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Nord-Stream-2-Kritiker Gahler (CDU)
Die Pipeline nicht nur durch die wirtschaftliche Brille sehen

Nach der Einigung der EU-Staaten über die geplante deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 mahnt der EU-Parlamentarier Michael Gahler (CDU), die politischen Kosten zu sehen. Der Druck auf die Ukraine würde wachsen, Deutschland bei mittel-osteuropäischen EU-Partnern Vertrauen verspielen, sagte er im Dlf.

Michael Gahler im Gespräch mit Sandra Schulz | 09.02.2019
    Michael Gahler
    In Sachen Nord Stream 2 sei nach der gestrigen Einigung im EU-Rat das letzte Wort noch nicht gesprochen, sagt der EU-Abgeordnete Michael Gahler (CDU) (dpa/picture alliance)
    Sandra Schulz: Der Streit zieht sich jetzt schon seit Jahren. Die Bundesregierung will die 1.200 Kilometer lange Gasleitung von Russland durch die Ostsee. Viele europäische Staaten kritisieren das Pipelineprojekt Nord Stream 2 scharf. Große Skepsis gibt es auch im Europäischen Parlament, bei der Europäischen Kommission, und auch aus Washington kommt heftiger Widerstand.
    Gestern nun ruhten die Hoffnungen aller Nord-Stream-Gegner auf der französischen Regierung. Vor einer Abstimmung über strengere Auflagen für das Milliardenprojekt hatte Paris erst mal in das Team derer gewechselt, die für so weitreichende Vorgaben waren, dass das Projekt faktisch gestoppt worden wäre. Aber am Nachmittag kamen und Berlin und Paris dann zu einem Kompromiss, und den nannte Bundeskanzlerin Angela Merkel einen wichtigen Schritt hin zu einer neuen europäischen Gasrichtlinie.
    Wir können darüber jetzt sprechen, am Telefon ist Michael Gahler, CDU-Abgeordneter im Europäischen Parlament, dort Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, und einer der Gegner von Nord Stream 2. Einen schönen guten Morgen!
    Michael Gahler: Guten Morgen, Frau Schulz!
    Schulz: Jetzt scheint der Bau, der Weiterbau ja wie bisher geplant zu laufen. Wie enttäuscht sind Sie?
    Gahler: Ich bin erst mal noch gar nicht enttäuscht. Ich möchte zunächst mal feststellen, was wir gestern erlebt haben, das ist eine Einigung des Rates, also der Mitgliedsstaaten, auf ein Verhandlungsmandat mit dem Europäischen Parlament. Ich wundere mich deshalb schon über einen großen Teil der Berichterstattung. Zunächst mal die Darstellung, es handele sich um einen deutsch-französischen Kompromiss – ich meine, wir müssen doch der Tatsache ins Auge sehen, dass Deutschland in der Frage ziemlich isoliert war und ist. Und eine qualifizierte Mehrheit im Rat, also bei den Mitgliedsstaaten, war da anderer Meinung. Das passiert nicht sehr oft, dass sich Deutschland nicht bei der Mehrheit befindet. Und das sollte uns schon zu denken geben.
    "Jetzt beginnen die Verhandlungen mit dem EU-Parlament"
    Schulz: Ja, da können wir inhaltlich auch gleich noch drüber sprechen. Aber die Interpretation des Ergebnisses war ja gestern, dass der Stopp, also dieses Aus, das dem Projekt drohte, dass das jetzt abgewendet ist. Das sehen Sie anders?
    Gahler: Ja. Der Beschluss des Rates ist uns im Parlament im Detail noch nicht zugestellt worden. Jetzt beginnen die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament, und wir müssen uns einigen am Ende. Und unser Verhandlungsführer, das ist im Übrigen der Vorsitzende des Industrieausschusses, das ist der frühere polnische Ministerpräsident und der frühere EP-Präsident, der Jerzy Buzek. Und unsere Haltung im Parlament ist klar, und die war auch im letzten Jahr, wo wir mit deutlicher Mehrheit – das war in diesem Ausschuss 41 zu 13 –, haben wir unsere Haltung verabschiedet.
    Und das heißt, für Pipelines aus Drittstaaten, die in die EU führen, also einschließlich auch die Hoheitsgewässer und auch die ausschließliche Wirtschaftszone der Mitgliedsstaaten, da sollen die gleichen Bestimmungen wie innerhalb der EU gelten. Und das heißt, das gilt dann zum Beispiel für das sogenannte Unbundling, auf Deutsch also dass die Pipeline-Eigentümer und die Eigentümer des Gases nicht identisch sein dürfen. Und es geht auch um den Zugang Dritter, also dass zum Beispiel Gazprom nicht allein die Pipeline für sich nutzen darf.
    Abstimmung mit EU-Partnern wäre wünschenswert
    Schulz: Sie haben es gesagt, die Haltung des Europäischen Parlament, die war ja schon lange klar. Es gab eben auch diese Mehrheitsentscheidung aus dem Ausschuss im vergangenen Jahr. Nur, dass das bisher ja nichts daran geändert hat, dass das Projekt wie geplant weiterlaufen konnte. Jetzt gibt es die Verabredung darauf, dass teilweise das unter deutsche Kontrolle gestellt werden soll. Jetzt sagen Sie oder erklären Sie uns noch mal, inwiefern das Europäische Parlament das jetzt durch weitere Verhandlungen wird stoppen können.
    Gahler: Wir sind ja eine Kammer von zwei Gesetzgebungskammern. Das ist so, wie in Deutschland Bundestag und Bundesrat. Und da gibt es Gesetze, wo man sich eben einigen muss. Und wir sind die andere Kammer, und wir haben eine deutlich andere Position, und ich kann mir schon vorstellen – ich will da und kann auch nicht den Verhandlungen vorgreifen –, aber dass das Ergebnis doch ein anderes ist als das, auf das man sich jetzt mit heißer Nadel gestrickt im Rat als Verhandlungsposition geeinigt hat.
    Ich hätte mir im Übrigen gewünscht, dass Deutschland und Frankreich diese Meinungsverschiedenheiten zum Beispiel im Vorfeld bilateral so im Geiste des neuen Aachener Abkommens ausgeräumt hätten. Da hat man sich ja hoch und heilig versprochen, dass man bei wichtigen Fragen des Binnenmarktes, und da gehört ja auch die Energieversorgung dazu, dass man sich eng abstimmt. Es wäre im Übrigen auch die Chance für die Bundesregierung gewesen, sich politisch von diesem Putin-Schröder-Projekt zu distanzieren, wo wir doch sowohl eine große Mehrheit eben der Mitgliedsstaaten gegen uns haben.
    Und Sie haben es in der Anmoderation gesagt, da ist auch noch das Damoklesschwert der USA, nämlich die Drohung im Bezug auf Sanktionen gegen die betroffenen Firmen. Diese Chance hat man leider nicht genutzt.
    "Die Ukraine würde unter zusätzlichen Druck kommen"
    Schulz: Das ist natürlich eine Verkürzung. Angela Merkel will das Projekt ja auch. Da müsste man vollständigerweise von einem Putin-Schröder-Merkel-Projekt sprechen. Jetzt sagen Sie uns noch mal, was Ihre inhaltlichen Vorbehalte sind. Russland war immer, war über die Jahrzehnte, auch zu Zeiten des Kalten Krieges, ein Gaslieferant, ein, wie die Erfahrung gezeigt hat, auch zuverlässiger Gaslieferant. Warum ist das jetzt ein Problem?
    Gahler: Es ist nicht erst jetzt ein Problem. Wir hatten bereits 2005 und 2006 die ersten Boykotte oder die ersten Abstellungen von Gaslieferungen durch die Ukraine in die Europäische Union. Da ist es in einigen Bereichen, in einigen Ländern der Europäischen Union kalt geblieben. Und das ist auch später noch mal geschehen.
    Ich bin überzeugt, und viele meiner Kollegen auch, das ist und bleibt primär ein politisches Projekt, soll heißen, ein privatwirtschaftlich handelndes Unternehmen würde diese gigantische Investition in der Ostsee niemals tätigen, wenn es billiger und auf kürzerem Weg, zum Beispiel eben durch die Ukraine oder andere Landwege zum Kunden kommen könnte. Ich sage mal, ich würde nicht so weit gehen, dass Putin freies Schussfeld in der Ukraine haben will. Aber wenn er dort die Leitung nicht mehr braucht, dann können wir ziemlich sicher davon ausgehen, dass er neben dem Krieg, den er sowieso schon in der Ostukraine führt, auch andere Destabilisierungsaktivitäten fortsetzen würde.
    Die Ukraine würde also unter einen Druck kommen von Russland, zusätzlich, und das kann nicht in unserem gemeinsamen europäischen Interesse sein.
    Politische Kosten bei Partnerländern wären hoch
    Schulz: Wobei es in dem Fall, den Sie jetzt zitieren, 2005/2006, das war ja ein echter Konflikt auch, den wir bis heute sehen natürlich, zwischen Russland und der Ukraine. In dem Fall war es aber auch konkret der Streit um Gas und auch das dazugehörige Geld. Jetzt möchte ich der Vollständigkeit halber noch mal sagen: Sie sagen, das ist ein politisches Projekt. Die Bundesregierung wiederholt ja ihre Lesart, wonach es ein wirtschaftliches Projekt sei. Und da ist jetzt noch mal die Frage nach der Abhängigkeit oder nach der behaupteten Abhängigkeit. Angela Merkel hat ja auch gestern noch mal gesagt, ja, wir wollen Russland als Gaslieferanten, aber das heißt noch lange nicht, dass wir uns von dem Land abhängig machen. Worin sehen Sie denn die Abhängigkeit?
    Gahler: Sie würde erhöht werden. Gerade speziell für Deutschland sind wir, glaube ich, jetzt in der Größenordnung von 30 Prozent. Und das würde sicherlich auch ansteigen potenziell, in größere Abhängigkeiten. Ich bin sehr dafür, oder wir im Europäischen Parlament und die Mehrheit der Mitgliedsstaaten sind sehr dafür, dass wir Diversifizierung haben, das heißt, dass wir uns unabhängiger machen von einzelnen Lieferanten. Und sicher auch gegen eine Situation, wo ein Land wie Russland, das ja, ich sagte es bereits, Krieg führt, und wo wir eben ja auch zusätzlich Einnahmen damit garantieren würden, dass wir gegen ein solches Land eben nicht einfach das durch die wirtschaftliche Brille sehen. Ich glaube, das ist der Sache nicht angemessen.
    Schulz: Aber diese Diversifizierung, die gibt es ja. Das sagt Angela Merkel ja auch immer wieder. Wir wollen auch Gas aus den USA bekommen. Insgesamt macht das Gas 25 Prozent des Primärenergieverbrauchs aus. Selbst, wenn wir davon ausgingen, dass von diesen 25 Prozent Gasbezug die Hälfte aus Russland käme, was ja so als realistisches Szenario gehandelt wird, dann sprechen wir insgesamt noch von zwölf Prozent. Inwiefern ist das eine Abhängigkeit?
    Gahler: Das ist eine Abhängigkeit – sie ist ja für einzelne europäische Länder deutlich höher. Und wir ignorieren bei dieser Sichtweise oder bei dieser schlichten energiepolitischen Sichtweise, wir ignorieren dabei natürlich auch den Streit und den Vertrauensverlust, den wir in Kauf nehmen gegenüber einer Vielzahl von mittel-osteuropäischen Mitgliedsstaat. Das müssen wir uns schon fragen, ob es das im Ergebnis wert ist, dass wir für die Partnerstaaten innerhalb der Europäischen Union weniger Gehör haben als gegenüber einem Lieferanten, der sich erwiesenermaßen aggressiv gegenüber seinen eigenen Nachbarn verhält.
    Gleiches Recht wie für EU-interne Pipelines
    Schulz: Der umgekehrt in einer Partnerschaft aber natürlich auch abhängig wäre. Jetzt will ich den Schritt noch weiter machen. Wenn wir noch mal drauf gucken, dass dieses Nord-Stream-2-Projekt – das gehört ja zu den wenigen Sachen, zu den wenigen Projekten, die im Moment überhaupt noch laufen in der deutsch-russischen Partnerschaft –, was wäre damit gewonnen, wenn man sich daraus jetzt verabschiedete um den Preis der nächsten Eskalation, der nächsten Zuspitzung?
    Gahler: Es ist ja keine nächste Eskalation. Es soll ja für diese Pipeline nur das Gleiche gelten, was für alle anderen Pipelines auch gilt. Was ist denn, wenn das so eine großartige Pipeline ist, wieso können sich die Russen nicht damit einverstanden erklären, dass für sie das gleiche Recht gilt wie für alle anderen auch. Es sind Pipelines, die innerhalb der EU fließen.
    Da gilt das, was ich eben beschrieben habe, dass man also kein Monopol an der Nutzung haben kann, dass man Drittlieferer auch reinlassen muss. Und wo ist das Problem, oder wo wäre das Problem, dass eben auch für diese Nord-Stream-2-Pipeline das Gleiche gilt. Dann ist eben das Gazprom-Monopol in dieser Pipeline nicht mehr gegeben, aber man kann weiterhin auch liefern. Ich sehe das überhaupt nicht problematisch, und Russland könnte das auch als Chance sehen, gleich behandelt zu werden mit den anderen. Und insofern wäre es sicherlich kein Ende des Projekts, sondern eine Gleichbehandlung in rechtlicher Hinsicht wie alle anderen auch.
    Schulz: Der CDU-Europaparlamentarier Michael Gahler heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk im Interview. Danke dafür!
    Gahler: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.