Donnerstag, 25. April 2024

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Nordkorea
"Das war sehr wahrscheinlich keine Wasserstoffbombe"

Ob Nordkorea tatsächlich eine Wasserstoffbombe getestet habe, sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht eindeutig zu klären, sagte der Seismologe Lars Ceranna von der Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe in Hannover. Allerdings gebe es Indizien, die dagegen sprächen: Die registrierten Erdbebenwellen seien für eine thermonukleare Explosion zu gering.

Lars Ceranna im Gespräch mit Uli Blumenthal | 06.01.2016
    Lars Ceranna
    Der Seismologe Lars Ceranna von der Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe in Hannover. (priv.)
    O-Ton Kim Jong Un: Der erste Test einer Wasserstoffbombe war erfolgreich! Wir haben ihn heute, am 6. Januar um zehn Uhr, durchgeführt!
    Uli Blumenthal: Nordkorea hat, wir haben es gehört, nach eigenen Angaben erstmals erfolgreich eine Wasserstoffbombe gezündet. Südkoreanische Behörden hatten allerdings ein künstlich ausgelöstes Beben der Stärke 4,9 bis 5,2 nahe des Atomtestgeländes in Kilchu im Nordosten der Volksrepublik registriert. Die Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe in Hannover hat die Signale an ihre 8.200 Kilometer entfernten deutschen Messstation GERES im Bayrischen Wald rund elf Minuten nach der Explosion aufgezeichnet.
    Ich habe vor der Sendung mit Dr. Lars Ceranna, Leiter des Arbeitsbereichs Monitoring und Verifikation an der Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe in Hannover telefoniert und ihn zunächst gefragt: Wie eindeutig ist die Signatur dieser Explosion? Was lässt sich daraus über die Ursache herauslesen? Und gibt es darin wiederum Informationen, dass es sich wirklich um eine Wasserstoffbombenexplosion gehandelt hat?
    Lars Ceranna: Also, die Eindeutigkeit ist gegeben, weil, es war ja sozusagen der vierte in einer Reihe mittlerweile. Und wir haben auch die Signaturen der vorherigen Tests bei uns registriert und ein Vergleich zeigt hier schon, dass hier eine sehr hohe Ähnlichkeit bei den Wellenformen gegeben ist.
    "Eine Wasserstoffbombe wäre zwei Explosionen"
    Blumenthal: Es ist ja ein Unterschied, ob man eine Atomwaffe testet oder eine Wasserstoffbombe testet. Kann man da eindeutige Unterschiede in den seismischen Signaturen der Erdbebenwellen herauslesen?
    Ceranna: Nein, das könnte man nicht. Also, man muss es sich natürlich so vorstellen, dass eine thermonukleare Explosion, also einer Wasserstoffbombe, das wären zwei Explosionen. Da wir aber weit weg sind und das Ganze auch in Bruchteilen von Sekunden vonstattengehen würde, wäre das für uns immer noch eins. Das Einzige, was es ist, es wäre ein deutlich stärkeres Signal, was wir registrieren. Es ist aber so, dass wir einen Vergleich anstellen können mit den Tests von Februar 2013, und dabei sehen wir, dass die Signale in ihrer Stärke sehr, sehr ähnlich sind. Das heißt also, wir kommen auch zu dem Ergebnis, die Magnetode ist die gleiche, wir schätzen auch in etwa die Ladungsstärke gleich ab, und somit glauben wir, dass es sich hierbei auch um eine ähnliche Explosion handelt, womit wir dann eigentlich zu dem Ergebnis kommen, dass wir eine thermonukleare Explosion für nicht sehr wahrscheinlich halten.
    Im Fernsehen werden Bilder des nordkoreanischen Atomtests übertragen.
    Im Fernsehen werden Bilder des nordkoreanischen Atomtests übertragen. (AFP / Jung Yeon-Je)
    Blumenthal: Nun redet Nordkorea vom Test einer Wasserstoffbombe, in der westlichen Welt wird sehr stark jetzt davor gewarnt, wird dies aber auch so verbreitet. Dann geht man dem nordkoreanischen Diktator auf den Leim oder will man ganz bewusst von einer Wasserstoffbombe hier im Westen reden?
    Ceranna: Gut, also, was die politische Einschätzung anbelangt, da sind wir natürlich der falsche Adressat. Und ich meine, wir sind erst am Anfang unserer Analysen. Wir warten natürlich auch noch darauf, dass wir eben mithilfe der Station des internationalen Überwachungsnetzes auch wirklich überhaupt erst mal den nuklearen Charakter dieses Ereignisses nachweisen können.
    Blumenthal: Sie haben gerade angesprochen, dieses Messnetz, diese Messstationen, GERES ist eine beispielsweise im Bayrischen Wald. Was ist das für ein weltweites Messnetz zur Überwachung von Atombombentests?
    "Wir wissen nichts über den Charakter"
    Ceranna: Die Kernwaffentest-Stopp-Organisation in Wien hat ein Netz von seismischen Stationen, die dienen dazu, dass man eine unterirdische Explosion detektieren und lokalisieren kann und auch als Explosion, eben wie jetzt auch das aktuelle Ereignis, identifizieren kann. Dann gibt es noch hydroakustische Stationen, die dazu dienen, eine Explosion unterseeisch nachzuweisen. Und sogenannten Infraschall, also sehr tieffrequenten Schall, der wäre dann dazu geeignet, eine Explosion in der Atmosphäre nachzuweisen. Es ist aber nun mal so, dass mithilfe dieser sogenannten Wellenformtechniken man im Endeffekt die Schallsignale in Wasser, Boden und Luft dazu nutzen kann zu sagen, okay, hier war was, wann es war, wo es war. Aber wir wissen natürlich eben nichts über den Charakter. Und dann gibt es sozusagen noch ein Messnetz für Radionuklide, die entsprechend Spaltprodukte, die bei einer Nuklearexplosion entstehen würden, nachweisen können. Und da kann man mithilfe dieser Station die sogenannte Smoking Gun, das heißt wirklich die Kernexplosion, nachweisen.
    Blumenthal: Wann wäre ein solcher Nachweis auf diesem Weg, also über Radionuklide, frühestens möglich?
    Ceranna: Also, wir haben erste Vorhersagesimulationen durchgeführt und kommen zu dem Ergebnis, wenn es wirklich jetzt schon der Entlass der ersten Radioisotope, in dem Fall Xenon, vom Sprengort in Nordkorea jetzt schon im Gange wäre, würden wir die ersten Signale in Japan, in einer Station, Takasaki nahe von Tokio, in 48 Stunden registrieren können, also frühestens. Wir gehen aber eigentlich davon aus, dass auf natürlichem Wege sozusagen diese Xenon-Isotope ... Der Sprengort ist sozusagen unter einem Gebirgsmassiv in knapp ein Kilometer Tiefe. Das heißt, die müssten sich sozusagen ihren Weg erst mal durch dieses Gebirgsmassiv bahnen und dann an die Oberfläche kommen, das dauert auch. Und dann nachher noch mal der Transport, das heißt, es kann auch durchaus sich um noch mehrere Tage oder gar Wochen handeln.
    Blumenthal: Gibt es Informationen, um was für Gesteinsformationen es sich genau handelt, also wie die Zusammensetzung ist und wie dann eben der von Ihnen beschriebene Weg vielleicht zeitlich auch dauert?
    Ceranna: Also, nach geologischen Informationen, die wir haben, die uns vorliegen, es handelt sich sozusagen hierbei um einen sogenannten Granodiorit, das ist ein sehr, sehr hartes Material. Also, das ist so ein Material, mit dem man selbst Granit problemlos schleifen könnte. Und dieses extrem harte und feste Material ist eigentlich ungeeignet, sozusagen wirklich natürliche sogenannte Wegbarkeiten zu haben, die es dem Xenon-Isotopen erlauben würden, sozusagen an ganz kleinen Haarrissen eben durch dieses Gebirgsmassiv zu kommen. Sodass es eigentlich auf natürlichem Wege nach unserer Einschätzung unwahrscheinlich ist, dass Radionuklide wirklich gemessen werden können, die natürlich entlassen wurden. Zumindest in solchen Konzentrationen, dass sie noch nachweisbar sind.
    Blumenthal: Gibt es noch andere Möglichkeiten für den Nachweis der Art der Explosion außer über Radionuklide?
    Ceranna: Ja, es gab jetzt bei dem Versuch 2013 55 Tage nach der Explosion – ob das jetzt gewollt war oder auch zufällig war –, wurde irgendeine, in Anführungsstrichen, Tür sozusagen in diesem Tunnelsystem unterirdisch geöffnet, und auf diesem Wege sind Radioisotope, Xenon-Isotope entwichen und die konnten entsprechend an den Stationen dieses Messnetzes nachgewiesen werden. Und Rückwärtsrechnungen haben auch wirklich gezeigt, und Altersbestimmungen, dass das zu der Explosion vom 13. Februar 2013 passt.
    "Unwahrscheinlich, dass Radionuklide wirklich gemessen werden können"
    Blumenthal: Aber andere Nachweismöglichkeiten oder Überwachungsmöglichkeiten, beispielsweise mit Satellitentechnik oder mit hoch fliegenden Flugzeugen und Kameras und so weiter und so fort, solche Möglichkeiten gibt es gar nicht?
    Ceranna: Die gibt es auch, das ist sozusagen eben ... Das sieht auch dieser umfassende Kernwaffentest-Stoppvertrag vor, das sind sogenannte nationale technische Mittel, die kann man durchaus nutzen. Es ist nur leider so, der Explosionsort ist in ein Kilometer Tiefe, in etwa unterhalb diese Gebirgsmassivs. Also, das heißt sozusagen, an der Oberfläche ist es sehr unwahrscheinlich, dass da entsprechende Veränderungen nachweisbar sind. Dann ist es jetzt so, das muss man sich vorstellen, das ist ein bisschen wie der Schwarzwald, nur doppelt so hoch. Das heißt also, es ist jetzt wirklich auch schneebedeckt zu der jetzigen Zeit, was die Sache noch komplizierter macht.
    Blumenthal: Aber dann könnte man sich ja vorstellen, dass man beispielsweise auch das Schmelzen des Schnees auf den Bergen oder auf den Gesteinsschichten sehen könnte. Oder ist so was sozusagen nur bei Filmen möglich?
    Ceranna: Also, ich meine, was man immer gerne vor Augen hat, und das, was man auch kennt und was man auch in Satellitenbildern sieht, sind natürlich so die Kernwaffentests in den USA, in Nevada, in der Wüste, dann kann man wirklich auch Oberflächen, sogenannte wirklich Versenkungskrater sehen, wo in einigen Hundert Meter Tiefe unterirdisch eine Kernwaffe zur Explosion gebracht wurde, dann durch die Erschütterung ist es verrüttelt und man sieht mittlerweile so einen kleinen ... Man sieht wirklich auch mit dem bloßen Auge einen Krater. Oder da würde es auch durchaus sein, dass wahrscheinlich der Wärmetransport so wäre, dass, wenn da Schnee gelegen hätte, der vielleicht auch geschmolzen wäre. Aber ich vermutet wirklich, dass dieses Gebirgsmassiv so dicht ist, dass der Wärmefluss nicht da ist, um an der Oberfläche den Schnee zu schmelzen.
    Blumenthal: Dr. Lars Ceranna von der Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe in Hannover über den von Nordkorea verkündeten Test einer Wasserstoffbombe.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.