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Noble: EU-Austritt Großbritanniens steht nicht zur Debatte

Ein britischer EU-Austritt stehe nicht zur Diskussion, meint der stellvertretende britische Botschafter in Deutschland Andrew Noble. Im Anschluss an die von Premierminister David Cameron angedrohte EU-Haushaltsblockade waren Austrittsforderungen laut geworden. Diese würden jedoch nicht die Position der britischen Regierung widerspiegeln.

Andrew Noble im Gespräch mit Martin Zagatta | 27.10.2012
    Guido Westerwelle: Alle sind willkommen, ihre Ideen einzubringen. Sollte aber der eine oder der andere zunächst mitgehen können oder auch nicht mitgehen wollen, dann darf und wird das die anderen nicht davon abhalten, voranzugehen.

    William Hague: Die EU-Skepsis der Briten ist größer denn je, die Union allzu oft als Diktat empfunden.

    Martin Zagatta: Der britische Außenminister William Hague antwortet Guido Westerwelle, das Ganze diese Woche in Berlin, und deutlich zu hören: Die Bundesregierung setzt in der Schuldenkrise auf mehr Europa, will Brüssel mit weiteren Kompetenzen ausstatten, London setzt auf weniger Europa, will sogar Kompetenzen aus Brüssel zurückholen.

    Und dass Premierminister Cameron auch noch mit einem Veto droht oder drohen soll bei den Verhandlungen über den nächsten EU-Haushalt, darüber ist Bundeskanzlerin Merkel dem Vernehmen nach ganz schön verärgert.

    Darüber konnten wir mit Andrew Noble sprechen, dem stellvertretenden Botschafter Großbritanniens in Deutschland, ob das jetzt ein schwieriger Moment ist, in den Beziehungen zwischen London und Berlin oder ob man das als Diplomat immer noch schönreden muss.

    Andrew Noble: Man muss das nicht schönreden, wenn es nicht stimmt. Ich finde, es gibt sehr viele Gespräche zurzeit. Wir stehen vor großen Problemen, vor großen Herausforderungen für alle Regierungen in der EU. Und es ist normal und natürlich, dass die Gespräche fortlaufen. Ich finde es gut, dass jetzt so viele Gespräche gerade zwischen unseren beiden Hauptstädten stattfinden.

    Zagatta: Jetzt soll sich Frau Merkel aber ganz gewaltig ärgern, dass David Cameron, also Ihr Premierminister, mit einem Veto droht bei den EU-Haushaltsverhandlungen. Ist das für Sie beunruhigend?

    Noble: Ich weiß nichts von einem Veto, ich muss ganz ehrlich sagen, dass sehr viele Gespräche zurzeit stattfinden über das Budget für die EU. Die britische Regierung vertritt eine sehr klare Haltung: Angesichts der Sparmaßnahmen, die bei uns stattgefunden haben, und in den meisten Mitgliedsstaaten, ist es nicht zu vertreten, dass das Budget für die EU um sechs Prozent steigt. Und wir setzen uns dafür ein, dass das mit Augenmaß gemacht wird, und dass das Budget bis zu einer Inflationsrate Wachstum gehalten werden soll.

    Zagatta: Also bis zur Inflationsrate würden Sie mitgehen. Warum gibt es da zwischen Deutschland und Großbritannien so große Unterschiede überhaupt? Deutschland ist ja der größte Zahler überhaupt, also Deutschland trägt die Hauptlast.

    Noble: Und Großbritannien ist der zweite Nettozahler.

    Zagatta: Aber Sie haben Ihren Britenrabatt?

    Noble: Und deswegen betone ich Nettozahler. Selbst mit dem Rabatt sind wir der zweitgrößte Nettozahler, und deswegen sind die Haltungen der britischen und der deutschen Regierung sehr gemeinsam. Und es gibt natürlich taktische Erwägungen – im Grunde genommen haben die Briten und die Deutschen auch die gleiche Meinung vertreten.

    Zagatta: Und warum ist Frau Merkel dann jetzt so sauer auf Herrn Cameron?

    Noble: Ich kann nichts zur Laune der Bundeskanzlerin sagen.

    Zagatta: Aber das lesen Sie in den Zeitungen, das müssen Sie doch als Diplomat an Ihre Regierung weitergeben?

    Noble: Aber ich muss nicht alles, was ich in den Zeitungen lese, glauben.

    Zagatta: Ah ja, Sie glauben das auch nicht?

    Noble: Ich glaube es nicht. Es wird ein Gespräch darüber geführt, Frau Merkel wird demnächst nach London fahren, und jedes Mal, wenn die Bundeskanzlerin und der Premierminister sich treffen, muss ich ganz ehrlich sagen, da gibt es sehr großes Verständnis.

    Zagatta: Wenn man dann auf den britischen Haushalt schaut, Sie sind in Großbritannien mit acht Prozent Neuverschuldung fast auf einer Linie mit Griechenland, mit Spanien, sind fast genau so verschuldet. Ist es da nicht irgendwie auch ein Witz, wenn London anderen erzählen will, wie man zu sparen hat?

    Noble: Nein, das ist ganz im Gegenteil, dass wir sagen, dass wir alle sparen müssen. In Großbritannien wird jetzt gewaltig gespart, das Defizit ist zwar immer noch um die acht Prozent, aber vor zwei Jahren war es um elf Prozent. Also Defizit ist bei uns heruntergekommen, wir haben immer noch Neuverschuldungen, die Neuverschuldung ist größer als in Deutschland, aber die Gesamtzahl der Schuldenlast ist in unseren beiden Ländern relativ gleich.

    Wir denken, dass wir sparen müssen, ich glaube, die deutsche Regierung ist auch der Meinung, dass die Länder, die nicht so viel verdienen, auch sparen müssen. Und wir denken, dass das auch konsequent in der EU durchgeführt werden muss.

    Zagatta: Herr Noble, beim Fiskalpakt, also bei den ausdrücklichen Sparvorschriften, da machen 25 von 27 EU-Staaten mit, Großbritannien nicht. Nehmen Sie da nicht langsam doch hin, dass Großbritannien sich in Europa ziemlich isoliert?

    Noble: Isoliert sind wir, glaube ich, nicht, wir sind immer noch in der Meinungsbildung. Es gibt Entscheidungen, die bald getroffen werden müssen für den starken Euro. Wir setzen uns auch für den starken Euro ein, der Euro ist auch in der britischen Wirtschaft der Hauptfaktor, warum unsere Konjunktur nicht stark genug wächst. Aber das ist nicht unsere Währung. Wir haben die eigenen Maßnahmen für den Pfund genommen, und diese Maßnahmen werden jetzt für den Euro benötigt, und das unterstützen wir natürlich, und wir wollen einen möglichst starken Euro sehen.

    Zagatta: Ist das für Sie nicht ein Problem? Sie sagen, der Euro ist der Hauptgrund, dass es in Großbritannien nicht so richtig läuft, aber gleichzeitig haben Sie eigentlich nichts mitzureden.

    Noble: Wir reden mit, wir werden auch angehört, aber die Maßnahmen, die getroffen werden, werden nicht von uns durchgeführt, weil das eigentlich die Eurozone anbetrifft und nicht die Pfund-Zone.

    Zagatta: Hat da Außenminister Westerwelle recht, der Ihrem Außenminister William Hague in dieser Woche gesagt hat, also wer nicht mitmacht, der wird zurückgelassen?

    Noble: So sehen wir das nicht. Ich glaube nicht, dass die Europäische Union eine einheitliche Union ist. Alle Mitgliedsstaaten spielen ihre eigene Rolle. Wir haben viele Mitgliedsstaaten, die zum Beispiel in der Außen- und Sicherheitspolitik überhaupt keine Rolle spielen, da sind die Briten sehr stark.

    Zagatta: Aber Großbritannien ist ein großes Land, kann man sich das da leisten, dass es da ein Europa von zwei Geschwindigkeiten gibt, und dass Großbritannien da vielleicht hinterherhinkt?

    Noble: Ich glaube nicht, dass wir von einem Europa von zwei Geschwindigkeiten sprechen können. Aber es gibt eine variable Geometrie. Wir sind als Großbritannien kein Mitglied im Euro, auch nicht in Schengen, aber wir sind ein sehr starkes und sehr aktives Mitglied in vielen anderen Bereichen der Europäischen Union, und wie wir von vielen Regionen, Regierungen und Leuten hören, ist es heutzutage mehr erwünscht denn je, dass die Europäische Union auch die Vielfalt der europäischen Völker und Länder widerspiegelt. Und nicht, dass wir alle gleich sein müssen.

    Zagatta: Aber trotzdem geht es ja irgendwie auch um eine gemeinsame Politik, also London ist zum Beispiel beim Schengen-Abkommen nicht dabei, will jetzt aus anderen Abkommen wie den europäischen Haftbefehl, so hört man, auch wieder aussteigen. Ist Großbritannien – wird das nicht mittlerweile so empfunden? –, ist Großbritannien nicht längst ein Störenfried da in der Europäischen Union, oder zumindest eine Nervensäge?

    Noble: Ich glaube, das wäre ein großer Fehler, wenn man aus einigen Themenbereichen eine Gesamtschlussfolgerung zieht, die eigentlich nicht zutrifft. Großbritannien ist zumindest in acht von den bedeutendsten Bereichen ein sehr aktives Mitglied in der Europäischen Union, was den Binnenmarkt angeht, was unseren Außenhandel angeht, was eigentlich zur Konkurrenz und zur Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union überhaupt in der Welt zählt, da sind wir sehr engagiert, wir wollen da eine starke Rolle spielen.

    Wir setzen uns für eine starke Regulierung der Banken in der Europäischen Union und auch in allen Mitgliedsländern da ein. Und die europäische Wettbewerbsfähigkeit ist eigentlich der Themenbereich, der zur Stärkung der wirtschaftlichen Hoffnungen für alle unsere Völker leitet.

    Zagatta: Was ist denn da mit Forderungen oder Drohungen, die immer wieder aus London kommen, aus der EU auszutreten? Sind die ernst gemeint?

    Noble: Die britische Regierung hat sehr deutlich gemacht, dass es überhaupt keine Frage ist, dass Großbritannien aus der EU scheidet. Man hört diese politischen Stimmen von vielen Parteien, und wir haben auch eine Partei, die mit neun Prozent in den Umfragen steht und die einen Austritt fordert. Aber das ist nicht die Position der britischen Regierung, und es würde mich sehr erstaunen, wenn es die Position wird.

    Zagatta: Andrew Noble, der stellvertretende britische Botschafter in Deutschland. Herr Noble, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Noble: Vielen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.