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Normales Verhältnis zu Deutschland?

Vor 40 Jahren haben Israel und die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen aufgenommen. Haben jüngeren Israelis sich an ein normales Verhältnis zu Deutschland gewöhnt? Ruth Ben-Ami, Dolmetscherin bei der Israelisch-Deutschen Handelskammer, hatte "große Angst und große Hemmungen", als sie nach Deutschland kam. Genauso sei es jedoch auch den Menschen gegangen, denen sie hierzulande begegnete.

Moderator: Elke Durak |
    Elke Durak: Die erste Zeit, eine schwere Zeit, ganz zu schweigen von den großen Schwierigkeiten, bis es überhaupt dazu kam. Noch viel problematischer war für viele Israelis normal mit Deutschen umzugehen. Und wer wollte es den Opfern des Massenmordes an sechs Millionen Juden verdenken. Wie ist das heute? Wie geht es jüngeren Israelis, haben sie sich an das normale Verhältnis zu Deutschland, zu Deutschen gewöhnt? Ich frage also Ruth Ben-Ami. Sie ist in Tel Aviv, sie ist Dolmetscherin bei der Israelisch-Deutschen Handelskammer. Sie betreut aber auch israelische wie deutsche Jugendgruppen, hie wie da. Schönen guten Morgen.

    Ruth Ben-Ami: Guten Morgen.

    Durak: Sie haben deutsche Wurzeln oder ein paar Jahre nur in Deutschland gelebt?

    Ben-Ami: Ich habe nur ein paar Jahre in Deutschland gelebt.

    Durak: Sie sprechen sehr gut deutsch, sie haben eine Affinität zu Deutschland. Ist das etwas besonderes in Israel noch oder ist das normal?

    Ben-Ami: Nein, ich würde sagen, es ist etwas sehr besonderes und das hat bei mir einfach damit zu tun, dass ich als 13-Jährige mit meinen Eltern nach Deutschland umgezogen bin und große Angst davor hatte und auch große Schwierigkeiten zu Beginn. Aber ich habe mich eingelebt. Ja, und heute ist natürlich Deutschland mein zweites zu Hause.

    Durak: Was hat es Ihnen denn leicht gemacht oder ermöglicht, sich doch relativ schnell einzuleben in Deutschland?

    Ben-Ami: In erster Linie natürlich die Sprache. Es ist nie leicht, sich in ein neues Land einzugewöhnen aber ich denke, es ist eine sehr besondere Beziehung, die entstanden ist, eine Beziehung, die erst einmal von vielen Hemmungen begleitet war. Und später aber mit der Annäherung und dem persönlichen Kontakt habe ich die Vorurteile, die ich hatte und ich denke, meine Mitschüler auch ihre Vorurteile, abbauen können.

    Durak: Der erste deutsche Botschafter in Israel Rolf Pauls hatte rückblickend einmal gesagt, es gebe zwischen Juden und Deutschen so ein merkwürdiges Phänomen des Abstoßens und des Anziehens. Das speist natürlich aus dieser gemeinsamen Geschichte. Hat sich da etwas erhalten, ist davon noch etwas zu spüren?

    Ben-Ami: Ja, ich würde sagen sehr viel. Also ich würde es als ein Verhältnis von Angst und von Hass und von Liebe, also, es ist nicht einfach zu beginnen. Ich glaube, dass für beide Seiten, also bei mir war es zumindest so, dass ich große Angst und große Hemmungen hatte und nicht wusste, was mich in Deutschland erwartet. Und ich glaube, dass die Menschen, denen ich begegnet bin, das genauso im Bezug auf mich gesehen haben, nicht wussten was ich von ihnen halte, ob ich Angst vor ihnen habe oder vielleicht Hass aufgrund der Vergangenheit. Und das dauert eine Weile, bis wir das miteinander geklärt haben und angesprochen haben. Wenn es aber soweit ist, dann ist die Nähe eben sehr groß.

    Durak: Frau Ben-Ami, kann es sein, dass das deutsche Interesse an Israel größer ist, als das israelische Interesse an Deutschland?

    Ben-Ami: Ich würde sagen, es könnte sein. Aber ich glaube, dass Deutschland und Israel, also Deutsche und Israelis sich gegenseitig nie ignorant gegenüber verhalten können. Es lässt einen nie kalt, man hat eine Meinung dazu und entweder es zieht einen stark an, die Verbindung, oder man möchte nichts damit zu tun haben. Es ist nicht normal, würde ich sagen, das Verhältnis ist nicht normal. Es ist ein besonderes Verhältnis.

    Durak: Könnten Sie beschreiben, was typisch deutsch ist und typisch israelisch im Unterschied?

    Ben-Ami: Ja, ich würde sagen, dass Israelis eben durch die Umstände in Israel und durch gemeinsames oder durch kollektive Erinnerung, wenn man das so sagen könnte, einfach ein anderes Verhältnis zum Leben haben und auch zu ihrem Land, zu ihrer Heimat. Und die Deutschen haben eben auch ein anderes Verhältnis zu ihrer Heimat. Ich fand das immer sehr auffällig und sehr bewegend und ich finde, dass es auch sehr den Alltag beeinflusst.

    Durak: Inwiefern?

    Ben-Ami: Ich fand das zum Beispiel immer toll, wenn ich nach Deutschland kam, ich bin ja hier aufgewachsen, ich war immer sehr stolz, ich meine ich war damals noch ein Kind aber ich war immer sehr stolz auf meine Heimat und wir haben Volklieder gesungen hier und es war etwas, was man feiern konnte, zum Beispiel heute ist der Unabhängigkeitstag und heute habe ich natürlich eine andere Einstellung dazu. Es gibt hier viele Probleme und viele Dinge, die ich kritisiere aber dennoch ist es meine Heimat und ich stehe dazu. Und meine deutschen Freunde haben das nie so gesehen in bezug auf Deutschland und haben das auch nie so gesagt und nie so empfunden. Und das gibt einem natürlich sehr viel Kraft und auch einen Rückhalt, wenn man weiß, man gehört irgendwo hin. Und das würde ich sagen, ist das auffälligste, außer natürlich auch Mentalität und Sachen des Alltags, aber das ist so das stärkste, finde ich, was mich berührt hat.

    Durak: Können Sie verstehen, auch aus Gesprächen, die sie mit deutschen Jugendlichen, mit jungen Leuten haben, dass junge Leute, 20 Jahre alt, heutzutage von der Geschichte des Zweiten Weltkrieges, von der Schuld nicht mehr so viel wissen wollen beziehungsweise nicht ewig schuldig sein wollen?

    Ben-Ami: Das kann ich absolut verstehen und ich bin auch sehr kritisch den Stimmen gegenüber, die jungen Deutschen ein schlechtes Gewissen einreden wollen. Und ich begegne dem oft auch hier bei Israelis, dass also dieser Vorwurf überhaupt nicht kommt. Für mich ist es auch ganz klar so. Ich verstehe das heute, also die Eltern, die Großeltern von meinen Freunden in Deutschland haben vielleicht eine Vergangenheit, mit der ich Schwierigkeiten hätte. Aber die Gleichaltrigen beziehungsweise junge Deutsche haben damit in dem Sinne nichts zu tun. Sie haben keine Schuld. Und ich finde, dass ich genauso wie sie, die selbe Verantwortung habe, unserer Welt gegenüber, dass so etwas sich nie wiederholt. Und ich kann das sehr wohl verstehen, wenn junge Deutsche einfach sich nicht schuldig fühlen wollen und sie sollten das auch nicht.

    Durak: Eine große Toleranz also auch in Israel. Aber wie steht es mit der Toleranz israelischer junger Menschen, vor allem auch, wenn sie sehen, dass in Deutschland wieder rechtsextreme Kräfte bis in Landesparlamente gekommen sind?

    Ben-Ami: Das sehen Israelis, glaube ich, überhaupt sehr, sehr alarmierend. Weil gleich eben auch wieder das Vorurteil kommt: Wenn so etwas wieder geschehen würde, dann wäre es in Deutschland. Es ändert sich nichts. Viele Israelis wissen nicht genug über Deutschland. Wenn ich mit Israelis hier spreche, dann fühle ich mich natürlich da sehr betroffen und erzähle von meinen ganzen Erlebnissen, die dem widersprechen. Neonazis gibt es aber ich habe mich in Deutschland nie unsicher gefühlt. Ich habe in Deutschland auch nie schlechte Erfahrung mit Nazis gemacht. Und das teile ich natürlich mit, um diese Vorurteile zu verändern.

    Durak: Immerhin muss aber der israelische Botschafter in Deutschland besonderen Personenschutz genießen.

    Ben-Ami: Ja, aber das muss er in jedem Land, nicht nur in Deutschland. Und ich glaube nicht, dass es ein Problem ist, was spezifisch ist für Deutschland.

    Durak: Frau Ben-Ami, Sie betreuen ja Jugendgruppen, israelische wie deutsche. Was wollen eigentlich israelische junge Leute von deutschen jungen Leuten oder über sie wissen? Was fragen die?

    Ben-Ami: Was fragen die? Also die erste Begegnung ist einfach ein sehr oberflächliches Kennenlernen und vielleicht so ein Überraschungseffekt, dass junge Deutsche im Grunde genommen die Welt ähnlich sehen. Also sie möchten auch ihr Leben leben und sie möchten studieren, sie möchten sich verwirklichen. Sie möchten einfach das Beste vom Leben haben. Und ich habe es aber ganz oft erlebt, dass nach einer Weile dieses intensiven Zusammenseins zwischen Gruppen aus beiden Ländern, dass natürlich dann Fragen aufgeworfen werden, die auch mit der Vergangenheit zu tun haben. Und es gibt ja auch immer einen gemeinsamen Besuch in einem Konzentrationslager mit einer Gedenkzeremonie und ich meine, dieses gemeinsame Erlebnis führt dazu, dass Gespräche geführt werden, die auch eben mit der Vergangenheit zu tun haben und dass beide Seiten ihre Gefühle mitteilen. Also, für mich ist das der Kern jeder Begegnung, wie dieses Gespräch, was eben nach dem Besuch in einem KZ beispielsweise abläuft.

    Durak: Vielleicht sind sich ja deutsche und israelische Jugendliche auch in einem einig, nämlich in einer gewissen Abkehr von der Politik, Sprichwort "Politikverdrossenheit". Ist das bei Ihnen auch zu spüren?

    Ben-Ami: Ja, auf jeden Fall. Ich würde sagen, dass das Vertrauen in die Politik und in die Politiker stark abgenommen hat. Es gibt natürlich sehr viele, das ist jetzt sehr verallgemeinert und es stimmt natürlich nicht für alle, aber ich würde sagen, dass politisch engagierte Jugendliche und wenn es Jugendliche sind, die eben auch nach Deutschland mitfahren, die selbst mit anderen Augen sehen wollen und erfahren wollen, selbst erfahren wollen sozusagen, dass diese Menschen irgendwie von der Politik enttäuscht sind, von Politikern enttäuscht sind.

    Durak: Eine Aufgabe für uns alle. Besten Dank. Das war Ruth Ben-Ami, sie ist Dolmetscherin bei der Israelisch-Deutschen Handelskammer.