Ralf Krauter: Herr Lange, Sie haben die beiden Forscher bei der Preisverleihung im März kennen gelernt. Würden Sie sich dem Urteil von Professor Fleckenstein, was die Personen der beiden angeht, als Forscher anschließen?
Michael Lange: Ja, es sind wirklich alles andere als Wissenschaftsstars. Sie sind sehr locker im Umgang, sehr zurückhaltend beide, wobei sie von der Mentalität schon etwas unterschiedlich sind. Craig Mello ist ein großer, schlanker Mann - der Professor, der sicherlich auch bei den Studentinnen gut ankommt, einer, der gut plaudern kann, der sofort in seinen Bann zieht, wenn er etwas erklärt. Andrew Fire ist ein ganz zurückhaltender Schüchterner, man kann sich richtig vorstellen, wie der sich im Labor in Fragen verbeißt, bis er sie gelöst hat. Aber beide, so unterschiedlich sie auch sind, haben einen sehr lockeren Draht zueinander und als ich sie beide interviewt habe, ging das immer nur so hin und her und die schauten sich kurz an und jeder wusste genau, was der andere jetzt sagen würde.
Krauter: Also zwei sehr unterschiedliche Charaktere, die aber offenbar gut miteinander können, beruflich wenigstens. Das waren aber doch schon so ein bisschen wissenschaftliche Außenseiter eigentlich, damals als sie ihre Bahn brechenden Arbeiten machten?
Lange: Ja, das kann man so sagen. Man muss sich vorstellen, das war damals 1997, als die wichtigsten Arbeiten gemacht wurden, 1998 wurden sie dann veröffentlicht. Das war ja die Zeit, als das Genom entziffert wurde, das menschliche Erbgut. Und alles schaute darauf, da waren die großen Stars, da war das große Geld zu holen, und die beiden waren, ich will mal sagen, in etwas abseitigen kleinen Labors tätig und standen nicht so im Fokus der Öffentlichkeit. Aber sie hatten sicherlich auch nicht das große Geld. Sie waren im Grunde Konkurrenten, die an verschiedenen Stellen in den USA arbeiteten, aber weil ihr Forschungsgebiet so klein war, standen sie ständig über E-Mail und Telefon in Kontakt, und sie haben sehr offen Informationen ausgetauscht. Das haben sie auch erzählt, diese Offenheit im Kontakt hat es kleinen Forschergruppen am Rande ermöglicht, diesen großen Wurf zu machen.
Krauter: Lassen Sie uns kurz einen ersten Blick auf die Arbeit der beiden machen. Der Mensch hat rund 30.000 Gene, das wissen wir seit ein paar Jahren. Die dürfen nicht alle gleichzeitig in Aktion treten. Es geht um das kontrollierte An- und Abschalten von Genen und die Kontrolle des genetischen Informationsflusses.
Lange: Genau. Das Erbgut erklärt ja nicht allzu viel, es ist wirklich nur eine Informationssammlung. Das Erbgut ist aber aktiv und wo Gene an- oder abgeschaltet werden, ist für den Körper unheimlich wichtig. Man kann sich zum Beispiel vorstellen, dass Viren in dieses Erbgut eingreifen und plötzlich dafür sorgen, dass ihre Gene aktiv werden. Der Körper muss also Möglichkeiten haben, die Gen-Aktivität zu bremsen. Und die hat er in der Natur tatsächlich durch diese RNS-Interferenz, und das haben die beiden Forscher an Fadenwürmern - C. elegans - erforscht. Das ist insofern eine ganz zentrale Fähigkeit, um das Erbgut zu verstehen, aber auch, um zu verstehen, was wirklich im Körper von Organismen und letztlich des Menschen abläuft.
Krauter: Im Labor ist die RNS-Interferenz sicher interessant, aber den Nobelpreis für Medizin gibt es doch eigentlich für therapeutische Anwendungen. Sind die schon in Sicht?
Lange: Die sind zumindest denkbar und es gibt viele Labors in der ganzen Welt, die mit dieser RNS-Interferenz neue Heilmethoden entwickeln wollen. Man kann es ganz grob einteilen in drei Gruppen: einmal versucht man, Gene zu regulieren, indem man sie wieder richtig eingestellt, zum Beispiel, indem man Gene stilllegt, den Cholesterin-Stoffwechsel senkt, die Cholesterinmenge im Körper senkt. Das ist ein Beispiel für einen solchen Eingriff in den Stoffwechsel. Das Zweite sind wuchernde Zellen, Krebs. Man versucht einfach, die Wucherung zu stoppen, indem man bestimmte Gene in den Krebszellen lahm legt. Die dritte Gruppe, auch mit sehr vielen Forschungsmitteln, sind dann Viruserkrankungen. Man versucht, das Erbgut der Viren, die ja ihr eigenes Erbgut in der Zelle vermehren wollen, stillzulegen und in der Zelle zerstören zu lassen. Da gibt es Beispiele, Hepatitis B, das Marburg-Virus oder auch die Influenza, also das Vogelgrippe-Virus. Auch da wird an Methoden gearbeitet, mit dieser RNS-Interferenz, die heute mit dem Nobelpreis geehrt wird, diese Krankheiten zu bekämpfen.
Krauter: Wie sieht es denn mit Nebenwirkungen aus? Das klingt alles prima, aber das Problem ist, man muss diese Erbgut-Abschriften an den Ort bringen, wo sie wirken sollen. Ist das denn so einfach?
Lange: Das ist nicht so einfach. Man hat zum Vektoren eingesetzt, Genfähren, die aus der Gentherapie bekannt sind, und diese Vektoren haben allerlei Probleme mit sich gebracht. Es gibt zum Beispiel gerade eine Veröffentlichung aus diesem Jahr, da hat man versucht, Mäuse von Hepatitis C zu befreien. Dabei sind alle Mäuse an der Therapie gestorben. Man hat versucht, mit RNS-Interferenz, mit kleinen RNS-Schnipseln, die Viren abzutöten. Was natürlich zeigt, dass man hier in einem ganz grundlegenden Mechanismus der Biologie eingreift. Und je grundlegender man eingreift, desto größer ist die Gefahr von Nebenwirkungen. Und das Beispiel mit den Hepatitis-C-Mäusen zeigt, das man das Verfahren noch nicht richtig im Griff hat. Das Problem ist natürlich auch, die RNS genau an die richtige Stelle zu bekommen, und es gibt ein Beispiel, wo das sehr erfolgreich gemacht wird, wo eine klinische Studie schon läuft, das ist die Makula-Degeneration. Das ist eine blind machende Wucherung von Blutgefäßen im Auge. Diese Blutgefäße kann man stoppen und da hat man tatsächlich jetzt in einer Studie in den USA, von mehreren Firmen auch gesponsert, erste Erfolge gefeiert. Dass Mello und Fire jetzt den Nobelpreis erhalten, geht auf jeden Fall in Ordnung. Ich denke, es gibt keine Entwicklung, die die Laborarbeit in den letzten zehn Jahren so stark verändert hat, wie diese von Mello und Fire. Und die medizinischen Optionen sind riesig. Ob sich die dann auch umsetzen lassen, das ist eigentlich schon eine Floskel für alle Medizinjournalisten, das wird sich in den kommenden zehn Jahren zeigen.
Michael Lange: Ja, es sind wirklich alles andere als Wissenschaftsstars. Sie sind sehr locker im Umgang, sehr zurückhaltend beide, wobei sie von der Mentalität schon etwas unterschiedlich sind. Craig Mello ist ein großer, schlanker Mann - der Professor, der sicherlich auch bei den Studentinnen gut ankommt, einer, der gut plaudern kann, der sofort in seinen Bann zieht, wenn er etwas erklärt. Andrew Fire ist ein ganz zurückhaltender Schüchterner, man kann sich richtig vorstellen, wie der sich im Labor in Fragen verbeißt, bis er sie gelöst hat. Aber beide, so unterschiedlich sie auch sind, haben einen sehr lockeren Draht zueinander und als ich sie beide interviewt habe, ging das immer nur so hin und her und die schauten sich kurz an und jeder wusste genau, was der andere jetzt sagen würde.
Krauter: Also zwei sehr unterschiedliche Charaktere, die aber offenbar gut miteinander können, beruflich wenigstens. Das waren aber doch schon so ein bisschen wissenschaftliche Außenseiter eigentlich, damals als sie ihre Bahn brechenden Arbeiten machten?
Lange: Ja, das kann man so sagen. Man muss sich vorstellen, das war damals 1997, als die wichtigsten Arbeiten gemacht wurden, 1998 wurden sie dann veröffentlicht. Das war ja die Zeit, als das Genom entziffert wurde, das menschliche Erbgut. Und alles schaute darauf, da waren die großen Stars, da war das große Geld zu holen, und die beiden waren, ich will mal sagen, in etwas abseitigen kleinen Labors tätig und standen nicht so im Fokus der Öffentlichkeit. Aber sie hatten sicherlich auch nicht das große Geld. Sie waren im Grunde Konkurrenten, die an verschiedenen Stellen in den USA arbeiteten, aber weil ihr Forschungsgebiet so klein war, standen sie ständig über E-Mail und Telefon in Kontakt, und sie haben sehr offen Informationen ausgetauscht. Das haben sie auch erzählt, diese Offenheit im Kontakt hat es kleinen Forschergruppen am Rande ermöglicht, diesen großen Wurf zu machen.
Krauter: Lassen Sie uns kurz einen ersten Blick auf die Arbeit der beiden machen. Der Mensch hat rund 30.000 Gene, das wissen wir seit ein paar Jahren. Die dürfen nicht alle gleichzeitig in Aktion treten. Es geht um das kontrollierte An- und Abschalten von Genen und die Kontrolle des genetischen Informationsflusses.
Lange: Genau. Das Erbgut erklärt ja nicht allzu viel, es ist wirklich nur eine Informationssammlung. Das Erbgut ist aber aktiv und wo Gene an- oder abgeschaltet werden, ist für den Körper unheimlich wichtig. Man kann sich zum Beispiel vorstellen, dass Viren in dieses Erbgut eingreifen und plötzlich dafür sorgen, dass ihre Gene aktiv werden. Der Körper muss also Möglichkeiten haben, die Gen-Aktivität zu bremsen. Und die hat er in der Natur tatsächlich durch diese RNS-Interferenz, und das haben die beiden Forscher an Fadenwürmern - C. elegans - erforscht. Das ist insofern eine ganz zentrale Fähigkeit, um das Erbgut zu verstehen, aber auch, um zu verstehen, was wirklich im Körper von Organismen und letztlich des Menschen abläuft.
Krauter: Im Labor ist die RNS-Interferenz sicher interessant, aber den Nobelpreis für Medizin gibt es doch eigentlich für therapeutische Anwendungen. Sind die schon in Sicht?
Lange: Die sind zumindest denkbar und es gibt viele Labors in der ganzen Welt, die mit dieser RNS-Interferenz neue Heilmethoden entwickeln wollen. Man kann es ganz grob einteilen in drei Gruppen: einmal versucht man, Gene zu regulieren, indem man sie wieder richtig eingestellt, zum Beispiel, indem man Gene stilllegt, den Cholesterin-Stoffwechsel senkt, die Cholesterinmenge im Körper senkt. Das ist ein Beispiel für einen solchen Eingriff in den Stoffwechsel. Das Zweite sind wuchernde Zellen, Krebs. Man versucht einfach, die Wucherung zu stoppen, indem man bestimmte Gene in den Krebszellen lahm legt. Die dritte Gruppe, auch mit sehr vielen Forschungsmitteln, sind dann Viruserkrankungen. Man versucht, das Erbgut der Viren, die ja ihr eigenes Erbgut in der Zelle vermehren wollen, stillzulegen und in der Zelle zerstören zu lassen. Da gibt es Beispiele, Hepatitis B, das Marburg-Virus oder auch die Influenza, also das Vogelgrippe-Virus. Auch da wird an Methoden gearbeitet, mit dieser RNS-Interferenz, die heute mit dem Nobelpreis geehrt wird, diese Krankheiten zu bekämpfen.
Krauter: Wie sieht es denn mit Nebenwirkungen aus? Das klingt alles prima, aber das Problem ist, man muss diese Erbgut-Abschriften an den Ort bringen, wo sie wirken sollen. Ist das denn so einfach?
Lange: Das ist nicht so einfach. Man hat zum Vektoren eingesetzt, Genfähren, die aus der Gentherapie bekannt sind, und diese Vektoren haben allerlei Probleme mit sich gebracht. Es gibt zum Beispiel gerade eine Veröffentlichung aus diesem Jahr, da hat man versucht, Mäuse von Hepatitis C zu befreien. Dabei sind alle Mäuse an der Therapie gestorben. Man hat versucht, mit RNS-Interferenz, mit kleinen RNS-Schnipseln, die Viren abzutöten. Was natürlich zeigt, dass man hier in einem ganz grundlegenden Mechanismus der Biologie eingreift. Und je grundlegender man eingreift, desto größer ist die Gefahr von Nebenwirkungen. Und das Beispiel mit den Hepatitis-C-Mäusen zeigt, das man das Verfahren noch nicht richtig im Griff hat. Das Problem ist natürlich auch, die RNS genau an die richtige Stelle zu bekommen, und es gibt ein Beispiel, wo das sehr erfolgreich gemacht wird, wo eine klinische Studie schon läuft, das ist die Makula-Degeneration. Das ist eine blind machende Wucherung von Blutgefäßen im Auge. Diese Blutgefäße kann man stoppen und da hat man tatsächlich jetzt in einer Studie in den USA, von mehreren Firmen auch gesponsert, erste Erfolge gefeiert. Dass Mello und Fire jetzt den Nobelpreis erhalten, geht auf jeden Fall in Ordnung. Ich denke, es gibt keine Entwicklung, die die Laborarbeit in den letzten zehn Jahren so stark verändert hat, wie diese von Mello und Fire. Und die medizinischen Optionen sind riesig. Ob sich die dann auch umsetzen lassen, das ist eigentlich schon eine Floskel für alle Medizinjournalisten, das wird sich in den kommenden zehn Jahren zeigen.