Donnerstag, 28. März 2024

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NO2-Inhalationstests
"Es ist wichtig, dass man unabhängige Forschung hat"

Sowohl die Automobilindustrie als auch Patientenorganisationen müssten einbezogen werden in eine rationale Debatte über Schadstoffe, forderte die Expertin für Luftschadstoffe, Annette Peters, im Dlf. Es gehe darum, Technologien zu entwickeln, mit denen sich Mobilität und saubere Stadtluft vereinbaren ließen.

Annette Peters im Gespräch mit Ralf Krauter | 30.01.2018
    Menschen demonstrieren in Berlin unter dem Motto "Husten wir haben ein Problem".
    Menschen demonstrieren in Berlin gegen Luftverschmutzung (imago/ZUMA Press)
    Ralf Krauter: Zunächst also zu den Hintergründen der umstrittenen Untersuchung, die heute der Aufmacher vieler Zeitungen ist. Es geht um eine von der Automobilindustrie in Auftrag gegebene Studie zu den gesundheitlichen Folgen von Stickstoffdioxid in der Atemluft. Anders als Medienberichte gestern nahelegten, musste dabei allerdings niemand Autoabgase einatmen. Das Reizgas Stickstoffdioxid, das die Probanden mit der Atemluft inhalierten, kam aus einer Gasflasche. Alles Wichtige zur Studie an der Uniklinik Aachen hat Michael Esser zusammengefasst.
    Mitgehört hat Professor Annette Peters. Sie ist Expertin für Luftschadstoffe am Helmholtz-Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt in München. Frau Peters, die 25 Probanden der Studie wurden drei Stunden lang mit Stickstoffdioxidkonzentrationen von maximal 1,5 parts per billion ausgesetzt. Wie gesundheitsschädlich ist so etwas?
    Annette Peters: Die Studie, die von den Aachener Kollegen durchgeführt wurde, hat Konzentrationen von Stickstoffdioxid eingesetzt, wie sie auch in der Vergangenheit schon eingesetzt wurden, und bei denen man leichte, aber sich auch wieder zurückbildende Auswirkungen in Studien, die vor allen Dingen in den 90er-Jahren durchgeführt wurden, schon nachgewiesen hatte.
    "Konzentrationen nicht so hoch"
    Krauter: Was war das zum Beispiel? Reizungen in den Lungenbläschen dann, oder woran macht man das fest?
    Peters: Genau. Die Frage, die hier untersucht wurde, aber auch schon in der Vergangenheit untersucht wurde, gibt es Veränderungen zum Beispiel in der Lungenfunktion, gibt es entzündliche Reaktionen in der Lunge? Weil das ist einer der Mechanismen, die man dem Stickstoffdioxid zuschreibt. Und die Konzentrationen überschritten zwar den zulässigen Wert am Arbeitsplatz, aber waren nicht so hoch, dass man wirklich längerfristige Schäden erwarten würde, und waren in einer Höhe, die ein gesunder Erwachsener eigentlich gut tolerieren kann.
    "Inhalationsversuche können zusätzliche Informationen liefern"
    Krauter: Die Probanden waren ja, soweit ich das weiß, auch alle jung und gesund. Wie legitim und wie üblich ist es, solche Versuche mit freiwilligen Probanden durchzuführen?
    Peters: Die Inhalationsversuche mit freiwilligen Probanden, die natürlich eine Begutachtung durch die zuständige Ethikkommission haben, können wichtige zusätzliche Informationen liefern, weil man über diese Studien den Wirkmechanismus von Schadstoffen besser verstehen kann und eben den Vorteil hat, dass man gesunde Personen unter kontrollierten Bedingungen untersucht und damit andere Einflüsse, die wir ja im täglichen Leben haben, plus andere Schadstoffe, ausschließen kann.
    Anstieg der Mortalität bei Langzeitbelastung
    Krauter: Das heißt, Sie würden sagen, im Prinzip vom Design und von der Fragestellung war diese Studie durchaus legitim, so wie sie aufgesetzt war?
    Peters: Aus meiner Sicht schon. Man muss sich natürlich immer fragen, wie aussagekräftig sind dann die Studien an 25 Probanden, weil eine solche Studie ja nicht das widerlegen kann, was wir in großen epidemiologischen Studien, wo wir ganze Städte oder große Kohortenstudien untersuchen, widerlegen kann. 25 Personen, die nicht reagieren, liefern kein Gegenargument dafür, dass man eben doch einen Anstieg der Mortalität bei einer Langzeitbelastung in städtischen Gebieten hat, so wie wir das eben in den Kohortenstudien nachweisen.
    "Asthmatiker in städtischen Gebieten schwerer betroffen"
    Krauter: Das Fazit der Aachener Forscher war ja, mit dieser kleinen Probandenzahl von 25, es gibt letztlich keine beträchtlichen akuten Nebenwirkungen dieser dort verwendeten Stickstoffdioxid-Konzentration. Ist das für Sie, für diese Studie ein schlüssiger Befund?
    Peters: Aus meiner Sicht ist das übereinstimmend mit den Ergebnissen, die auch schon 2005 vorlagen, als die Weltgesundheitsorganisation die gegenwärtigen Grenzwerte als Richtwerte erarbeitet hat. Auch da haben wir, als wir damals die wissenschaftlichen Ergebnisse aufbereitet haben, gesehen, dass gesunde Erwachsene relativ wenig auf Stickstoffdioxidkonzentrationen reagieren, aber zum Beispiel Asthmatiker Symptome entwickeln, wenn es zeitgleich eine zum Beispiel Pollenexposition und Stickstoffdioxidexposition gibt. Außerdem wissen wir aus neueren Erkenntnissen, die wir hier am Helmholtz-Zentrum erarbeitet haben, dass zum Beispiel Pollen allergener werden, wenn sie Stickstoffdioxid ausgesetzt werden, sodass ich erwarten würde, dass zum Beispiel Asthmatiker in städtischen Gebieten schwerer betroffen sind als die gesunden Personen unter diesen gewählten Versuchsbedingungen.
    "Wir halten Stickstoffdioxide für gesundheitsgefährdend"
    Krauter: Wie ist es denn aus Ihrer Sicht zu bewerten, dass die Ergebnisse dieser kontrollierten Studie aus Aachen dann 2015 in einem Bericht der Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor auftauchen, dessen Tenor ist, die Gesundheitsgefahr durch Dieselabgase ist überschätzt. Gibt diese Studie das her?
    Peters: Das kommt immer darauf an, wie man natürlich die Evidenz bewertet. Aus meiner Sicht ordnet sich diese Studie eigentlich sehr gut in das ein, was ein Expertengremium im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation bewertet hat. Und damals sind wir zu anderen Schlüssen gekommen. Wir sind damals zu dem Schluss gekommen und haben das auch 2013 in einem Expertenstatement noch mal bestätigt, dass wir Stickstoffdioxide für gesundheitsgefährdend halten, basierend auf der gegenwärtigen Evidenz.
    "Gerade in diesem Bereich nicht genug Forschung gegeben"
    Krauter: Verstehen Sie die Aufregung um diese Aachener Studie, die sich da gestern ergeben hat?
    Peters: Ja und nein. Auf der einen Seite denke ich, dass wir in der Tat Studien brauchen, die die Wirkmechanismen der Luftschadstoffe untersuchen, und da hat es eigentlich aus meiner Sicht auch in der Vergangenheit nicht genug Forschung gegeben, gerade in diesem Bereich. Gleichzeitig ist es natürlich wichtig, dass diese Forschung möglichst unabhängig ist.
    "Mobilität gewährleisten und Luft in Städten sauber halten"
    Krauter: Der Verdacht, dass sich Forscher da vielleicht instrumentalisieren ließen von der Automobilindustrie, wurde ja zumindest von anderen Experten vorgebracht. Welche Lehren müsste man aus Ihrer Sicht aus diesem Fall ziehen?
    Peters: Aus meiner Sicht ist wichtig zu wissen, dass diese Forschung im Bereich der Luftschadstoffe eine klare politische Dimension hat und dass dadurch sich eben auch kontroverse Diskussionen entzünden können. Daher finde ich es wichtig, dass man unabhängige Forschung hat, die dann eben auch aus den unterschiedlichen Blickwinkeln diskutiert wird. Da ist die Einbeziehung von den unterschiedlichen Interessenvertretern, die von Patientenorganisationen bis hin zur Automobilindustrie aus meiner Sicht sehr wichtig. Wir hatten Ende der 90er-Jahre für solche Diskussionen offene Foren, und die gibt es leider nicht mehr im Moment. Ich denke, das ist in der Tat wichtig, dass man die Diskussion auf eine rationale Basis setzt, und das Wissen, was wir Gesundheitsforscher erarbeiten, dazu nutzt, um für die Zukunft Technologien entwickeln, die auf der einen Seite unsere Mobilität gewährleisten und auf der anderen Seite die Luft in den Städten sauber halten.
    Krauter: Zur umstrittenen NO2-Studie an der Uniklinik Aachen waren das Infos und Einschätzungen von Professor Annette Peters vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in München.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.