Archiv


"Noch hat das alte Verfahren wohl das größere Vertrauen in der Bevölkerung"

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe befasst sich ab heute mit dem Einsatz von Wahlcomputern. Bei der Bundestagswahl 2005 wurden die Geräte in einigen Bundesländern eingesetzt, zwei Wähler hatten Beschwerde unter anderem wegen Manipulationsmöglichkeiten eingereicht. Max Stadler (FDP) vom Innenausschuss des Bundestages lehnt das elektronische Wahlverfahren nicht ab - propagiert aber eher das altmodische Verfahren des Stimmzettels.

Max Stadler im Gespräch mit Christian Schütte |
    Christian Schütte: Wahlen in Deutschland sollen frei, gleich, geheim und öffentlich vonstatten gehen. So sieht es unser Grundgesetz vor. Öffentliche Wahlen, das heißt auch: es muss am Ende nachprüfbar sein, wer wie viele Stimmen bekommen hat. Bürgerrechtler und Datenschützer sehen allerdings Probleme, wenn nicht mit Bleistift auf einem Stimmzettel angekreuzt wird, sondern wie zum Beispiel bei der Bundestagswahl 2005 in den Wahlurnen in manchen Wahllokalen ein Wahlcomputer steht, denn ein solcher Wahlcomputer könnte manipuliert sein. Ab heute beschäftigt sich das Bundesverfassungsgericht mit dieser Problematik.
    Mitgehört hat der FDP-Politiker Max Stadler, stellvertretender Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages. Guten Morgen, Herr Stadler.

    Max Stadler: Guten Morgen.

    Schütte: Haben Sie schon einmal mit einem Wahlcomputer gewählt?

    Stadler: Nein, aber es gibt ja auch beispielsweise Fernsehsendungen, wo Ähnliches gemacht wurde. In der Früh zeigt eigentlich das Fernsehen sogar "Wie würden sie entscheiden?". Da haben die Zuschauer dann ja so abgestimmt und so ähnlich wäre dies ja auch bei dem Wahlcomputer auf Knopfdruck um 18 Uhr und eine halbe Minute später läge das Ergebnis vor. Deswegen ist das natürlich durchaus verlockend, sich solcher neuer technischer Methoden zu bedienen.

    Schütte: Nun sind TV-Sendungen das eine, demokratische Wahlen sind das andere. Vertrauen Sie darauf, dass der Wahlcomputer Eins und Eins richtig zusammenzählt?

    Stadler: Ich glaube schon, dass die Klagen, die in Karlsruhe heute verhandelt werden, abgewiesen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bundestagswahl für ungültig erklärt wird. Ich meine eher, dass es sich nicht um ein verfassungsrechtliches Problem handelt, sondern um ein verfassungspolitisches Problem. Niemand will sich ja dem technischen Fortschritt in den Weg stellen, aber nicht alles, was rechtlich und technisch zulässig ist, muss man wirklich praktizieren. Ich persönlich meine, die Zeit ist noch nicht reif für den Einsatz solcher Wahlcomputer.

    Schütte: Das heißt, die Politik sollte unabhängig von dem Urteil, zu dem die Richter im Frühjahr vermutlich kommen werden, schon jetzt die Konsequenz ziehen und sagen, es wird in Deutschland nicht mit diesen Maschinen gewählt?

    Stadler: Wenn das Karlsruher Gericht uns vorgibt, dass der Einsatz solcher Wahlcomputer unzulässig ist, dann erledigt sich eine weitere Überlegung für die Politik. Aber unabhängig davon meine ich, dass man einen Versuch durchaus einmal machen durfte, aber dass gerade im Lichte der aktuellen Diskussion der Bundestag und das Bundesinnenministerium von sich aus im Moment auf den weiteren Einsatz solcher Wahlcomputer verzichten sollte. Und zwar aus folgendem Grund: Das Misstrauen der Bevölkerung ist doch in letzter Zeit deutlich gewachsen, weil wir ja durch verschiedene aktuelle Ereignisse auch wissen, wie manipulierbar auch Computer sind. Gerade in der öffentlichen Debatte um die heimlichen Online-Durchsuchungen war ja ein wesentliches Argument gegen diese Zugriffe auf Computer von außen, dass dann der Inhalt eines PCs oder eines Laptops, einer Festplatte manipuliert werden kann. Das ist theoretisch jedenfalls ja auch bei Wahlcomputern möglich und daher glaube ich, dass im Moment nicht genug Vertrauen in die Sicherheit dieses Systems besteht, obwohl ja auch das herkömmliche Wahlverfahren mit den normalen Stimmzetteln durchaus die Möglichkeit offen ließe, dass es Fälschungen gab, und solche sind ja sogar strafrechtlich verfolgt worden. Da gab es ja Verfahren. Aber im Wahlrecht gilt: Es muss ein Vertrauen der Bevölkerung bestehen, dass alles mit rechten Dingen zugeht, und solange das nicht hundertprozentig gegeben ist, sollte man davon ablassen.

    Schütte: In der Tat haben ja Computerexperten bereits gezeigt, dass sich Wahlmaschinen manipulieren lassen. Trotzdem hat sich die Politik bisher taub gestellt. Der Bundestag beispielsweise hat eine frühere Beschwerde nach der Bundestagswahl 2005 als offensichtlich unbegründet abgewiesen.

    Stadler: Ja. Ich glaube, in rechtlicher Hinsicht ist der Bundestag schon auf der sicheren Seite, denn keines der Systeme ist absolut fälschungssicher. Auch das herkömmliche Verfahren, wo man einen Stimmzettel ankreuzt und dann den Stimmzettel in die Wahlurne einwirft, ist ja nicht etwa hundertprozentig sicher. Wenn sich Wahlhelfer, wo möglich zwei zusammentun und bei der Auszählung dann an den Stimmzetteln manipulieren, dann ist das ja auch eine Wahlfälschung. Das ist natürlich eine Straftat, aber derlei ist in der Vergangenheit durchaus hie und da vorgekommen. Daher glaube ich, dass man den Versuch mit den Computern schon machen durfte. Man ist ja auch nicht etwa blauäugig hineingegangen. Es gab ja auch technische Vorkehrungen, es gab ja auch Überprüfungen der Bauart. Aber noch einmal: noch scheint mir die Lage so, dass das traditionelle Wahl- und Auszählverfahren größere Akzeptanz findet und der Gesichtspunkt der Akzeptanz ist gerade im Wahlrecht ein entscheidender.

    Schütte: Herr Stadler, Sie sagen ja, das war ein Versuch und diesen Versuch sollte man jetzt sozusagen zu den Akten legen. Trotzdem: Warum ist die politische Diskussion darüber ausgeblieben?

    Stadler: Nein, es gab eine politische Diskussion sehr wohl im Zusammenhang mit dem Einsatz von Abstimmungscomputern im Bundestag sogar schon in früherer Zeit. Der Bundestag hatte beispielsweise für sich selber zu entscheiden, ob die Abstimmungen im Parlament per Knopfdruck erfolgen und dann der Computer sofort das Ergebnis anzeigt. Das gibt es in vielen Parlamenten bereits. Der Deutsche Bundestag hat sich bewusst dafür entschieden, dass bei seinen eigenen Abstimmungen in der traditionellen Form verfahren wird. Wenn es namentliche Abstimmungen oder Wahlen im Bundestag gibt, dann wird auch in Wahlkabinen ein Stimmzettel angekreuzt - bei Wahlen etwa. Bei namentlichen Abstimmungen wirft man die Stimmkarte in eine Urne ein. Es wird ausgezählt nach traditioneller Art, so wie jetzt auch bei einer Bundestagswahl oder Kommunalwahl. Das Parlament hat die politische Debatte für sich selber geführt und hat sozusagen konservativ entschieden und das ist durchaus übertragbar auch auf den Wahlvorgang bei öffentlichen Wahlen. Im Übrigen noch eine vielleicht etwas altmodische Bemerkung: Ich finde es auch viel spannender, wenn nicht um 18 Uhr das endgültige Wahlergebnis feststeht, sondern wenn man auch den Gang der Auszählung mitverfolgen kann. Das Bundesverfassungsgericht wird das heute ja unter dem verfassungsrechtlichen Aspekt der Öffentlichkeit der Wahl verhandeln. Das ergibt sich aus der Verhandlungsgliederung, die der zweite Senat der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Diese altmodische Methode, finde ich, hat auch einen gewissen Charme und noch einmal: Nicht alles, was technisch machbar ist, muss man auch realisieren.

    Schütte: Befürworter neuer Techniken sagen allerdings auch, bei der Abstimmung mit dem Bleistift kann ja auch manipuliert werden.

    Stadler: Das sehe ich auch so. Auch dieses Verfahren ist nicht völlig frei von Manipulationsmöglichkeiten. Deswegen ist ja beispielsweise festgelegt, dass bei den Auszählkommissionen sich möglichst auch Vertreter der verschiedenen Parteien in dem Gremium befinden sollen, dass man sich gewissermaßen gegenseitig auf die Finger schaut. Denn gerade im Bereich von Kommunalwahlen musste hier und da ja sogar schon eine Wahl wiederholt werden, weil es zu Fälschungen bei der Auszählung gekommen ist. Das ist in der Tat ein Argument für die neuen Techniken, aber es greift meiner Meinung nach noch nicht durch. Noch hat das alte Verfahren wohl das größere Vertrauen in der Bevölkerung und das ist für mich der maßgebliche politische Gesichtspunkt, auch wenn rechtlich meiner Meinung nach der Einsatz von Computern heute schon denkbar wäre.

    Schütte: Max Stadler, stellvertretender Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages und dort Obmann für die FDP. Ich danke für das Gespräch.

    Stadler: Danke schön.