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Nordrhein-Westfalen
Dozenten umgehen Verbot der Anwesenheitspflicht

Seit dem Wintersemester dürfen Dozenten in Nordrhein-Westfalen für die meisten Lehrveranstaltungen keine Anwesenheitspflicht mehr fordern. Allerdings wird diese Regel häufig bewusst ignoriert. Zwei Studierendenvertretungen haben deshalb einen offenen Brief an die Rektoren geschrieben.

Von Meriem Benslim | 02.03.2015
    Studenten verfolgen in Köln in der Aula Universität eine Veranstaltung.
    Vorlesung in Köln: Anwesenheit ist per Gesetz häufig nicht mehr vorgeschrieben. ( picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    "Es gibt leider noch relativ viele Dozenten, teilweise auch ganze Fakultäten, die sich dem neuen Gesetz verweigern und trotzdem weiterhin Anwesenheitspflicht verlangen, obwohl sie es eigentlich nicht mehr dürften", erzählt Moritz Fastabend vom AStA der Ruhr-Uni Bochum. Mehr als 400 Studierende hätten sich bereits über ihre Dozenten beschwert. Und auch beim AStA in Münster seien rund 300 Beschwerden eingegangen.
    "Jetzt am Ende des Semester sind es besonders viele, die sich beschweren, die aus Seminaren rausgeflogen sind. Oder es ist so, dass die Dozenten den Studierenden anbieten, wenn sie zu oft gefehlt haben, Ersatzleistungen erbringen zu können, um die Credit-Punkte zu bekommen. Wo wir den Studierenden aber auch raten, Dozenten darauf hinzuweisen, dass sie doch bitte sich an das Gesetz halten sollen und keine Ersatzleistungen dafür verlangen sollten für zu häufiges Fehlen."
    Hochschulgesetz soll Härtefälle entlasten
    Denn das sieht das neue Hochschulgesetz in NRW nicht vor. Die Anwesenheit dürfe keine Voraussetzung mehr dafür sein, für Prüfungen zugelassen zu werden. Dadurch sollen soziale Härtefälle entlastet werden, wie Yagmur Karakis. Sie studiert Germanistik und Geschichte in Düsseldorf. Ihr Stundenplan kollidiert oft mit ihren privaten Verpflichtungen.
    "Ich muss nebenher arbeiten, weil ich keinen besonders hohen BAföG-Satz bekomme. Und nebenher möchte ich halt auch für meine Mutter da sein, die erkrankt ist und die meine Begleitung im Moment braucht. Wenn die Termine so liegen, dann ziehe ich es natürlich vor, meine Mutter ins Krankenhaus zu begleiten."
    Besonders in den Geisteswissenschaften nutzen allerdings viele ein Schlupfloch im Gesetz. Für die Einübung des wissenschaftlichen Diskurses darf die Anwesenheit weiter gefordert werden. Genau darauf beruft sich auch der Germanistik-Professor Benedikt Jeßing der Ruhr-Universität Bochum:
    "Die Seminare sind so angelegt, dass die problematisierende Besprechung und Erarbeitung literarischer Texte im Zentrum der Veranstaltung steht. Und weil das Wissen nur in den Veranstaltungen selber erzeugt wird, kann ich die Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen."
    Einige Dozenten nutzen Schlupflöcher
    Solche Ausnahmen für Seminare zu nutzen, ist gar nicht so schwer. Der "wissenschaftliche Diskurs" ist schließlich ein offener Begriff. Obwohl das Wissenschaftsministerium NRW gleichzeitig sagt, dass für die meisten Seminare keine Anwesenheitspflicht mehr gefordert werden darf. Germanistik-Professor Jeßing ist darüber empört:
    "Die Aufhebung der Anwesenheitspflicht vernichtet den Wert der gemeinsamen Arbeit in den Lehrveranstaltungen. Weil unterstellt wird, man könne das auch in Heimarbeit machen. Und das geht nicht. Das geht in allen Textwissenschaften nicht."
    Er traue seinen Studierenden zwar zu, seine Seminare auch ohne Zwang zu besuchen. Gleichwohl gebe es immer eine Gruppe, die ihr Studium ohne Kontrolle nicht beenden würde.
    "Und diese Graugruppe, die will ich nicht verlieren. Ich habe selber in einer Zeit studiert, in der es keine Anwesenheitspflichten gab. Viele Studierende kamen mit dieser absolut freien Lehre nicht klar. Seit wir in Bochum eine Übereinkunft haben, dass Anwesenheit nötig ist, haben wir eine Abbrecherquote von unter 30 Prozent."
    Studierendenvertretungen schrieben Brief an Rektoren
    Deshalb will Jeßing weiter auf Anwesenheit für Seminare bestehen. Rückendeckung bekommt er dabei auch vom Rektorat. Zum Ärger der Studierendenvertretungen. Die Asta-Vorsitzenden in Bochum und Münster haben von den Rektoren in einem offenen Brief gefordert, für die Befreiung von der Anwesenheitspflicht zu sorgen. Bisher ohne Antwort. Ein Ende der Diskussion sei das aber nicht, sagt Moritz Fastabend vom Bochumer AStA:
    "Falls es wirklich weiterhin massive Probleme geben sollte, behalten wir uns da auch vor, da nochmal mit dem Wissenschaftsministerium Kontakt aufzunehmen. Um da ganz klar zu machen, dass Gesetze wirklich umgesetzt werden müssen."