Dienstag, 14. Mai 2024

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Nordkorea
Maull: Machtkampf im Zentrum des Regimes

Im Fall der Hinrichtung des Onkels des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un sei das Maß der Öffentlichkeit außerordentlich ungewöhnlich, so der Politologe Hanns W. Maull. Kim wolle vermutlich exemplarisch abschrecken und seine Machtposition sichern.

Hanns W. Maull im Gespräch mit Matthias von Hellfeld | 14.12.2013
    Jürgen Zurheide: Nach der Hinrichtung des zweitmächtigsten Mannes in Nordkorea wächst die Furcht vor einer weiteren Destabilisierung in der Region insgesamt. Die Vereinigten Staaten werten die Verurteilung und die Hinrichtung in diesem Blitzverfahren als Beleg dafür, dass die extreme Brutalität der Regierung offenkundig geworden ist. Weltweit rätseln die Beobachter noch, ob in dem hermetisch abgeschirmten Land ein Machtkampf ausgebrochen ist oder ob Staatschef Kim Jong Un einzelne Konkurrenten aus dem Weg räumt. Wir haben auch versucht oder versuchen, das aufzudröseln, was denn dort passiert ist. Mein Kollege Matthias von Hellfeld hat gestern mit dem Ostasienexperten Hanns W. Maull gesprochen und ihm als Erstes die Frage gestellt: Dass der zweitmächtigste Mann hingerichtet worden ist, ist sicher, aber was ist denn noch sicher?
    Hanns W. Maull: Ich denke, wir können zumindest mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass ein Machtkampf ausgebrochen ist im Zentrum des Regimes, im Zentrum der politischen Ordnung in Nordkorea. Darüber hinaus ist sehr viel noch Gerücht. Interessant ist aber an dieser ganzen Episode der Säuberung eines der wichtigsten Mitarbeiter von Kim Jong Un, wie das vonstattengegangen ist. Das war wirklich außerordentlich ungewöhnlich, das Maß an Öffentlichkeit, die ausführlichen Erklärungen, was sich Jang zuschulden hat kommen lassen. Die Bilder von seiner Verhaftung auf einer erweiterten Sitzung des Politbüros der kommunistischen Partei. Also, das war alles schon sehr ungewöhnlich.
    Kim Jong Un ist sich vermutlich seiner Machtposition nicht sicher
    Matthias von Hellfeld: Auf was deutet das hin?
    Maull: Das deutet darauf hin, dass vermutlich der junge Führer jetzt sozusagen exemplarisch abschrecken will und damit seine Machtposition sichern will. Das deutet natürlich zugleich wahrscheinlich auch darauf hin, dass er sich dieser Machtposition nicht ganz sicher ist. Und dass die Nummer zwei sozusagen des Regimes, der Genosse Nummer eins, wie er intern genannt wurde, jetzt offiziell zugegeben hat, einen Putsch geplant zu haben, das deutet schon darauf hin, dass die Machtposition keineswegs gesichert ist.
    von Hellfeld: Ist das denn glaubhaft, dass er einen Putsch geplant hat, oder wird das nur vorgeschoben?
    Maull: Das ist schwer zu sagen. Ich denke, das sieht alles sehr nach stalinistischen Methoden aus, und diese Verhaftung war fast sicher inszeniert in dieser Sitzung. Das Geständnis ist fast sicher entweder erpresst worden oder einfach erfunden worden. Also was da dahinter dann die Wahrheit ist, das wird sich schwer sagen lassen.
    Fortgang des Machtkampfes im Inneren wahrscheinlich
    von Hellfeld: Denken Sie, dass der Machtkampf im Inneren Nordkoreas jetzt beendet ist, oder ist das nur ein Teil davon, der noch weiter geht?
    Maull: Nein. Nein, ganz sicher nicht beendet. Das ergibt sich schon aus dem "Geständnis". Denn Jang hat ja zugegeben, dass er versucht hat, sich mithilfe von Gefolgsleuten im Militär und in der Partei an die Macht zu bringen. Und das heißt, es gibt eine ganze Reihe von Anhängern von Jang, die jetzt vermutlich damit rechnen müssen, selbst zur Rechenschaft gebracht zu werden und möglicherweise eben auch liquidiert zu werden.
    von Hellfeld: Dem Land geht es wirtschaftlich nicht besonders gut – von Freiheitsrechten wollen wir jetzt gar nicht reden – und offenbar hat Kim Jong Un jetzt mehr Macht als vorher in Händen. Was ist jetzt von ihm zu erwarten?
    Maull: Ich bin der Auffassung, dass das mit inhaltlichen Fragen der Politik vermutlich relativ wenig zu tun hatte, diese Auseinandersetzung, und zu tun hat. Es geht also vermutlich nicht um inhaltliche Fragen. Es wird ja immer wieder die Version lanciert, das Jang sich für Reformen in Nordkorea starkgemacht haben soll. Das mag vielleicht ja auch so sein, er hat sicherlich eng mit China zusammengearbeitet, und wir wissen, dass China seit Jahren Nordkorea drängt, doch dem chinesischen Beispiel zu folgen und Wirtschaftsreformen ohne politische Reformen durchzusetzen. Aber dass er deswegen gefallen ist, glaube ich nicht. Sondern ich glaube wirklich, dass es da um die Frage ging, wer hat die Macht. Und von daher würde ich auch keine großen inhaltlichen Veränderungen der Politik Nordkoreas erwarten. Schon gar nicht die große Öffnung jetzt etwa.
    von Hellfeld: Blicken wir doch mal auf die Nachbarschaft: Wie wird in Südkorea das gesehen, und hat das möglicherweise dann auch Rückwirkungen auf das nord- und südkoreanische Verhältnis?
    Maull: Ja, zunächst einmal ist das für Südkorea natürlich eine Situation, die zu großer Aufmerksamkeit und Anspannung führt. Südkorea wird einfach versuchen, so gut es kann sich vorzubereiten auf Veränderungen und die Entwicklung im Land sehr genau zu verfolgen. Es könnte sehr gut sein, dass das der Beginn einer wirklichen Instabilität, eines Zerbröckelns des Regimes oder eines offenen Machtkampfs zwischen Fraktionen ist. Und da ist dann einfach aus südkoreanischer Sicht damit zu rechnen oder vielleicht sogar zu befürchten, dass da an der Grenze dann auch Dinge passieren, die riskant sind.
    Die instabilen Verhältnisse in Nordkorea haben Auswirkungen auf die Region
    von Hellfeld: Haben instabile Verhältnisse in den Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea Auswirkungen auf den restlichen asiatischen Raum – Stichwort China?
    Maull: Absolut. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen, es hat nicht nur Auswirkungen, sondern das, was auf der koreanischen Halbinsel stattfindet, hat grundsätzliche Bedeutung. Die koreanische Halbinsel ist so etwas wie das Cockpit gewissermaßen der ganzen Region und auch der Sicherheitsarchitektur in der ganzen Region. Das heißt, das hat nicht nur Auswirkungen auf China, ganz offensichtlich und auch jetzt schon – wir haben schon Nachrichten gesehen über Militärbewegungen an der chinesisch-nordkoreanischen Grenze –, sondern das hat auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen China und Japan, zwischen China und den USA und, wie gesagt, für die Sicherheitsarchitektur in der ganzen Region.
    von Hellfeld: Ganz kurz zum Schluss gefragt: Wenn Sie einen Ausblick wagen auf die nächsten vier Wochen – was wird geschehen?
    Maull: Mehr Säuberungen. Der Machtkampf wird sich fortsetzen. Und ich bin nicht sicher, ob man nach vier Wochen schon sagen kann, wie dieser Machtkampf ausgehen wird.
    Zurheide: Der Machtkampf wird sich also fortsetzen, das ist die Einschätzung von Hanns W. Maull, dem Ostasienexperten und Politikwissenschaftler an der Universität Trier. Das alles im Deutschlandfunk um 6.57 Uhr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.