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Nord-Süd-Gefälle in der Umweltethik

Medizinische Technik macht heute vieles möglich, was noch gestern von Moral und Sitte verboten war und stürzt damit viele Menschen in Zweifel: Präimplantationstechnik, Klonen, Forschen an menschlichen Embryonen, aktive Sterbehilfe – sie werfen die Frage auf: darf der Mensch alles, was er kann? Die Ethik soll die Antwort geben. Auch der Umgang des Menschen mit der Natur berührt ethische Aspekte: Klimawandel und Artensterben begleiten uns auch in diesem Jahrhundert. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Brauchen wir neben innovativen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Ansätzen auch eine neue Umweltethik? - Falko Puppe hat mit dem Risikoforscher Prof. Ortwin Renn über die Bedeutung der Ethik im Hinblick auf globale Umweltprobleme gesprochen.

von Falko Puppe |
    Ohne die Natur und ihre Nutzung kann der Mensch nicht existieren. Je mehr Menschen diese Welt bevölkern, desto intensiver wird diese Nutzung ausfallen. - Vor etwa 12.000 Jahren lebten rund 5 Millionen Menschen auf der Erde. Etwa 750 Millionen konnte der blaue Planet um 1750 ernähren. Heute trägt die Welt über 6 Milliarden Menschen - Tendenz steigend. Möglich wurde dies durch eine immer effektivere Nutzung der Natur. Die Belastung der natürlichen Systeme durch den Menschen setzt dieser Entwicklung Grenzen. Ist diese Grenze bereits erreicht oder lassen sich die Ressourcen der Natur mittels innovativer Strategien noch ausreizen? Und: wieweit darf der Mensch dabei gehen? Darf er alles tun, was ihm heute und in Zukunft technologisch möglich ist?

    Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen - WBGU - hat sich mit diesen Abwägungsfragen auseinandergesetzt und ein Modell einer Umweltethik entwickelt. Es unterscheidet in Umweltbeeinträchtigungen, die kategorisch zu vermeiden sind, z.B. die Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten - und solche, die kompensiert, also ausgeglichen werden können. - Der Soziologe und Risikoforscher Professor Ortwin Renn - mehrjähriges Mitglied des WBGU - erläutert die umwelt-ethischen Normen am Beispiel der Artenvielfalt und der weltweiten Nutzung der Böden.

    Prioritär weltweit wäre, die großen Hotspots der Biodiversität zu schützen. Die sind nun einmal in tropischen Entwicklungsländern im wesentlichen. Ungefähr 87 Prozent aller Arten kommen auf 10 Prozent der Fläche vor. Das ist auch etwas Beruhigendes, denn es zeigt, dass wir die restlichen 90 Prozent durchaus stärker nutzen können, ohne dass wir die Biodiversität wirklich ernsthaft gefährden. Gerade weil es so ist, müssen wir natürlich bei den restlichen 10 Prozent besonders streng sein.

    Eine Einstufung, die der WBGU als Noah-Strategie bezeichnet. Sie verbietet es, die Flächen mit der höchsten Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten zu nutzen, um deren Existenz nicht zu gefährden. Voraussetzung ist eine "Inventarisierung des Naturvermögens":

    Eine gewisse Inventur wäre natürlich schon notwendig, damit wir auch sicher sind, dass wir die richtigen 10 Prozent schützen. Denn 10 Prozent schützen kostet auch viel Geld, viele Ressourcen, die für andere Dinge nicht mehr zur Verfügung stehen.

    Prinzip Nr. 2: die Censor-Strategie:

    Der Censor zensiert, d.h. er sagt gewisse Nutzung ist zugelassen, andere nicht. Das ist eine eher extensive Nutzung der Fläche, die dann sicherstellt, dass die noch auf dieser extensiven Fläche existierende Biodiversität zumindest in großen Zügen erhalten bleibt, aber ich kann gleichzeitig so nutzen, das es auch wirklich wirtschaftlich Gewinn abwirft.

    Die Politikberater empfehlen diese Strategie auf etwa 30 Prozent der weltweiten Böden anzuwenden. Bleiben noch circa 60 Prozent - hier gilt die so genannte Demiurg-Strategie:

    Der Demiurg ist sozusagen der Macher. Wir müssen um sechs Milliarden Menschen zu ernähren auch Flächen bereitstellen, wo wir relativ intensiv Landwirtschaft betreiben. Intensiv heißt aber auch, dass die Produktivität des Bodens erhalten bleiben muss. Dazu haben wir in Mitteleuropa durchaus auch gute Voraussetzungen, denn viele Böden sind seit Jahrhunderten in landwirtschaftlichem Besitz.

    Aus globaler Verantwortung wäre es demnach eine moralische Pflicht, alle fruchtbaren Böden weltweit ausschließlich zum Anbau von Nahrungsmitteln zu nutzen - auch hierzulande. Angesichts der fortschreitenden Versiegelung von Flächen ein utopisches Ziel:

    Es gibt noch Entwicklungspotentiale auch in den Ländern, die potentielle Importländer wären. Mittel- und langfristig aber wird es sicher so sein, dass wir zunehmend die Flächen für Landwirtschaft nutzen, die sich besonders dafür eignen - da gibt es bei uns einige.

    So macht die Ansiedlung einer Computerchip-Fabrik in einem Wüstenstaat global betrachtet deutlich mehr Sinn als auf fruchtbarem Boden der gemäßigten Breiten. - Praxisnahe Regeln für Abwägungskonflikte liefern, das will die Umweltethik. Bei internationalen Verhandlungen über Umweltfragen spielen ethische Überlegungen meist nur verdeckt eine Rolle. Das Modell einer Umweltethik des WBGU wird beim Weltumweltgipfel in Johannesburg kein Thema sein. Der Vorwurf der armen Länder könnte sonst lauten: Eure Ethik macht uns auch nicht satt - es sei denn, den Worten folgen auch Taten.

    Ohne ethische Grundlage gibt es kein Zusammenleben von Menschen. Ethik bedeutet, dass wir das tun, was uns und den anderen Menschen langfristig gut tut.