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Nordkorea: Flüchtlingsradio straft Propaganda Lügen

Jeden Abend um 19 Uhr nordkoreanischer Zeit geht die Radiostation Freies Nordkorea eine Stunde lang auf Sendung. Die Sendung wird mitten in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul von nordkoreanischen Flüchtlingen produziert. Im Vergleich zu anderen gen Nordkorea ausgestrahlten Sendungen wirkt dsa Programm besonders echt. Die Inhalte sind auf die abgeschottete Welt des normalen Nordkoreaners abgestimmt.

Von Martin Fritz | 03.02.2007
    "Liebe Hörerinnen und Hörer in Nordkorea, hier meldet sich das Freie Nordkorea-Radio aus Seoul für alle nordkoreanischen Landsleute."

    "Die offiziellen Nachrichten von Nordkorea behaupten heute, es habe bisher keinen Krieg auf der Halbinsel gegeben, weil Nordkorea so geduldig sei und trotz aller Sanktionen durchhalte. Aber die Wahrheit ist, dass es Nordkorea ist, das Unruhe in die Weltpolitik bringt."

    Jeden Abend um 19 Uhr nordkoreanischer Zeit geht die Radiostation Freies Nordkorea eine Stunde lang auf Sendung. Ihr Kurzwellensender steht irgendwo hinter der nördlichen Grenze von Nordkorea, in der Mongolei oder in Russland. Die tägliche Sendung wird in einem Kellergeschoss mitten in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul von sieben nordkoreanischen Flüchtlingen und zwei südkoreanischen Unterstützern produziert. Chefredakteur Kim Sung-min:

    "Wir wollen den Menschen in Nordkorea die Wahrheit sagen. Sie sollen begreifen, dass sie keine Menschenrechte haben, dass sie Demokratie brauchen und sich dafür einsetzen müssen."

    Im Vergleich zu anderen gen Nordkorea ausgestrahlten Sendungen – etwa von der Stimme Amerikas, vom Radio Freies Asien oder vom südkoreanischen Staatsradio KBS – wirken die Sendungen der Flüchtlinge besonders echt. Nicht nur wegen des nordkoreanischen Akzentes ihrer Sprecher. Auch die Inhalte sind auf die abgeschottete Welt des normalen Nordkoreaners abgestimmt. Kim Sung-min:

    "Das Regime in Pjöngjang hält sich an der Macht, weil es alle Nachrichten von außen abblockt. Die Menschen hungern deshalb nicht nur nach Brot oder Reis, sondern vor allem nach Informationen."

    Das tägliche Radioprogramm schildert deshalb den Landsleuten im Norden, wie die Südkoreaner denken und leben. Flüchtlinge lesen aus ihren Tagebüchern vor, wie es ihnen im Süden ergeht, wie sie behandelt werden, ob sie Arbeit finden. Der Rest der Sendung widmet sich klassischer politischer Aufklärung. Im Studio diskutieren Experten über Demokratie und Menschenrechte. Redakteure erklären, was die nordkoreanische Propaganda unterschlägt oder einseitig darstellt. Der stellvertretende Chefredakteur Kim Ki-sung:

    "Wir berichten zum Beispiel, was die wahren Gründe für die deutsche Einheit waren und warum die Sowjetunion wirklich zusammengebrochen ist. Unsere Zuhörer sollen sich dann selbst ihre Meinung bilden."

    Nordkoreaner können das Flüchtlingsradio nur heimlich hören, denn das Einschalten ausländischer Sender wird in Nordkorea streng bestraft. Jedes Radio muss bei der Polizei angemeldet sein. Sie stellt es auf die Frequenz des staatlichen Senders ein und verplombt es. Doch in den letzten Jahren haben viele Nordkoreaner einen Weg gefunden, um trotz der Plombe mit ihrem Radio andere Sender zu hören.

    Die Zahl der unangemeldeten Radios ist zudem stark gestiegen, Chefredakteur Kim schätzt sie auf anderthalb Millionen. Mehrere Hunderttausend Kleingeräte wurden von evangelischen Christen aus Südkorea finanziert. Nordkoreanische Grenzgänger schmuggelten sie aus China ins Land. Trotz Verbot würden 70 Prozent der Bevölkerung ausländische Stationen hören, 50 Prozent schalteten den Flüchtlingssender ein. Kim Sung-min:

    "Es ist sehr schwer zu sagen, wer uns hört, denn niemand spricht darüber öffentlich. Aber wir gehen davon aus, dass viele unserer Hörer einen guten Job haben, die also zur Elite gehören."

    Die selbst ernannten Radiojournalisten produzieren ihre Sendungen unter massivem Druck. Am Telefon werden sie immer wieder von Menschen mit nordkoreanischem Akzent, vermutlich Geheimdienstagenten, bedroht. Falls sie weiter für den Sender arbeiteten, würden sie ermordet und ihre Verwandten in Nordkorea kämen ins Arbeitslager. Einmal wurde der Redaktion ein blutiggetränktes Hemd zugeschickt. Immer wieder quittierten Mitarbeiter deshalb den Dienst.

    Chefredakteur Kim wagte sich lange Zeit nur mit Tränengas bewaffnet auf die Straße. Linksradikale Studenten demonstrierten vor dem Sendestudio. Zwei Mal musste die Redaktion umziehen, weil die Vermieter keinen Ärger wollten. Mehrfach forderte Nordkorea bei offiziellen Ministertreffen von Südkorea, den Sender zu schließen. Immer wieder muss die Radiostation ihre Frequenz ändern, weil der nordkoreanische Geheimdienst die Sendungen elektronisch stört. Die Wut von Pjöngjang hat gute Gründe, denn das Radioprogramm scheint potentielle Überläufer zu ermutigen: Allein zwei der sieben Nordkoreaner, die für die Station arbeiten, entschieden sich zur Flucht, nachdem sie den Sender regelmäßig gehört hatten.