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Norbert Mappes-Niediek: Die Balkan-Mafia

Der Mord am serbischen Regierungschef Zoran Djindjic hat eine Region wieder in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zurückgeholt, die nach langen Jahren des Krieges im ehemaligen Jugoslawien in den Medien schon fast wieder abgeschrieben war: der Balkan. Als Organisatoren des Attentats auf Djindjic gelten Mitglieder sowohl des organisierten Verbrechens als auch der Polizei. Da fügt es der Zufall, das sich ein gerade eben zur Leipziger Buchmesse erschienenes Buch aus dem Berliner Links Verlag genau mit diesem Problem eines politisch-kriminellen Milieus auseinandersetzt. "Die Balkan-Mafia” heißt es.

Brigitte Baetz |
    Schockiert vernahm die Welt am 12. März die Nachricht von der Ermordung Zoran Djindjics. Galt der jugendlich wirkende serbische Ministerpräsident doch als Hoffnungsträger für wirtschaftlichen Aufschwung und politische Stabilität in einem Land, das seit der Abdankung des Potentaten Milošević den Weg Richtung Westen sucht. Gleichzeitig jedoch wurden alte Vorurteile wieder wach: der Balkan, der Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Mazedonien, Serbien und Montenegro umfasst, gilt seit der KuK-Zeit als Hort politischer Gewalt, als Brutstätte unkontrollierbarer Räuberbanden, kurz: als Unruheherd, der kaum zu löschen ist. Manche bezweifeln gar, dass der Balkan europäisch zivilisiert ist.

    Das Wegsehen vor den Problemen des Balkan könnte für den Westen fatale Folgen haben, meint der Autor Norbert Mappes-Niediek. Und nicht allein, weil die EU schon Milliarden in die Region gepumpt hat. Mappes-Niediek muss schon von Berufswegen genau hinsehen. Denn er berichtet seit 1992 für deutsche Tages- und Wochenzeitungen aus den Ländern im Südosten Europas. Und was er sieht und gesehen hat, unterscheidet sich in vielem von dem, was der Westen wahrnimmt und wahrgenommen hat. Dies beginnt schon mit der Abspaltung Kroatiens Anfang der 90er Jahre und der folgenden Bürgerkriege.

    Die Identifikation führte im Westen zu Mitleid und Hilfsbereitschaft, aber auch zu naiver politischer Parteinahme. Westeuropa kämpfte im Geiste mit. Vom langen Schatten des Zweiten Weltkrieges und der Erinnerung an den ideologischen Kalten Krieg in die Irre geführt, missverstanden vor allem Franzosen und Deutsche den blutigen Zerfall Jugoslawiens als Streit der historischen Orientierungen und politischen Überzeugungen. Deutsche Konservative identifizierten sich gern mit den Kroaten, die sie wegen ihrer katholischen Konfession und ihrer langen Zugehörigkeit zum Habsburgerreich für das westlichste Volk hielten. Wer an sozialistischen Gedanken festhielt, neigte zu dem Glauben, das von Sozialisten regierte Serbien verteidige die Versailler Friedensordnung von 1919 gegen Nationalismus und Separatismus. Liberale schließlich meinten, in Bosnien werde der auch aus Berlin, Paris oder London bekannte Konflikt um den Begriff der Nation geführt: Die bosnischen Muslime, so schien es ihnen, verteidigten ein modernes Verständnis von Staatsbürgerschaft gegen den primitiven Abstammungsnationalismus von Serben und Kroaten. Kaum warf einer aus den kriegführenden Parteien einen kargen Brocken Ideologie über den Zaun, stürzten sich die Westler darauf, weil sie glaubten, darin die Wahrheit erfahren zu können.

    Die Wahrheit aber, so Mappes-Niedieck, liegt ganz woanders: Im Gegensatz zu den Bürgerbewegungen, die etwa in Polen oder in der ČSSR die kommunistischen Regime hinwegfegten, handelte es sich bei den Separatisten, die sich aus dem alten Bund des Tito-Reiches lösten, um Mitglieder der alten Machtelite. Durch die Anrufung von Nation und Glauben versuchten sie sich an die Spitze möglicher Veränderungen zu setzen. Ihr Ziel: Alles sollte bleiben, wie es war. Mit den nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts hatten diese Ideologen nicht mehr zu tun.

    Alle ihre Anführer stehen heute bei ihren eigenen Völkern, bei denen also, denen sie "Befreiung" versprochen hatten, im Geruch der Korruption, der individuellen Vorteilsnahme oder sogar der Verbindung zum organisierten Verbrechen. Serbische Ermittler bemühen sich bisher vergeblich, an die Konten und die Goldvorräte heranzukommen, die die Familie Milošević in Zypern und wahrscheinlich auch in der Schweiz angelegt hat. Der immer noch flüchtige bosnische Serbenführer Radovan Karadžić kontrollierte zeitweilig mit seinem Parlamentspräsidenten Momcilo Krajišnik fast sämtliche Importe in seiner 'Republik Srbska’ über die beiden Firmen Selekt-Impeks und Centreks. Der kroatische Präsident Franjo Tudjman starb Ende 1999 in dem Verdacht, dunkle Geschäfte seiner Frau, seiner Tochter, von einem seiner Söhne und vor allem seines Enkels Dejan Kosutić gedeckt zu haben. Meistens waren es Familiengeschäfte. Im schützenden Schatten seines Vaters Alija verkaufte Bakir Izetbegović, der Sohn des einstigen bosnisch-muslimischen Präsidenten, die Mietrechte für Wohnungen ausgesiedelter Serben und Kroaten für je mindestens 2.000 Dollar an Parteigänger seines Vaters. Gründlicher wurde das Versprechen der Nationalisten auf Solidarität innerhalb der eigenen Nation selten enttäuscht. Die 'Befreiungsarmee des Kosovo’, die UÇK, zerfiel schließlich in verbrecherische Kartelle und eine halbkriminelle Nachfolgeorganisation, das paramilitärische 'Kosovo-Schutzkorps’ (TMK). Etlichen ihrer Kommandanten werden Waffen- und Drogenschmuggel, Menschenhandel und Schutzgelderpressung vorgeworfen. Anerkannte Nationalhelden wie der 'Kommandant Remi’, mit Klarnamen Rrustem Mustafa, oder Parteiführer Ramush Haradinaj und sein Bruder Daut, wurden 2002 von der Staatsanwaltschaft des UN-Protektorats wegen rein krimineller Delikte angeklagt, einige von ihnen in Untersuchungshaft genommen.

    Die Zusammenarbeit der Politik mit Kriminellen ist durchaus "jugoslawische Tradition". Schon zu Titos Zeiten heuerte der Geheimdienst Verbrecher an, um im Ausland unliebsame Landsleute liquidieren zu lassen. Dabei konnte man aus einem gewissen Reservoir schöpfen, denn durch die Reisefreiheit, die Jugoslawen genossen, gab es in den Zentren Westeuropas auch eine kriminelle "Jugo-Szene". Neu nach dem Zerfall des Staates war, dass sich die Politik der Kriminellen bediente, um ihre Interessen im Innern des Landes durchzusetzen – ähnlich, diesen Vergleich zieht der Autor, wie sich die Feinde der Weimarer Republik auf die Freikorps stützten. Eine Karriere wie die des Freischärlers Arkan und seiner Bande lässt sich so erklären. Der von seinen Landsleuten zum serbischen Helden stilisierte Kriminelle mit Geheimdienstausweis kam mit ethnischen Säuberungen in Kroatien und Bosnien zu zweifelhaftem Kriegsruhm. Doch Kriminalität heißt ja nicht nur Mord und Totschlag.

    Eine der Besonderheiten des Tito-Regimes war die jugoslawische Spielart der Marktwirtschaft. Ein staatliches und ein privatwirtschaftliches System wetteiferten miteinander, mit dem gemeinsamen Nenner, dass beide nicht scheitern konnten. Diejenigen setzten sich durch, die die klügsten Allianzen bildeten und ihre Widersacher am Besten austricksen konnten. Es war keine Markt-, sondern eine "Machtwirtschaft". Kein Wunder, dass nach dem Ende des alten Jugoslawien das so genannte Management-Buy-Out, also die Übernahme des Betriebes durch die Manager, die bevorzugte Privatisierungsform wurde. Bevorzugt wurde wieder derjenige, der auch im Staat am meisten zu sagen hatte. Mafiosen Strukturen wird mit solch einer Geschäftspolitik Vorschub geleistet. Anders, aber mit ähnlichen Ergebnissen sieht es in Bulgarien aus. Dort ging die alte Machtelite den Weg in die Privatwirtschaft über die Ausnutzung alter Seilschaften, eine geordnete Privatisierung fand nicht statt, und so stieß die organisierte Kriminalität in die Lücken, die die Politik ihr ließ. Im Nachfolgestaat des exkommunistischen Betonlandes Albanien ist der Staat sogar derart diskreditiert, dass Verbrechertum sich entwickeln kann, ohne mit größeren Störungen irgendwelcher Art rechnen zu müssen. Für alle Länder gilt, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung:

    Politisches Engagement verspricht Kriminellen immer reiche Ausbeute: Wer einen Staat kontrolliert oder sich wenigstens zu einem innenpolitischen Faktor entwickelt hat, braucht sich vor polizeilichem Zugriff nicht mehr zu fürchten. Was sonst als 'Schutzgelderpressung’ verfolgt wird, nennt sich, wenn man die zuständige staatliche Institution kontrolliert, 'Steuererhebung’, und gilt als legitimes Staatshandeln. Zahlungsunwilligen schickt man keine vierschrötigen Rausschmeißertypen mehr ins Haus, sondern die uniformierte Polizei - oder, besser noch, man steckt die bewährten Rausschmeißer in Uniformen und schickt sie erst dann. Als Politiker gewinnt der Verbrecher Reputation im In- und Ausland; er genießt nach innen parlamentarische Immunität und nach außen den Schutz des Völkerrechts. Nicht zuletzt verschafft ein Staatsamt seinem Inhaber Zugang zu den üppigen Hilfsgeldern, die vor allem aus der EU nach Südosteuropa fließen.

    Wer diese Analyse übertrieben findet, der sollte Norbert Mappes-Niedieks Buch lesen. Vom staatlich geförderten Zigarettenschmuggel in Montenegro, über den albanischen Frauenhandel und die alltägliche Korruption in Bosnien, die Polizisten dazu bringt, ihren Landsleuten regelmäßig Gebühren für das Befahren der Straßen abzuknöpfen: das Buch "Balkan-Mafia" ist voller Beispiele für mafiaähnliche Strukturen, die allerdings in ihrer Fülle die Lektüre etwas mühsam machen. Auch Zoran Djindjic, der Hoffnungsträger, soll übrigens Geld von Drogenschmugglern erhalten haben. Mappes-Niedik gibt zu, nicht alle Zahlen und Verwicklungen hundertprozentig belegen zu können. Doch wenn auch nur die Hälfte davon stimmen sollte, muss sich der Rest Europas Gedanken machen, was aus diesem Wissen folgt. Denn ein Ausgrenzen dieser Länder ist nicht möglich, über Drogenhandel, Geldwäsche, ja sogar islamistischen Terrorismus, für den in Albanien Ausbildungsstätten existieren, wird Westeuropa konkret bedroht. Das Hauptproblem dürfte wohl darin liegen, dass ein Vertrauen in den Staat bei den Menschen auf dem Balkan, vielleicht mit Ausnahme Kroatiens, schlichtweg nicht vorhanden ist. Diese Lücke, so Mappes-Niediek, muss die Europäische Union auszufüllen versuchen. Sanktionen, das haben die Erfahrungen in Serbien und Montenegro gezeigt, haben bisher die Korruption und den Schmuggel nur gefördert, erwünscht wäre eine positive Vision für die Zukunft.

    Norbert Mappes-Niediek: "Die Balkan-Mafia. Staaten in der Hand des Verbrechens - eine Gefahr für Europa." Erschienen im Christoph Links Verlag, Berlin, 190 Seiten zum Preis von 14,90 Euro.