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Nordrhein-Westfalen
Die Piraten vor der Europawahl

Im NRW-Landtag gelten sie als nett, aber harmlos, bei der Bundestagswahl bekamen sie gerade einmal 2,2 Prozent. Auch drei Monate vor der Europawahl ist die Partei noch auf der Suche nach Themenschwerpunkten und innerer Stabilität.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 23.01.2014
    "Äh, Leute? Sorry."
    So sympathisch klangen sie mal: die Piraten in NRW, auf einem ihrer Parteitage. Immer leicht verwirrt, jedoch mit klarer Agenda: Netzsicherheit und Bürgerrechte. Wenn da nur nicht die ewigen Kommunikationsschwächen wären, und sei es nur das Problem mit den Steckdosen.
    "Bevor irgendjemand anfängt, die Kabel abzubauen, besonders die Dreiersteckdosen, der möge auf ein Startzeichen warten, denn wir müssen 14 spezielle Steckdosen zuerst suchen. Wenn ihr jetzt schon anfangt, find ich die nie wieder."
    Fast anderthalb Jahre sind vergangen, seitdem die Netzpartei erstmals mit 7,8 Prozent in den nordrhein-westfälischen Landtag eingezogen ist, und dennoch wirkt die Außendarstellung der Piraten noch immer wie Kabelsalat.
    "Es gibt durchaus Probleme in der Partei",
    räumt der Düsseldorfer Fraktionschef Joachim Paul unumwunden ein:
    "Viele sind sich dessen bewusst, vor allem die Parlamentarier, dass in den Arbeitskontexten der Spalt zwischen den Parlamentariern und der sogenannten Basis größer wird. Und wir müssen da gegensteuern und Kommunikationskanäle optimieren und professionalisieren."
    Die sogenannte Basis – der Fraktionschef verhehlt nicht mehr, wie sehr ihm seine eigenen Parteifreunde mit ihrem überaus transparenten Gezänk auf die Nerven gehen. "Vollis" und "Kernis" streiten um die Frage, ob man sich auf das Kernprogramm Internet-- und Bürgerrechte konzentrieren oder sich mit einem "Vollprogramm" breiter aufstellen soll. Ungeklärt auch die Konflikte um die Bezahlung der Parteivorstände und mögliche Doppelfunktionen von Amt und Mandat. Die Landtagsfraktion in Düsseldorf kommt ebenfalls nicht auf die Füße. Bei den entscheidenden Landesthemen Haushalt, Energie, Infrastruktur versickern die Vorschläge der Piraten. Wir tun was, sagt Paul, es interessiert nur keinen.
    "Beispielsweise die Einbringung einer Aktuellen Stunde zum Thema Braunkohle, zum Thema Militärforschung an nordrhein-westfälischen Hochschulen. Die Anhörung zu einem von uns eingebrachten Transparenzgesetz im Innenausschuss."
    Mangelnde Fairness wirft Paul den Medien und den anderen Fraktionen im Landtag vor. Dort gelten die Piraten als nett, aber harmlos. All das setzt sie derart unter Strom, dass der Abgeordnete Daniel Düngel Anfang Januar verbal den Stecker zog: Unter der Überschrift "Kneift Euren" - Zitat – "Arsch zusammen" – schrieb sich Düngel in Rage über das "Kranke System""" des Politikbetriebs und speziell des Düsseldorfer Landtags. Fraktionschef Paul verteidigt seinen Parteifreund:
    "Seine Beweggründe, das geht aus dem Ton seines Blogs hervor, die waren einfach Zorn. Zorn heißt immer, dass auch ein Stück Verstand mit dabei ist. Herr Düngel hat schon etwas rausgepowert. Und diesem Ärger muss Ausdruck verliehen werden können."
    Das Problem ist nur: Da ärgert sich einer über das Pfründesichern im Landtag, der selbst von den Vorzügen des "Systems" profitiert. Denn Daniel Düngel ist stellvertretender Vizepräsident des Landtags, inklusive erhöhter Bezüge, Dienstwagen und Chauffeur. Weil seine Wortwahl vom "Kranken System" zudem noch an die Sprache von NPD-Funktionären erinnert, bestellte die Landtagspräsidentin ihren Vize ein und forderte ihn auf, sein Verhältnis zum Parlamentarismus zu klären. Auch Joachim Paul möchte was klären:
    "Unser System ist sicherlich weiter entwicklungsfähig, ich drücke es mal positiv aus. Also man muss das in einem größeren Kontext sehen."
    Größer, frecher, provokanter – lautet jetzt die neue Linie der Piraten in der Landeshauptstadt. Sie wollen stärker draufhauen, gleichzeitig jedoch professioneller auftreten. Die Quadratur des Kreises. Zwar erschien der netzpolitische Sprecher der Fraktion diese Woche im feinen Business-Anzug vor der Presse, und er bot auch edle Häppchen auf sauber gebügeltem Tischtuch an. Doch dann das: Allen Ernstes referieren die Piraten an diesem Vormittag über "Zombie-Bügeleisen aus der Hölle und andere teuflische IT--Sachen" – Zitat Ende.
    "Der Titel ist natürlich absichtlich reißerisch gewählt, weil wir einmal mehr auf die Gefahren, die der IT--Sicherheit drohen, aufmerksam machen wollen."
    Daniel Schwerd ist ein kluger Kopf. In der Fraktion zuständig für das Thema Netzsicherheit, spricht der 47--jährige Informatiker über Spionage--Chips, die in Russland aufgetaucht seien, versteckt in Bügeleisen und Wasserkochern aus chinesischer Produktion.
    "Jaa, das klingt erst mal sehr absurd."
    Doch die Piraten fürchten nun ernsthaft besorgt, dass entsprechende Haushaltsgeräte auch bei der Landesregierung im Umlauf sein könnten. Also verschickte Daniel Schwerd eine Kleine Anfrage, auf die anstelle des für die Innere Sicherheit zuständigen Innenministers "nur" der Kabinettskollege vom Verbraucherschutz eine Antwort schickte. Tenor: alles sicher – das WLAN genauso wie die Wasserkocher. Der Piraten-Experte ist enttäuscht:
    "Das Problem wird ignoriert, kleingeredet oder man kann es sich gar nicht richtig vorstellen offenbar."
    Die Piraten verweisen auf Edward Snowden. Und wer ihnen länger zuhört, bemerkt durchaus ihre Kompetenz bei Themen wie NSA und Datensicherheit. Viel gebracht hat es ihnen bei der Bundestagswahl nicht, als sie mit 2,2 Prozent der Wählerstimmen eine Pleite einfuhren. Nun hofft die Netzpartei, im Mai bei den Europa- und Kommunalwahlen in NRW zu punkten. Um die Schmach vom vergangenen September vergessen zu machen beziehungsweise auszubügeln.