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Nordrhein-Westfalen
Streit um die Sperrklausel

1999 fiel in Nordrhein-Westfalen die Sperrklausel. Seitdem hat sich die Zahl der in den Kommunalparlamenten vertretenen Parteien erheblich erhöht: In 14 Räten sitzen über zehn Parteien. SPD, CDU und Grüne fühlen sich gestört – also wollen sie schleunigst die Landesverfassung ändern und eine Dreiprozenthürde einführen.

Von Moritz Küpper | 02.04.2015
    Es klang fröhlich, unbeschwert und leicht: "Hier ein Lied aus Deiner Stadt, die jetzt Dinge Fründe hat. Klüngel weg und Perestroika auch in Köln ..."
    Im vergangenen Jahr zog die Gruppe "Deine Freunde" in das Kölner Kommunalparlament ein: Zwei Prozent der Stimmen reichten – für zwei Sitze im altehrwürdigen Rat der Stadt Köln: "Revoluzzer kommt hervor, Dinge Fründe mit im Chor ... "
    Ute Symanski und Thor Zimmermann, so heißen die beiden Freunde, die seit dem letzten Jahr in Köln Politik machen. Und sie sind kein Einzelfall: Über 200 Wählergruppen mit maximal zwei Mandaten sitzen in den Räten der Städte, Gemeinden und Kreise von NRW. Seitdem die Fünf-Prozent-Sperrklausel im Jahr 1999 weggefallen ist, hat sich die Zahl der in den Kommunalparlamenten vertretenden Parteien erheblich erhöht: In 14 Räten in NRW sitzen über zehn Parteien – so auch in Köln.
    "Gut gelungen ist uns, glaub ich, die Vernetzung einzelner Initiativen außerhalb des Rates, eben von Bürgerinitiativen mit unserer Ratsarbeit ..."
    Ratsherr Zimmermann von "Deine Freunde" sitzt – ganz in Jeans – in seinem Büro im Kölner Rathaus, er spricht über seine Arbeit. Dabei geht es weniger um Wahlkampflieder, sondern vielmehr um konkrete Politik, um eben die geplante Sperrklausel, die wohl bei drei Prozent liegen soll:
    "Verloren gehen würde das Engagement vieler Bürger, die sich einbringen wollen. Es ist klar, dass bei einer Sperrklausel von etwa drei Prozent sich viele nicht neu zusammenfinden würden zu Wählergruppen, Wählerinitiativen, weil sie davon ausgehen würden, dass sie das ja eh nicht schaffen."
    Lange Geschichte des Kampfs um die Sperrklausel
    Der Kampf um die Sperrklausel hat in NRW Geschichte: Eben 1999 und auch im Jahr 2008 kippte jeweils der Verfassungsgerichtshof in Münster diese Hürde. Nun wollen die Befürworter die Landesverfassung ändern – dafür braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Und die scheint zu stehen: Nach SPD und CDU sind im Düsseldorfer Landtag nun auch die Grünen für eine Klausel. Das Motiv der Parteien: Sie sehen aufgrund der vielen Gruppen eine Zersplitterung der Kommunalparlamente, die die politische Arbeit erschwert, Mehrheitsbildungen unmöglich macht. Doch diese sogenannte Funktionsunfähigkeit der Räte müssen die Parteien nachweisen. Thor Zimmermann jedenfalls kann das Argument nicht nachvollziehen, er schüttelt genervt den Kopf, wenn er an die Begründungen der Kollegen aus den etablierten Parteien denkt:
    "Beste Zitat finde ich von Hans-Willi Körfges, dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion: 'Wir dürfen uns nicht von Kleinstgruppierungen unsere kommunale Demokratie kaputt machen lassen'."
    Eben jener Hans-Willi Körfges blickt 40 Kilometer weiter rheinabwärts im Düsseldorfer Landtag auf einen schweren Aktenordner, den er auf seinen Schreibtisch gelegt hat. Gutachten um Gutachten ist dort abgeheftet. Er ist – naturgemäß – anderer Meinung, was die Arbeit in den Kommunen angeht:
    "Natürlich kann man sagen, solange es einen Oberbürgermeister gibt, der das Ding verwaltet und irgendwie Haushalte beschlossen werden können, wie auch immer, funktioniert ne Kommune. Unter den Aspekten aber von ehrenamtlicher Kommunalpolitik, gibt es auch, ich sage mal, für Funktionsfähigkeit andere Maßstäbe."
    Aktuell sammele die SPD Beweise für seine Argumente, auch die politischen Stiftungen und kommunalpolitischen Vereinigung seien daran beteiligt. Körfges, so etwas wie der Kommunal-Experte seiner Partei, denkt dabei an Ratssitzungen in verschiedenen Städten, die bis fünf Uhr früh dauerten.
    "Das ist als politisches Ehrenamt mit einem normalen Beruf kaum noch zu vereinbaren. Es gibt auch kaum noch Menschen, die wir dann drauf ansprechen können, sich für ein kommunales Mandat zur Verfügung zu stellen."
    Partei-Interessen, wenn die bei dem Vize-Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag schon vorsichtig anklingen, formuliert es sein Kollege und Fraktions-Chef Norbert Römer geradeheraus – schließlich ist die Wiedereinführung der Sperrklausel eines seiner Lieblingsthemen – auch, weil große Parteien aktuell benachteiligt werden, wie er kritisiert:
    "Meine Partei beispielsweise, das gilt aber auch für die CDU, in einer großen Stadt mindestens doppelt so viel Stimmen braucht, um ein kommunales Mandat zu erringen, wie eine kleinere Gruppierung."
    Drei Prozent ab 2020?
    Die Rechnung ist simpel: In größeren Städten brauchte ein Sozialdemokrat etwa 1.700 Stimmen pro Mandat, der kleinsten Gruppe dagegen reichten 1.300 Wähler – und je nach Wahlergebnis kann das Verhältnis sogar noch ungünstiger sein. Demnächst – so plant Römer – will die SPD für ihren Antrag die anderen Parteien mit ins Boot holen. Wenn alles gut läuft – so plant der Fraktionschef – sollen 2020 nur Gruppen in den Kommunalparlamenten sitzen, auf die sich mindestens drei Prozent der Wähler einigen konnten. Bei der CDU ist man da großzügiger – noch – wie der Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion, Lutz Lienenkämper sagt:
    "Wir haben vorgeschlagen, zweieinhalb Prozent. Die SPD hat gesagt drei Prozent, insofern werden wir uns da sicherlich auf eine vernünftige Zahl einigen."
    Der Plan der großen Parteien also steht. Widerstand zwecklos? Nicht ganz: Denn im Düsseldorfer Landtag sitzen auch noch die Piraten: Und mit denen ist eine Sperrklausel – wohl auch aus Eigeninteresse – nicht zu machen. Piraten-Fraktionschef Joachim Paul hat schon die härtere Gangart angekündigt:
    "Also die kleineren Parteien, auch die Piraten, tun gut daran und werden es auch machen, wahrscheinlich wieder vor Gericht zu ziehen."
    Er findet drastische Worte für die Pläne der Großen:
    "Das damit zu begründen, dass man von vorneherein die Meinungsvielfalt reduziert, ist eigentlich anti-demokratisch."
    Ein Punkt, dem Thor Zimmermann in Köln zustimmt. Auch „Deine Freunde" prüfen juristische Wege – und das, obwohl Zimmermann und seine Gruppierung die Sperrklausel selbst nicht fürchten:
    "Wir sind so, in Politikersprache, auf dem aufsteigenden Ast, haben uns jetzt bei jeder Wahl verzweieinhalbfacht. Würde bedeuten: 2020 – fünf Prozent. Wären wir also locker drin."