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Nöte der Nationalisten

Die Reden über spanische Unterdrückung und Unabhängigkeit kommen in der baskischen Bevölkerung nicht mehr an. Erstmals seit 1986 wurden bei den Parlamentswahlen nicht die Nationalisten, sondern die Sozialisten stärkste Partei. Die Unterlegenen setzen nun auf Kooperation statt Konfrontation. Hans-Günter Kellner berichtet aus Bilbao.

    Folklore zum Tag des baskischen Vaterlands, einem Tag, den besonders die nationalistischen Parteien der nordspanischen Region feiern. Die PNV, die größte von ihnen, hatte einige hundert, vor allem ältere, Anhänger versammelt. Ministerpräsident Juan José Ibarretxe zeigte sich kämpferisch:

    "Wenn jemand meint, das baskische Volk werde sich irgendwie im spanischen auflösen, dann täuscht er sich. Das Baskenland wird Spanien nie untergeordnet sein."

    Trotz der Begeisterung: Die nationalistischen Politiker wissen, vielen Basken sind längst andere Themen wichtiger als die Frage der Unabhängigkeit. Im Zentrum der Industriemetropole Bilbao meint dieser Student:

    "Die Arbeit, der Wohnungsmarkt, die Politik: Für uns jungen Leute sind die Wohnungen viel zu teuer. Mein Bruder lebt mit 27 Jahren immer noch bei uns. Und dann die schlechte Bezahlung. Aber in der Politik wird mehr über andere Dinge gesprochen. Der Terrorismus und Unabhängigkeit, das führt zu nichts."

    Diese ältere Passantin stimmt ihm zu:

    "Wohnung, Arbeit, das sind die größten Probleme. Die Kinder ziehen ja gar nicht aus. Und die Altersheime! Die PNV schaut nur auf sich selbst. Ihre Pläne passen nicht in die heutige Zeit. Unabhängigkeit? Niemals."

    Die Umfrage ist nicht repräsentativ. Aber sie bestätigt den Trend bei den Parlamentswahlen. Die Reden über spanische Unterdrückung und Unabhängigkeit kommen nicht mehr an: Erstmals seit 1986 wurden nicht die Nationalisten, sondern die Sozialisten stärkste Partei. PNV-Vorstandsmitglied Aitor Esteban übt deutliche Selbstkritik:

    "Das darf sich nicht wiederholen. Es ist zu stark der Eindruck entstanden, dass die PNV übermorgen die Unabhängigkeit fordern würden. Bei diesem Referendum hat niemand verstanden, worum es eigentlich gehen soll. Wenn ich als PNV-Politiker das nicht verstanden habe, was haben da wohl die Wähler verstanden? Wir müssen konkreter werden."

    Als unverständlich bezeichnet Esteban hier den Ministerpräsidenten Ibarretxe, der seit mehreren Jahren schon von einem Referendum spricht, ohne jedoch zu erklären, über was dabei abgestimmt werden soll. Nun rückt die eigene Partei von ihm ab. Sie will dem spanischen Ministerpräsidenten Zapatero erneut ins Amt verhelfen. Im Gegenzug soll er zu einer Reform des aktuellen Autonomiestatuts bereit sein. Schließlich sind in der vergangenen Legislaturperiode bereits mehrere solcher Statute, die die Befugnisse der 17 autonomen Regionen Spaniens regeln, erneuert worden. Aitor Esteban:

    "Wir würden uns sehr freuen, wenn ein neues Statut eine breite Mehrheit der Parteien finden und den Basken zur Abstimmung vorgelegt würde. Wir haben jetzt nicht die Zeit zu konkreten Verhandlungen darüber. Wir werden sehen, ob beide Seiten mit sich reden lassen. Und dann legen wir los."

    Jeder rechnet mit diesem Abkommen zwischen Nationalisten und Sozialisten. Debattiert wird über Details - etwa, wer soll Parlamentspräsident werden - an denen ein erfolgreicher Abschluss nicht scheitern dürfte. Auch der Senator Fernan Buen von den baskischen Sozialisten ist gesprächsbereit:

    "Mehr Unabhängigkeit? Sicher ist das möglich. Die Arbeitsämter, die Eisenbahn, die See- und Flughäfen, über die Kompetenzverteilung können wir reden. Wir brauchen im Baskenland wieder eine Einheit in grundsätzlichen Fragen zwischen Nationalisten und Nicht-Nationalisten. Eine Reform des Statuts? Natürlich geht das!"

    Schon mehrmals regierten Nationalisten und Sozialisten gemeinsam in der Region. Doch 1998 vollzogen die Nationalisten einen Kurswechsel und schlossen mit der ETA ein Abkommen über ein Ende des Terrors aber auch über Wege zur Unabhängigkeit. Jetzt kommen bessere Zeiten, meint der sozialistische Politiker:

    "Die Leute sind diese radikalen Haltungen satt. Sie können dieses Gejammer nicht mehr hören, nach dem immer die anderen an allem schuld sind. Das ist wie bei den katalanischen Nationalisten. Schuld hat immer Spanien. Die Leute wollen, dass ihre Probleme gelöst werden. Und sie wählen. Das Ergebnis liegt jetzt vor: Die PNV muss sich über ihren künftigen Weg klar werden."