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Nomaden des Weltalls

Astronomie. - Planeten formen sich aus einer Scheibe von Gas und Staub, in deren Innern sich zuvor bereits ein Stern gebildet hat. – So die gängige Theorie zur Planetenentstehung. Wie kann es dann sein, dass Astronomen immer wieder exosolare Planeten entdecken, die alleine, herrenlos und ohne Zentralgestirn ihre Bahnen durch’s All ziehen? Amerikanische Astrophysiker haben dazu nun ein Modell aufgestellt.

Von Guido Meyer | 08.03.2012
    Fast wöchentlich entdecken Astronomen mehr und mehr Exoplaneten: große, kleine, gasförmige, feste, weite, nahe. Mittlerweile haben die Wissenschaftler mehr als 500 solcher Planeten außerhalb unseres Sonnensystems nachgewiesen. Ungefähr zwei Prozent von ihnen jedoch umkreisen keinen anderen Stern, sondern ziehen als Single ziellos ihre Bahnen durch das All. Sie lassen sich nur selten nachweisen, nämlich immer nur dann, wenn sie – von der Erde aus gesehen - vor einem weiter entfernten Stern vorbeiziehen. Louis Strigari vom Kavli Institut für Hochenergie-Astrophysik und Kosmologie (KIPAC) der Stanford University erklärt diesen sogenannten Gravitationslinseneffekt.

    "Betrachten wir einen Hintergrundstern, vor dem ein kleineres Objekt vorbeizieht, wird der Stern für die Dauer dieses Transits etwas heller leuchten. Die Lichtstrahlen des Sterns werden durch die Anziehungskraft des Himmelskörpers im Vordergrund leicht gekrümmt. Das kleinere Objekt wirkt so wie eine Vergrößerungslinse, solange es zwischen Erde und Stern vorbeizieht."

    Solche Beobachtungen sind Glücksfälle. Im letzten Jahr ist Astronomen weltweit zwölfmal der Nachweis eines solchen Nomaden-Planeten gelungen. Unter Berücksichtigung der Masseverteilung in der Milchstraße und der Anzahl der insgesamt bislang entdecken Exoplaneten, gehen die Wissenschaftler nunmehr von rund 100.000 solcher Nomaden allein in unserer Galaxis aus. Ihre Herkunft ist den Astronomen jedoch ein Rätsel. Vielleicht hat der Gravitationseinfluss eines vorbeiziehenden Sterns sie aus ihrem ursprünglichen Sonnensystem herausgeschleudert. Oder aber sie haben sich gar nicht aus einer protoplanetaren Scheibe aus Gas und Staub gebildet.

    "Objekte, die größer sind als Jupiter, könnten sich eigenständig irgendwo aus dem Kollaps einer Molekülwolke gebildet haben. Dies wäre für uns ein ganz neues Phänomen. Die Entstehung solcher Planeten würde also eher dem Prozess der Sternformation ähneln als der anderer Planeten."

    Führt sein Kurs solch einen galaktischen Nomaden zu nahe an ein Sternsystem heran, ist bisweilen das Single-Dasein dieses Planeten zuende: Die entsprechende Sonne fängt ihn mit ihrer Schwerkraft ein. Fortan umkreist der Neuzugang seinen neuen Stern in einer Entfernung, die mindestens dem hundertfachen Abstand der Erde von der Sonne entspricht. Dies würde die Existenz solcher Objekte an den Rändern von Sonnensystemen erklären, wo viel zu wenig Masse zur Planetenentstehung vorhanden gewesen sei, erklärt Hagai Perets vom Harvard-Smithsonian-Center für Astrophysik in Cambridge, Massachusetts.

    "Die Gas- und Staubscheiben dünnen nach außen hin immer weiter aus. Deswegen dauert es weiter draußen auch länger, bis sich überhaupt Planeten bilden. Unser Modell der eingefangenen Planeten kann deren Existenz aber erklären. Jedes Sonnensystem, an dessen Rand ein Planet eine extrem weitgezogene Bahn zieht, ist ein starker Hinweis auf solch einen Planetenklau."

    Und bei solchen eingefangenen Nomaden am Rande eines Sonnensystems müsse es sich keinesfalls nur um tote, trockene Eis-Welten handeln, gibt der kalifornische Astrophysiker Louis Strigari zu bedenken.

    "Himmelskörper müssen nicht unbedingt in einer bewohnbaren Zone um ihr Zentralgestirn ihre Bahnen ziehen, um lebensfreundlich zu sein. Radioaktiver Zerfall unter ihrer Oberfläche oder durch Plattentektonik freigesetzte Hitze könnten genausogut als Energiequelle fungieren. Eine entsprechend dicke Atmosphäre vorausgesetzt, würden solche Planeten durchaus eine bewohnbare Welt für mikrobielle Lebensformen darstellen."