Freitag, 03. Mai 2024

Archiv


Noch 1,2 Meter Fels

Technik. - In der Schweiz nähert sich eines der ehrgeizigsten Infrastrukturprojekte Europas seinem offenbar glücklichen Ende. In der Oströhre des Gotthard-Basistunnels sind nur noch 1,2 Meter Fels zu durchfräsen, in der Weströhre ist man noch 2300 Meter zurück. Die Bauherren des Projektes rechnen damit, dass der Tunnel 2016 in Betrieb gehen kann.

Von Pascal Lechler | 14.10.2010
    In 1800 Meter Tiefe frisst sich die Tunnelbohrmaschine kurz TBM durch das Gestein des Gotthardmassivs. 400 Meter ist das Monstrum aus Deutschland lang. 10 Motoren treiben diesen Riesenmaulwurf aus Stahl mit 5000 PS an. Der Bohrkopf ist mit 62 Rollmeißeln bestückt. In einer Art Führerkabine steht Franz Steiner. Er hat mehrere Bildschirme im Blick. 18 bis 20 Meter bohrt er sich durch den Stein.

    "Blöd gesagt, kann man mit zwei, drei Fingern die Maschine immer auf Kurs halten. Aber es gehört schon mehr dazu, nicht nur zwei, drei Finger. Aber rein theoretisch wird das alles nur mit diesem Knopf hier gesteuert, dass die Maschine auf Kurs bleibt."

    Das ausgebrochene Gestein wird auf Förderbändern abtransportiert, der nackte Fels sofort mit Spritzbeton besprüht. Zwei TBM fressen sich zur Zeit von Süden nach Norden. Die eine in der Oströhre des neuen Gotthard-Basistunnels ist faktisch am Ziel. Sie muss morgen noch genau 1,2 Meter Fels überwinden – ein Schauspiel für die Fernsehkameras - dann ist der Durchbruch geschafft, der längste Eisenbahntunnel der Welt gegraben. In der Weströhre hingegen liegen noch gut 2300 Meter Berg vor der zweiten TBM. Hier gab es unerwartete Zwischenfälle – der Berg rutschte von oben nach, erzählt der Chef des Bauherrn Alptransit, Renzo Simoni.

    "Tunnelbau ist immer mit Unwägbarkeiten und Risiken verbunden, was die Geologie und das bautechnische Verhalten des Berges betrifft. Und die Mineure sagen immer: 'Vor der Hacke ist es duster.' Das heißt, man hat eigentlich immer bis auf den letzten Meter keine absolute Gewissheit, womit der Berg aufwartet. Und insofern sind Terminprognosen oder Kostenprognosen sehr schwierig."

    Je nach Beschaffenheit des Berges setzen die Tunnelarbeiter entweder die TBM ein oder bahnen sich per Sprengvortrieb den Weg durch den Fels.
    Geologen wie Anita Weber haben zuvor den Berg analysiert. Es ging darum herauszufinden, auf welches Gestein man tief unten stoßen wird.

    "Da sind Geologen über die Oberfläche gelaufen, haben da die Gesteine aufgenommen, haben geguckt, wie die Schieferung ist, das heißt, wie die Lage der Schieferung einfällt, und die ist hier so, dass die fast senkrecht geht, als ganz steil geneigt. Und dann macht man eine Projektion nach unten auf die Tunnelbohrachse eigentlich. Und jetzt unsere Aufgabe hier unten im Tunnel ist, die Sondierung nochmals zu überprüfen und dann im Vortrieb vorne nochmals Bohrungen machen, horizontal, kurze 70 Meter lange Bohrungen machen, und da nochmals die Prognose überprüfen."

    Geht diesmal auch in der Weströhre alles glatt, dann könnten bereits Ende 2016 die ersten Züge durch die 57 km langen Röhren brausen. Das Revolutionäre an dem Tunnel ist, dass er nur eine geringe Steigung besitzt. Eine einzige Lok wird ausreichen einen vollbeladenen Güterzug durch die Alpen zu ziehen. Hinzukommt, dass allein die Güterzüge doppelt so schnell wie durch den alten, viel kürzeren Gotthard-Eisenbahntunnel fahren können. Im Personenverkehr sollen sogar Hochgeschwindigkeitszüge eingesetzt werden. Analysen haben ergeben, dass die Sicherheit im Tunnel später höher sein wird, als auf den offenen Strecken vor und hinter dem Tunnel. Rein baulich wurde das Maximum für die Sicherheit gemacht, versichert Oberbauleiter Stefan Gielchen.

    "Es gibt also zwei Röhren, eine Röhre zum Einfahren, die andere Röhre zum Ausfahren. Und die beiden Röhren sind alle 300 Meter mit Querschlägen verbunden, was schon einmal ein sehr hoher Standard der Sicherheit ist. Dann gibt es an den Drittelspunkten so genannte Nothaltestellen, die auch noch einmal besonders ausgestattet sind, was die Lüftung betrifft, was auch sehr wichtig ist für die Evakuierung von Personal und Personen, Mitreisenden aus den Zügen heraus. Da ist der Standard doch sehr hoch."

    In drei Volksabstimmungen haben die Schweizer das Tunnelprojekt abgesegnet. Protest gab es gegen das 9-Milliarden-Euro-Projekt nie. Wenn die TBM morgen mit nur wenigen Zentimetern Abweichung am gewünschten Punkt den Fels durchbricht, wird die Schweiz vor allem eines tun: Vor den Augen der Weltöffentlichkeit ihren Pioniergeist im Tunnelbau feiern.