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Nölling: Griechenland gehört nicht in die Währungsunion

Der Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Nölling hat für den Fall, dass Deutschland Griechenland finanziell massiv hilft, Verfassungsklage angedroht. Griechenland müsse vielmehr aus der Währungsunion ausscheiden, um seine Freiheit im Außenverkehr über Wechselkurse und Abwertungen wiederzuerlangen, forderte das ehemalige Mitglied des Zentralbankrats der Deutschen Bundesbank.

Wilhelm Nölling im Gespräch mit Anne Raith | 25.03.2010
    Anne Raith: Manche prophezeien bereits das Ende des Euro - wir haben es eben in der Reportage von Kerstin Schweighöfer gehört. Andere haben bereits vor der Gemeinschaftswährung gewarnt, noch bevor sie offiziell eingeführt wurde. Einer von ihnen war Wilhelm Nölling, Professor an der Universität Hamburg und ehemaliges Mitglied des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank. 1998 hat er, gemeinsam mit anderen Zweiflern, vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen die Einführung der Gemeinschaftswährung geklagt. Und gewarnt: Aus der Schicksalsgemeinschaft des Euro wird eines Tages eine Haftungsgemeinschaft. Wir haben ihn vor der Sendung in Kalifornien, an der Universität in Berkeley erreicht und gefragt, wie groß seine Sorge um die Währungsunion in diesen Tagen ist.

    Wilhelm Nölling : Es ist nicht nur die Sorge um eine falsch konstruierte Währungsunion, es ist die Sorge um die Verfassung der Weltwirtschaft insbesondere in Europa und in den Vereinigten Staaten, die auf Jahre hinaus nicht zu erwarten lässt, dass wir wieder Wirtschaftswachstum bekommen, das uns über die Probleme hinweghelfen würde. Es fehlt an Vertrauen in die Zukunft, an dem wichtigsten Faktor, und ich will hinzufügen, wenn ich mir Sorgen mache, weil es um die Europäische Währungsunion geht, dann geht es auch um die ungeheure, ja brutale Macht der internationalen Finanzwelt, die in diese Währungsunion hineinwirkt, wie sie in alle Wirtschaftsbeziehungen hineinwirkt: Unkontrolliert mit einem Knopfdruck können diese großen Banken und Hedgefonds ganze Währungen kleinerer, vielleicht auch größerer Länder ruinieren. Wenn ich das alles zusammenfasse, dann ist es wohl berechtigt zu sagen, dass man sich Sorgen über die Zukunft unserer Lebensbedingungen machen muss.

    Raith: Wenn jetzt der Internationale Währungsfonds als Geldgeber für Griechenland ins Spiel kommt, wäre das also keine praktikable Lösung?

    Nölling: Nein, dass würde ich nicht sagen. Ich habe mich vor einigen Monaten in Interviews dagegen ausgesprochen, wie sich inzwischen zeigt, würde durch die Hilfe des Internationalen Währungsfonds natürlich die gesamte Teilnehmerschaft, das sind 190 Staaten, in die europäische Malaise mit hineingezogen, würde mithaften und würde mitbezahlen. Das ganze Produkt dieser Währungsunion wird nun auf das zurückgeführt, was es ist: ein Abenteuer. Wenn die internationale Finanzwelt über den Internationalen Währungsfonds helfen muss, damit die Fehlkonstruktion nicht dazu führt, dass man Griechenland überhaupt nicht helfen kann, dann kann man nur sagen: Bitte, das muss dann geschehen. Man muss einfach sehen, dass Griechenland beispielsweise nicht das einzige Land ist, das hier Schwierigkeiten auf Dauer machen wird. Es hat nicht in die Währungsunion hineingehört und es gehört auch heute nicht hinein. Es gehört auch heute nicht unter die starken Wettbewerbsbedingungen einer Währungsunion. Das Land hat sich unfähig erwiesen, diesen Bedingungen zu entsprechen, und da gibt es auch noch andere Kandidaten. Das heißt, das Problem, über das wir sprechen, ist nicht nur das Problem Griechenlands, sondern der Währungsunion insgesamt. Kommt nun der IMF mit Hilfe hinzu, dann wird es nicht lange dauern, das anderer Kandidaten der Währungsunion ebenfalls nach Washington pilgern müssen, um EWU-Hilfen, die sie nicht kriegen, durch den IMF zu ersetzen. Also wir sind in einer ganz schwierigen Lage und die Politik muss nun mal sehen, wie sie da weiterführen kann.

    Raith: Das Bundesverfassungsgericht hat 1993 in seinem Urteil zum Maastrichtvertrag gesagt, als Ultima Ratio gäbe es ja auch noch einen Austritt aus der Gemeinschaft. Sie haben es eben auch angesprochen. Wie realistisch ist denn ein solches Szenario?

    Nölling: Also ich glaube nicht, dass man der Union helfen wird, wieder aktiv und dynamisch und lebensfähig zu werden, wenn man Griechenland jetzt hinweghilft über die ungeheuren Schwierigkeiten, die das Land zweifellos hat. Man muss den Schnitt machen und muss Griechenland dazu bringen auszutreten, dass sie ihre Freiheit im Außenverkehr über Wechselkurse und Abwertungen wieder zurückbekommen. Wenn sie diese Freiheit nicht bekommen, dann werden sie auf Dauer, 10, 20 Jahre lang am Subventionstropf vom IMF und von wem sonst auch immer hängen bleiben. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass andere hinzukommen. Das heißt, es muss eine neue Form gefunden werden, für die Länder, die in der Währungsunion nicht stark genug sind, um durchzuhalten, und die anderen mit hineinziehen, wenn man jetzt versucht, sie durchzuschleppen. Es wird ein Schrecken ohne Ende werden.

    Raith: Wie könnte denn diese Form aussehen? Derzeit sind ja auch bilaterale Hilfen einzelner Mitgliedsländer im Gespräch. Ist das eine denkbare Variante?

    Nölling: Ich bin der Meinung, wenn die deutsche Regierung sich dazu bereit erklärt, hier mit massiven Hilfen, mit wem auch immer kombiniert, einzugreifen, werden wir zum Bundesverfassungsgericht gehen. Dies ist nicht vereinbar mit dem, was dem deutschen Volk gesagt worden ist, als die Zustimmung erreicht wurde. Dann wird man sehen, ob nicht der Vorschlag, den wir machen, freiwillig auszutreten, mit großen Hilfen, die ja damit einhergehen können - man muss Griechenland ja deshalb nicht verstoßen, man kann mit dem Wechselkurssystem zwei große schützende Funktionen für Griechenland ausüben -, darüber wird man dann sprechen müssen.

    Raith: Sie haben eben von neuen Klagen vor dem Verfassungsgericht gesprochen. Werden Sie erneut klagen?

    Nölling: Ja, selbstverständlich. Also wenn wir den Eindruck haben, dass hier der Maastrichter Vertrag verletzt wird, dann gehen wir auf die Grundaussagen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts von '93 und auch bei unserer Klage zurück und sagen: Wenn eine solche Währungsunion dahin sich entwickelt, dann muss Deutschland austreten, um seine Zukunftsfähigkeit zu behalten und nicht mit hinabgezogen zu werden, was ich sehr ernsthaft befürchte, in einen Dauerzustand einer Währungsordnung, die in die europäische Gesamtlage nicht mehr hineinpasst.