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NORLA aktuell: niedersächsische Landjugend will ‚Fremde zu Freunden’ machen

Michel Friedmann vom Zentralrat der Juden weist immer wieder darauf hin, dass Fremdenfeindlichkeit viele Facetten hat, auch solche, die man zunächst nicht als fremdenfeindlich erkennt. Auf der Norla in Rendsburg überreichte der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein dem Landjugendverband einen Scheck in Höhe von 10.000 Mark für das Projekt all inclusive - Fremde werden Freunde. Denn Fremdenfeindlichkeit ist kein Phänomen, dass sich nur in den Städten zeigt.

von Annette Eversberg | 17.09.2001
    Viele kleine Fotos auf einem Plakat. Jedes einzelne steht für Jugendliche und Erwachsene, die sich gegen Fremdenfeindlichkeit im ländlichen Raum einsetzen wollen. Der Kontakt zu Menschen anderer Kulturen ist dort viel unmittelbarer, viel enger, weil auch der Raum in dem man sich bewegt, sehr viel kleiner ist als in der Stadt, meinen Marianne Trede, Vorsitzende der Landjugend Schleswig-Holstein und Kirsten Walter vom Landjugendverband Norttorf bei Neumünster.

    Ausländer im ländlichen Raum werden auch mehr toleriert als in den Städten. Ich bin früher in der Grundschule gewesen, hatte eine Schwarze bei mir in der Klasse und habe sie nie als schwarz angesehen, weil sie einfach dazu gehörte von Anfang an. - Meine beste Freundin ist halbschwarz, ich habe mit solchen Leuten überhaupt kein Problem. Das ist ganz normal.

    Auch Angriffe auf Ausländer gehören selten zum Erfahrungshorizont der Landjugend. Die Wahrnehmung der eigenen Identität ist unverkrampft, wenn man die Jugendlichen fragt, was das Wort Deutsch für sie bedeutet.

    Ja das ist eine Sprache.—Lachen—Ich finde, das Wichtigste ist Mensch sein, egal wo man lebt. – Ich fühle mich eher als Schleswig-Holsteiner als als Deutscher. Deutsch ist für mich eine Kultur. Mehr ist das auch nicht.

    Die vielen Austauschprogramme mit den USA oder Frankreich, vor allem aber mit Weißrussland, Lettland, Litauen oder Estland werden von der Landjugend nicht nicht nur angeboten, sondern auch wahrgenommen. Dennoch dient das Projekt all inclusive - Fremde werden Freunde nicht der Selbstdarstellung der schleswig-holsteinischen Landjugend, erläutert der Schirmherr der Aktion, der schleswig-holsteinische Innenminister Klaus Buß:

    Wir haben durchaus im ländlichen Raum, gewisse, ich möchte einmal sagen, latente Probleme. Jeder, der auf dem Dorf einmal gelebt hat - ich habe das 10 Jahre getan -weiß wie das ist, wenn nur jemand von außen kommt, und sich in dem gewohnten Kreis ansiedelt. Der wird misstrauisch beäugt und hat schon seine Mühe, in den dörflichen Bereich ein Stück einzudringen.

    Den Begriff des Fremden hat die Landjugend auch für alle anderen daher erstmals sehr weit gefasst.

    Das kann jeder sein. Es ist ja schon so, dass jemand, der aus Bayern kommt und in Schleswig-Holstein Urlaub macht, ja sich hier auch fremd fühlt, so wie wir uns in jedem anderen Bundesland oder in jedem anderen Land uns fremd fühlen, wenn wir uns dort nicht auskennen. - Also ich habe mich häufiger in Hamburg aufgehalten, in der nächst größeren Stadt von hier oben aus gesehen. Und man merkt schon, dass es ein anderer Menschenschlag ist. Man kommt auch nicht selber damit zurecht wie die sind, aber die kommen auch nicht vielleicht ganz leicht damit zurecht wie wir sind.

    Die Verstädterung der Dörfer, die größere Mobilität der Menschen, verändert das dörfliche Gesicht. Nicht selten wird aus einer ehemals festgefügten Gemeinschaft eine Schlafstätte für die, die in der Stadt arbeiten. Diese Veränderungen schüren Ängste, bei denen, die immer schon da waren. Wie Alt- und Neubürger aufeinander zugehen sollen, da gehen die Meinungen bei den Jugendlichen noch auseinander:

    Ich glaube, wenn ich von der Stadt aufs Dorf ziehen wollte, würde ich versuchen, auf die Leute zuzugehen, vielleicht auch mal zum Stammtisch zu gehen, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen, zu den Nachbarn zu gehen, und mit denen zu reden. - Das heißt ja nicht, dass man von den Leuten erwartet, dass sie immer genauso sind, genauso handeln, wie man selber, sondern, dass man ihnen auch die Individualität lässt, nur sich bemüht zu verstehen, wieso sie bestimmte Ansichten haben.

    Toleranz gegenüber Pluralität und Individualismus das wird gerade in diesen Tagen diskutiert, wenn der Gegensatz zwischen den westlichen Demokratien und islamischen Staaten thematisiert wird. Große Begriffe und gewichtige Worte. In den Schulen ist dies alles wie selbstverständlich Thema. Das Naheliegende kommt dabei - so Klaus Buß - jedoch häufig zu kurz.

    Man muss auch dieses latente Unwohlsein, wenn jemand in den gewohnten Kreis eindringt, das müsste man ganz offen, ehrlich, ohne wenn und aber ansprechen. Und dann werden die meisten denken, da ist wirklich was dran, was der Lehrer oder die Lehrerin sagt.

    Gerade die Schulen haben im ländlichen Raum eine kaum zu unterschätzende Funktion. Sie sind nicht nur kultureller Mittelpunkt, sondern auch wichtige Kontaktbörsen, in denen Jugendliche den Erwachsenen tagtäglich vorleben, wie Fremde Freunde werden.