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Norman Davies/Roger Moorhouse:Die Blume Europas: Breslau - Wroclaw - Vratislava

Für die - so der Titel - "Blume Europas: Breslau - Wroclaw - Vratislava" und die Geschichte dieser Stadt haben sich ausgerechnet zwei Briten interessiert: Norman Davies und Roger Moorhouse.

Joanna Wiorkiewicz |
    Wrotizla, Wretslaw, Presslaw,Vratislavia, Breslau oder Wroclaw- das sind nur einige von 50 Eigennamen in der über tausendjährigen Geschichte dieser Stadt. "Die Blume Europas” nannte sie ein Dichter und nach ihm zwei britische Autoren, die mit einem großen Team von Rechercheuren ein Buch der Überraschungen geschrieben haben. Die deutsche Ausgabe ist überraschenderweise über 700 Seiten dick geworden, aber dank der erzählerischen Talente der Autoren hat es die Anziehungskraft einer spannenden Saga. Überraschend erzählt diese Saga Geschichten, die nicht nur die Stadt und seine Bewohner als Hauptthema haben. Und nicht einmal besonders deutsche oder polnische Geschichten. Ganz im Gegenteil: Davies und Moorhouse zeigen in dichter Folge vor allem die Bindungen sowie deren Hintergründe innerhalb der ganzen Region bis hinein in den Kontext von Europa. Vor unseren Augen nähen sie einen bunten Flickenteppich, der nicht nur wissenschaftliche Quellen aufgreift sondern auch für fast schon körperlich-sinnliche Eindrücke bei der Lektüre sorgt: lustige Anekdoten sind dabei, Gedichte, private Briefe und Zitate aus Tagebüchern. Das Portrait der Stadt erscheint pointilistisch-bunt gemalt und schließlich, nachdem wir uns eingelesen haben, entsteht vor unseren Augen ein lebendiges Bild: Ein Mikrokosmos, der eigentlich das ganze Europa in sich widerspiegelt.

    In Polen mit großem Interesse aufgenommen, wurde das Buch mit breit aufgemachtem medialem Begleitkonzert in Wroclaw feierlich begrüßt, in Berlin sicherlich weniger feierlich, in England dagegen wieder sehr freundlich willkommen geheißen. Nichtsdestotrotz gab es auch kritische Stimmen: Mit Norman Davies, seit Jahren regelmäßig in Polen, um sich seine Objektivität zu bewahren, habe - so einer der Einwände - den Akzent zu sehr auf die deutsche Geschichte gelegt. Er habe vor allem die Sowjettruppen für die Zerstörung der Stadt 1945 verantwortlich gemacht. Schließlich habe er nur die Deutschen als Opfer gezeigt. Dies aber entspreche doch nicht den Tatsachen... und so weiter und so fort. Die historisch-intellektuelle Herausforderung, die beide Autoren hier formuliert haben, müssen wohl in erster Linie die Nationalisten beider Seiten als Provokation empfinden. Für Davies und Moorhouse ist solch eine Reaktion, solch eine Haltung nichts weiter als die Instrumentalisierung von Geschichte und letztlich reine Propaganda. Aus diesem Grund sind in dem vorliegenden Band auch die Bezüge zur böhmischen und jüdischen Kultur so wichtig.

    Die Nachkriegsgeschichte verhielt sich Wroclaw gegenüber nicht besonders gnädig. Die zerstörte Stadt wurde nur langsam wieder aufgebaut und restauriert, ihre jungen Talente haben die Stadt zumeist in Richtung Warschau verlassen. Trotzdem galt Wroclaw - gerade in volkspolnisch-kommunistischen Zeiten - immer als eine bis zur Frechheit stolze Stadt, deren Bewohner mit der von oben dekretierten Gleichschaltung nie etwas zu tun haben wollten. Nur ein winziges, eigentlich sogar beiläufig ironisches apercu als Beweis für diese Beobachtung: Auf Befehl des Zentralkomitees der Vereinigten Arbeiterpartei wurden in ganz Polen in den 50er Jahren die Straßenbahnen in den National-Farben weiß-rot bemalt - nur in Breslau ratterten unbeeindruckt stets himmelblau gestrichene Waggons über die ausgefahrenen Geleise. Heute entdeckt Wroclaw seine Geschichte wieder. Und damit seine Identität, die zutiefst international ist.

    Die Geschichte der Hauptstadt Schlesiens sei selber schon besonders für die heutigen Bewohner oder für die Menschen, die früher dort lebten, ein faszinierender Gegenstand. Aber sie ist weit mehr als das. Sie bündelt in verdichteter Form all jene Erfahrungen, die so kennzeichnend für Mitteleuropa sind, das reiche Gemisch aus Nationalitäten und Kulturen, der deutsche Drang nach Osten und die Rückkehr der Slaven: die jüdische Präsenz von außerordentlichem Rang; die turbulente Abfolge kaiserlicher Herrscher und in neuester Zeit die verheerende Herrschaft der Nationalsozialisten und Stalinisten. Kurz, die Hauptstadt Schlesiens ist ein mitteleuropäischer Mikrokosmos.

    Joanna Wiorkiewicz besprach: "Die Blume Europas: Breslau - Wroclaw - Vratislava". Das Buch ist erschienen im Verlag Droemer München. Es hat 702 Seiten und ist erhältlich zum Preis von 38 Euro.