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Noch tiefer graben?

Der Tiefwasserhafen der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven ist das Prestigeprojekt von Niedersachsen und Bremen. Doch im Vorfeld gab es einige Pleiten, Pech und Pannen. Manch Kritiker aber freut sich auch über den neuen Hafen. Denn er liefert ein Argument gegen eine weitere geplante Vertiefung der Weser.

Von Beate Hinkel | 21.09.2012
    Wer mit dem Kanu auf der Wümme paddelt, kann die Schäden aus nächster Nähe betrachten. Gerd Gartelmann lebt und arbeitet an dem Fluss. Der Landwirt klagt: Die Wümme verändere sich ständig.

    "Vor einem Monat standen hier noch Schilfbuschel. Die sind jetzt schon wieder in die Wümme gefallen und weggespült. Diese Uferabbrüche, das ist das Schlimme. Da sind Bäume, die am Ufer stehen, die fallen rein. Dahinten, da kann man das sehen, da liegt so ein Busch schon wieder in der Wümme, der ist schon wieder reingefallen. Und die Wümme, ständig wird die breiter und breiter und die verschlickt immer mehr."

    Gerd Gartelmann vermutet: Vor allem die letzte Wasservertiefung hat das Erscheinungsbild der Wümme verändert. Vor fünf Jahren war das. Seitdem, sagt Gartelmann, wird der Tidenhub ständig größer, also der Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser. In der Weser und auch in der Wümme. Damit erhöhe sich auch die Fließgeschwindigkeit des Wassers. Ein Umstand, der sogar die Häuser an der Wümme bedrohe.

    "Vor zehn Jahren hatten wir einen Tidenhub hier am Oberlauf der Wümme von 1,20 Meter. Jetzt sind wir bei 2,80 Meter. Das heißt, es kommt für uns einer täglich Grundwassersenkung nahe. Und das unterspült den tragfähigen Sand, wo die Häuser draufstehen. Die Häuser kriegen immer mehr Risse."

    Umweltschützer klagen: Statt einer lebendigen Tier- und Pflanzenwelt, befinden sich an vielen Uferstellen inzwischen triste Steinaufschüttungen. Sie sichern den Deich und damit den Lebensraum der Menschen. Denn der Druck auf die Deiche ist enorm. Die Weser in Bremen hat mit 4,20 Meter den größten Tidenhub an der ganzen deutschen Nordseeküste. Und das wirke sich auch auf die Wümme aus. Martin Rode vom Umweltverband BUND:

    "Das kann so ein kleiner Fluss einfach nicht vertragen. Das führt zu massiven Erosionen, weil der Fluss versucht, diese ganze Energie irgendwo los zu werden, die er durch die Tide täglich reingeschoben bekommt."

    Ralf Rüdiger Heinrich ist Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands Weser und damit mitverantwortlich für die Vertiefung des Flusses. Er sieht keine Möglichkeit auf die Vertiefung der Wasserstraße zu verzichten:

    "Weil wir in einer Region leben, in der 78.000 Arbeitsplätze entweder direkt oder indirekt von den Häfen an der Weser abhängig sind. Und wenn wir uns den Entwicklungen auf den Weltseeverkehrsmärkten nicht stellen, werden wir irgendwann abgehängt, und das heißt auch, dass wir unseren ökonomischen Lebensnerv schädigen und keine Zukunft dann mehr hier haben."

    Umweltschützer und Anwohner verweisen jetzt auf den neuen Jade-Weser-Port. Große Schiffe können ja diesen Hafen nutzen. Sie müssten damit nicht mehr in Häfen wie Bremen fahren und könnten die Weser damit entlasten. Diesen Einwand lässt der Vertreter der Wirtschaft nicht gelten.

    "Da werden auch große Schiffe anlegen. Nur wir werden in etwa zwei Jahren eine Gesamtkapazität an der deutschen Nordseeküste von 20 Millionen. Containern haben, die wir brauchen, um alle Waren umzuschlagen. Der Jade-Weser-Port hat maximal 2,5 Millionen Kapazität. Das heißt, wir fragen uns dann, wo bleiben wir mit den restlichen 90 Prozent des Warenumschlags."

    Bedrohte Arbeitsplätze, wenn die Weser nicht weiter vertieft wird? Naturschützer Martin Rode weist das zurück.

    "Es ist einfach ein Märchen zu behaupten, hier würden Unmengen von Arbeitsplätzen daran hängen, dass der Fluss immer noch weiter vertieft wird. Alle großen Schiffe, die auf der Welt fahren, können unsere Häfen erreichen. Und hier geht es nur darum, es ein bisschen bequemer zu machen, dass da weniger zeitliche. Restriktionen durch die Tide in der Nordsee für die Häfen da sind. Und das rechtfertigt am Ende nicht, diese nichtkalkulierbaren Folgeschäden, die wir in den nachgelagerten Systemen haben. Muss es erst so weit kommen, dass wir hier massive Schäden an unseren Bauwerken oder unserer menschlichen Sicherheit haben."

    Die Anwohner im Blockland haben gegen die weitere Ausbaggerung der Weser beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Einspruch eingelegt; Der BUND hat gegen das Vorhaben geklagt, und das Gericht hat für den kommenden Dienstag einen Erörterungstermin angesetzt:

    "Es ist uns total ernst damit. Wir reden hier über sehr, sehr tiefgreifende Veränderungen in ziemlicher Ignoranz auch derjenigen Seite, die immer nur einen tieferen Fluss fordert für nicht nachgewiesene wirtschaftliche Vorteile. Das ist ein sehr groteskes Spiel, was da läuft. Und da werden wir uns mit aller Energie gegen wehren."