf der globalen Durchsetzung der Armut beruht, da es den Lebensstandard der Menschen reduziert, um Kosten zu senken, um Löhne zu senken und um Beschäftigte aus dem produktiven Kreislauf auszuscheiden. Dieser Vorgang hat nichts mit "freiem Markt" zu tun; er basiert, er beruht geradezu auf einer Manipulation der Marktkräfte."

    Etwa indem die Handelsregeln der WTO bestehende Ungleichheiten zwischen Nord- und Südländern zementieren. Und indem die teurere, energieschonende Produktion nicht bevorzugt unterstützt, sondern mit dem billigen Raubbau an Natur und Energie praktisch gleichgesetzt wird. Peter Fuchs, Mitarbeiter des BUND, des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland:

    "Eines der Kernprinzipien ist ja erstmal das unverfänglich daherkommende Prinzip der "Nichtdiskriminierung", der Gleichbehandlung: Behandle doch Shell, behandle doch den Agro-Multi aus Hamburg wie das kleine Unternehmen aus Ghana oder Ecuador. Und da wird deutlich, wenn ich das schon so formuliere: Gleichbehandlung, gleiche, nicht diskriminierende Regeln für sehr ungleich ökonomisch bestückte Akteure führt zur Verschärfung von Ungleichheit, zur Verschärfung von nicht nachhaltigen Produktions- und Konsumweisen, wenn wir das auf Produkte beziehen."

    Da die WTO nicht erlaubt, nachhaltig oder arbeitsintensiv erzeugte und daher teurere Produkte durch Einfuhrzölle auf billige Industrieprodukte zu schützen, sondern unterschiedslos den Abbau aller Schutzmechanismen verlangt, werden die reichen Länder immer reicher und die Armen immer ärmer. Michael Chossodovsky nennt dazu ein Beispiel, das auch die UNO in ihrem Bericht über menschliche Entwicklung bestätigt:

    "Das Magazin Forbes berichtet, dass die zweihundert reichsten Personen in der Welt gemeinsam über ein Vermögen verfügen, das größer ist als das Volkseinkommen von 50% der Weltbevölkerung, der ärmeren Hälfte, versteht sich. Das Volkseinkommen dieser Länder mit einer Gesamtbevölkerung von 3 Milliarden Menschen ist geringer als das Vermögen von 200 Einzelpersonen! Und Bill Gates verfügt über ein Privatvermögen, das größer ist als das Volkseinkommen von Bangladesch mit 120 Millionen Menschen. Das liegt in der Natur dieses Systems, es ist die massive Konzentration von Reichtum, die hier stattfindet."

    Der UNO-Bericht über menschliche Entwicklung stellt fest, dass die andere Seite dieser Konzentration die fortschreitende Verarmung besonders auf dem afrikanischen Kontinent ist, eine Verarmung, die allerdings auf höherem Niveau, auch in den reichen Industrieländern eingesetzt hat. Dessen ungeachtet treibt die Europäische Union die Liberalisierung im Rahmen der WTO voran. Das - so die WTO und wortgleich die EU-Kommission - käme am Ende und über kurz oder lang allen zugute. Das selbe Credo vertritt der Bundesverband der Deutschen Industrie, ebenfalls Promotor weiterer Liberalisierungen. Jan Eggert, Leiter der Abteilung Außenwirtschaftspolitik beim BDI:

    "Ich glaube, dass nicht nur große Unternehmen von der Globalisierung und der Liberalisierung des Welthandels profitieren. Ich sehe auch durchaus nicht einen Verarmungsprozess, wenn Sie mal an Länder denken wie Brasilien, Argentinien, Indien."

    So gesehen, existieren tatsächlich keine Hinderungsgründe für weitere Weltmarkt-Liberalisierungen. So strebt auch die rot-grüne Bundesregierung WTO-Verhandlungen über mindestens vier Bereiche an, in denen der ungehinderte Fluss von Waren und Kapital rund um den Globus vorangetrieben werden soll: im Agrarsektor, bei den Dienstleistungen, also im Gesundheits- und Bildungswesen oder dem Medienbereich, beim sogenannten geistigen Eigentum, d.h. bei Patenten, auch auf Pflanzen, auf Züchtungen und auf Gene, beim öffentlichen Vergabewesen, z.B. bei öffentlichen Bauvorhaben und auf dem Investitionssektor, also dem Recht internationaler Anleger, ihr Geld überall auf dem Erdball anzulegen.

    Kommen diese Pläne durch, so befürchten Kritiker, werden immer weniger weltweit agierende Riesen-Unternehmen, die sogenannten "global players", immer mehr Macht und Reichtum in den Händen weniger konzentrieren und den angeblich freien Markt unter sich aufteilen.

    Beispiel Dienstleistungen: Susan George, Präsidentin der französischen Organisation "Observatoire de la mondialisation", befürchtet, dass das europäische Gesundheitswesen weitgehend zerstört wird, weil der bislang staatlich kontrollierte Gesundheitssektor etwa in der Bundesrepublik den privaten US-Gesundheitskonzernen geöffnet werden soll.

    Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, der an den vorbereitenden Verhandlungen für die Milleniums-Runde teilnimmt, sieht in den damit drohenden Privatisierungen eine Grenze des Zumutbaren erreicht. Einem Abkommen über die Liberalisierung des Dienstleistungssektors will er seine Zustimmung verweigern. Ebenso will der DGB sich aus der Mitarbeit zurückziehen, wenn das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit sowie das Recht auf gewerkschaftlichen Zusammenschluss - die sogenannten Kernarbeitsnormen - nicht als verbindliche WTO-Regeln vereinbart werden. Gilbert Marchlewitz vom DGB-Bundesvorstand:

    "Wir werden auch sagen, lieber keine Runde als eine Runde ohne diese Arbeitsgruppen Kernarbeitsnormen. Und zwar nicht nur als Alibigruppe sondern mit einer konkreten Tagesordnung versehen für diese Verhandlungsrunde. Und es ist im Einzelfall eben immer eine Abwägung von Chance und Gefahr. Und es ist ganz klar, wir sehen den Prozess im positiven Sinne kritisch, also wir beurteilen schon sehr konkret, inwieweit Fortschritte tatsächlich gemacht werden. Und wenn das nur eine weitere Liberalisierungsrunde im negativen Sinne wird, dann sind auch die Gewerkschaften nicht für diese Runde."

    Ob allerdings die Gewerkschaften für die Millenium-Runde zur Verfügung stehen oder nicht, hat keine unmittelbaren Folgen. Mitglieder des WTO sind nicht die gesellschaftlichen Organisationen, sondern die Regierungen der beteiligten Staaten. Und obwohl die Bundesregierung dem DGB zugesagt hat, sich für die Verankerung der sogenannten Kernarbeitsnormen einzusetzen, würde sie auch dann an den WTO-Verhandlungen teilnehmen, wenn dazu keine Regelung kommt. Das ist wenigstens aus dem Positionspapier der EU-Kommission zu schließen, das der WTO als gemeinsame Position vorgetragen werden soll. Es heißt dort:

    -- "Die Kommission sieht keine realistische Hoffnung auf einen Konsens über die Einsetzung einer Arbeitsgruppe im Rahmen der WTO."

    Um die Gewerkschaften zu befriedigen, will sich die EU-Kommission um ein Treffen zwischen WTO und Internationaler Arbeitsorganisation bemühen und regelmäßige Kontakte zwischen beiden Organisationen unterstützen. Doch Konsequenzen gegen die Länder, die die Kernarbeitsnormen verletzen, etwa Handelssanktionen, will die EU-Kommission nicht. Auch Jan Eggert vom Bundesverband der Deutschen Industrie hält nichts von Schutzmaßnahmen gegen das sogenannte Sozialdumping, also gegen Produkte, die unter Umgehung der Kernarbeitsnormen hergestellt wurden:

    "Die Frage ist nur, ob man Handelssanktionen nutzen sollte und einführen sollte, um soziale Mindeststandards durchzusetzen. Davon halten wir nichts, weil es möglicherweise dann auch nicht sozialen Mindeststandards bleibt, sondern es geht dann nachher um Menschenrechte und um alle möglichen anderen Fragen; und damit würden wir eigentlich das Welthandelssystem lahm legen."

    Was ungebremste Freiheit von Waren- und Kapitalverkehr bedeutet, ist unlängst in dem für die WTO beispielgebenden Freihandelsabkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko vorexerziert worden: Unter Verweis auf die NAFTA-Vereinbarungen sollte die kanadische Regierung zur Zahlung von 251 Millionen Dollar Schadensersatz an den US-Konzern Ethyl Corporation verurteilt werden, weil sie dem Konzern den Verkauf des hochgiftigen Treibstoffzusatzes MMT durch seine kanadische Tochterfirma verboten hatte.

    Die Freiheit von Waren- und Kapitalverkehr darf aber laut NAFTA-Regeln nicht zugunsten von Umweltauflagen eingeschränkt werden. Angesichts der vom Gericht angedrohten Schadensersatzzahlung für "entgangene Gewinne" an den US-Konzern - so der betreffende Terminus im NAFTA-Vertrag - zog die Regierung ihr Verbot zurück.

    Der dramatische Prozess der Liberalisierung läuft in Deutschland weitgehend vor der Öffentlichkeit verborgen ab. Peter Fuchs hat für den BUND an Gesprächen mit dem Wirtschaftsministerium zur Vorbereitung der Millenium-Runde teilgenommen und urteilt:

    "Es ist ja modern geworden in Zeiten modernerer Herrschaftspraktiken, die Zivilgesellschaft dazu einzuladen, nette Gesprächsrunden zu veranstalten, um unseren Input zu hören. Auch das fand statt, im Wirtschaftsministerium, relativ zitternd und unsicher von deren Seite, aber mit ganz gewisser Sicherheit, dass ihre liberale und auf Freiwilligkeit und gerade Nicht-Regulierung von Konzernen ausgerichtete Politik weitergehen muss, und wir wurden in so einer netten Fragestunde da für ein, zwei Gesprächsthemen eingeladen, konnten aber nicht einmal die an dem Vormittag schon der Business-Community präsentierte schriftliche Fassung der deutschen Position zu Gesicht bekommen."

    Der BUND erhält - trotz solcher Gespräche - die Positionspapiere der Regierung ebenso wenig wie Journalisten sie erhalten. Sie existieren offiziell nicht, die Regierung versteckt sich hinter den gemeinsamen europäischen Stellungnahmen, die die EU-Kommission der WTO vorträgt.

    Dies Versteckspiel hat Methode: auch über den Vorläufer der neuen WTO-Runde, die M.A.I.-Verhandlungen in der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wahrten die beteiligten Regierungen strengstes Stillschweigen. Das hielt von 1996 bis Anfang 1998. Dann platzte die Bombe, irgendjemand hatte geplaudert, die Vertragsentwürfe fanden sich im Internet, eine Protestwelle gegen den Ausverkauf nationaler Souveränitätsrechte und kultureller Identitäten an die transnationalen Konzerne kam ins Rollen. Ende 1998 zog sich die französische Regierung aus den Verhandlungen zurück, und das M.A.I., das Abkommen über multilaterale Investitionen, war vorerst gescheitert.

    Wenige Monate später allerdings finden sich die gleichen Pläne wieder - diesmal bei den Vorbereitungspapieren für die WTO-Millenium-Runde. Die Kritiker plädieren dagegen fürs Innehalten und wenigstens einen zeitweisen Stop der ungebremsten Liberalisierung. Ein Moratorium wird mittlerweile von über 800 Nichtregierungsorganisationen in verschiedensten WTO-Staaten unterstützt. Doch auch eine prinzipielle Gegnerschaft gegen die WTO und die Neuauflage des M.A.I.-Abkommens im Rahmen der WTO wird diskutiert. Karin Mantzen von Friends of the Earth aus Uruguay:

    "Wir sind grundsätzlich gegen die WTO und wir glauben nicht, dass es möglich ist, die transnationalen Konzerne davon zu überzeugen, den Menschen die Ressourcen zurückzugeben, die sie ihnen entwendet haben oder ihnen die Macht zurückzugeben, die sie ihnen entrissen haben. Wir werden sie nicht überzeugen, denn sie haben das gemacht, weil sie es machen wollten. Was wir tun können, ist zusammenzustehen, Widerstand zu leisten und für die Stärkung der Zivilgesellschaft zu kämpfen, für den Zugang und die Kontrolle über alle Ressourcen."

    Das seien Utopien angesichts der ökonomischen und gesellschaftlichen Realitäten, meinen diejenigen, die innerhalb der WTO das Schlimmste abbiegen wollen. Der DGB will denn auch das vorgeschlagene Moratorium nicht, Gilbert Marchlewitz hofft auf Einsicht bei den Mächtigen:

    "Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, die WTO in der Vergangenheit, wenn ich das jetzt mechanistisch in die Zukunft projiziere, dann hab ich davon nichts zu erwarten. Aber man muss einfach auch aus pragmatischen Gründen der Auffassung sein, dass politische Prozesse offen sind."

    Solche Hoffnungen werden zumindest von den Menschen nicht mehr geteilt, die bereits zu Hundertausenden gegen die weitere Liberalisierung von Handel und Investitionen protestieren, wie z.B. in der Türkei, in Argentinien, Mexiko oder Indien. Dass diese Proteste in den reichen Industrieländern nicht einmal wahrgenommen werden, ist ein Zeichen der realen Machtverteilung auf der Welt. Der indisch-deutsche Sozialwissenschaftler Saral Sakar erinnert auch deshalb an den vor nicht einmal einem Jahr gefeierten 50. Jahrestag der Menschenrechtserklärung:

    "Jeder Mensch hat das Recht auf internationalen Schutz, damit er die Menschenrechte genießen kann, die ja schon sämtlich formuliert sind. Sie in die Praxis umzusetzen, darum geht es. Nicht darum, die Verantwortung für die Durchsetzung dieser Rechte abzugeben an den Internationalen Währungsfond oder die WTO. Die Realisierung dieser Menschenrechte, besonders der sozialen Rechte, des Rechts auf Arbeit, auf Bildung, auf würdige Existenz, auf gesundheitliche Vorsorge oder auf Wohnung - die Realisierung dieser Rechte aus der Menschenrechtserklärung kann nur durch die Menschen selbst erzwungen werden, nicht durch internationale Vereinbarungen, die von denen unterzeichnet werden, die die Menschen ausbeuten, ob sie nun in Genf oder in Washington sitzen."

    Link: (Die Erlaßjahr-2000-Kampagne und die Schuldeninitiative der Bundesregierung (17.5.99)==>/cgi-bin/es/neu-hintergrund/88.html)

    Link: (Lomé: Die EU-Entwicklungspolitik formiert sich neu (5.12.99)==>/cgi-bin/es/neu-hintergrund/7.html)