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Noch immer Schockstarre in Duisburg

Nach der Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg im vergangenen Juli forderten viele den Rücktritt von Oberbürgermeister Adolf Sauerland. Er trat nicht zurück, es gab auch keine Abwahl im Stadtrat, dazu fehlte die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Jetzt hat das Land Nordrhein-Westfalen eine Novelle beschlossen: Die Bürger dürfen ihren Oberbürgermeister selbst abwählen.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 19.05.2011
    "21 Tote, 21 Tote verhöhnt ihr gerade."

    Vergangenen September in Duisburg: Wieder stehen sie vor dem Rathaus, mit Transparenten, bedruckten Anti-Sauerland-T-Shirts und Zornesröte im Gesicht – viele Bürger fordern, der Oberbürgermeister möge endlich die politische Verantwortung für die Tragödie bei der Loveparade übernehmen. Doris Kluge ist eine von ihnen:

    "Ich lebe hier – so entsetzt."

    Sie schäme sich furchtbar, sagt Doris Kluge noch. Und schon fühlen sich ihre Kontrahenten, die Sauerland im Amt behalten wollen, von diesen Worten provoziert. Zwei Sprechchöre versuchen sich gegenseitig zu übertrumpfen:

    Oben in der ersten Etage steht Werner Hüsken auf dem Flur. Während die Tumulte vor dem Rathaus weitergehen, weiß der 59-Jährige schon, dass die zehntausend Unterschriften, die er im Alleingang für die Abwahl des OB gesammelt hat, im Papierkorb landen werden. Denn sein Antrag scheitert im Stadtrat an Sauerlands Parteifreunden von der CDU-Fraktion. Doch Werner Hüsken gibt den Kampf nicht auf. Noch immer fordert er:

    "Wir müssen eine Verwaltungsspitze haben, die endlich Verantwortung übernimmt, die endlich Ansprechpartner ist, und alles das ist eben nicht vorhanden."

    Der gelernte Krankenpfleger hat ganz persönliche Motive für sein Engagement. Noch heute atmet er schwer, wenn er an den Nachmittag des 24. Juli 2010 zurückdenkt. Sein Sohn wollte damals seinen Geburtstag auf der Loveparade feiern, die restliche Familie Hüsken guckte zuhause Fernsehen:

    "Plötzlich sagte einer von den anderen Söhnen, da ist was passiert, da laufen Nachrichten. Von da an war es also mit der Ruhe an dem Tag vorbei. Ja, wir haben natürlich sofort gedacht, wo ist unser Sohn?"

    Hüskens Sohn hatte Glück, ihm passierte nichts. Aber dass Adolf Sauerland immer noch im Amt ist, lässt dem Vater keine Ruhe. Umso dankbarer ist er, dass der nordrhein-westfälische Landtag diese Woche den Weg freigemacht hat: Ohne Beteiligung des Rates können Bürger künftig beantragen, ihre Landräte oder Bürgermeister abzuwählen. Werner Hüsken will nun überall Sammelstellen einrichten, damit genügend Unterschriften zusammen kommen. Daran haben auch Sauerlands politische Gegner ein Interesse, dennoch ist Duisburgs SPD-Fraktionschef Herbert Mettler skeptisch:

    "Wenn man 15 Prozent der Wahlberechtigten für das Bürgerbegehren haben muss, rund 50 tausend in Duisburg, bei 340 000 Wahlberechtigten, mag es schon sein, dass man sie zusammenbekommt. Wenn man dann aber das eigentlich Abwahlverfahren sich ansieht mit 25 Prozent der Wahlberechtigten, in Duisburg circa 85 tausend, habe ich erhebliche Zweifel, ob man das realisieren kann."

    Die laute Empörung darüber, dass Sauerland am Posten zu kleben scheint, ist in Duisburg mittlerweile verhallt, jetzt schwebt eine leise, aber überall spürbare Niedergeschlagenheit über der Stadt, so sieht es der Sozialdemokrat Mettler:
    "Ich glaube, in dieser Stadt herrscht so eine Vier-Augen-Gesellschaft. Das heißt, jeder ist sich im Klaren, dass es so nicht weitergehen kann, aber letztendlich sind ja alle Versuche, diese Stadt von dieser Agonie zu befreien, gescheitert."

    Wirtschafsbosse klagen in Duisburg über den Imageverlust nach außen und die Lähmung nach innen, gemeint ist die Stadtverwaltung. Am Wochenende werden sie im Rathaus wieder zittern, wenn Duisburg die Feiern zum DFB-Pokal veranstaltet, ganz egal ob der MSV gegen Schalke gewinnt oder nicht. Alle Fragen nach den Sicherheitsvorkehrungen, nach Lehren aus der Loveparade, blockt ein Sprecher ab. Kein Wort davon, dass es dieses Jahr nur eine Feier im Stadion, aber keine vor dem Rathaus oder dem Bahnhof gibt. Zu gefährlich, denn dort sind überall Baustellen, und wieder Gitterzäune – wie damals auf der Loveparade. Werner Hüsken spricht von einer Schockstarre:

    "Die Stadt ist nicht in der Lage noch zu feiern, die Stadt ist nicht in der Lage, sich darzustellen. Man muss sich, und leider muss man (das) auch sagen, teilweise sogar schämen, aus Duisburg zu kommen."

    Rainer Enzweiler ist sauer, wenn er so etwas hört. Der CDU-Fraktionschef war vor Jahrzehnten Deutscher Jugendmeister im Hammerwurf, und bis heute holt er gerne weit aus, um seinen Parteifreund Sauerland zu verteidigen. Enzweiler, der hauptberuflich Advokat und Notar ist, spricht von einer Hetzkampagne der Medien und von Vorverurteilung:

    "Die Frage nach der so genannten politischen Verantwortung, die habe ich ja auch im Rat gestellt. Ich habe gesagt: was bedeutet politische Verantwortung? Bis heute steht kein einziger Fehler rechtsverbindlich fest."

    Einem zweiten Abwahl-Verfahren sieht Enzweiler gelassen entgegen. Sollte es wieder nicht klappen, wäre der OB sogar gestärkt – eine Sorge, die auch den Sozialdemokraten Mettler umtreibt:

    "Wenn so ein Abwahlverfahren dann scheitert, kann derjenige, der betroffen ist, immer sagen, sehen Sie, die Bürger wollen mich weiter haben und wollen mich an der Spitze dieser Stadt weitersehen."

    Adolf Sauerland selbst hat ein Interview zum wiederholten Male abgelehnt. Auch öffentliche Auftritte sind selten geworden, seitdem er im vergangenen Herbst Opfer einer Ketchup-Attacke wurde. Am Samstag will Sauerland zum DFB-Pokalfinale nach Berlin fahren, das ist weit weg von Duisburg. Wenn sie dort am Sonntag feiern, ist der OB vielleicht noch gar nicht zurück – sein Sprecher will sich da jedenfalls nicht festlegen.