Zwei Neuerscheinungen sind dabei, die sich mit den Begriffen "Ethnische Säuberungen" und "Völkermord" beschäftigen. Wie staatlich beförderter Rassismus das Leben einer jungen Deutschen während des Zweiten Weltkriegs, ja sogar noch danach aus zuvor friedlichen Bahnen geworfen hat, das erfahren Sie aus unserer dritten Neuvorstellung.
Ein dickleibiger Band zum immer noch nicht endgültig erforschten Themenkomplex "Der GULag in der untergegangenen Sowjetunion" soll anschließend kurz vorgestellt werden - und enden wollen wir heute mit der Besprechung zweier Essays aus den Federn je eines ukrainischen sowie polnischen Schriftstellers zu dem ganz und gar nicht sich nur mit der Geographie begnügenden Begriff: "Mitteleuropa".
Wer weiß, ob in der Geschichtswissenschaft nicht eines Tages das Jahr 1992 als ein Schlüsseldatum festgeschrieben werden wird? Exakt zu diesem Zeitpunkt nämlich tauchte der Begriff der "Ethnischen Säuberung" zum ersten Mal auf, um die serbischen Angriffe auf die muslimische Bevölkerung in Bosnien-Herzegovina zu beschreiben. Dies zumindest beobachtete Norman M. Naimark, Historiker an der Stanford University in den USA. Ethnische Säuberungen gab es allerdings auch schon vorher und in anderen Ländern. Allerdings: Es scheint sich dabei um ein typisches Phänomen aus dem vergangenen, dem 20. Jahrhundert, zu handeln.
Naimark hat jetzt beim Münchner Beck-Verlag eine Art Sammelband vorgelegt mit dem Titel: "Flammender Hass - Ethnische Säuberungen im 20. Jahrhundert." Ekkehard Maass, gelernter DDR-Bürger und seit langem ausgewiesener Kaukasus-Experte fiel nach der Lektüre dieses Buches umgehend ein Gedicht von Wolf Biermann ein, das er seiner Rezension vorangestellt hat:
Die DDR, mein Vaterland
Ist sauber immerhin
Die Wiederkehr der Nazizeit
Ist absolut nicht drin
So gründlich haben wir geschrubbt
Mit Stalins hartem Besen
Dass rot verschrammt der Hintern ist
Der vorher braun gewesen
Der Hinweis auf Stalins harten Besen in den Einleitungsstrophen von Wolf Biermanns Poem "Deutschland ein Wintermärchen" bezieht sich auf die politischen Säuberungen unter Stalin, dem 1934 auf dem XVII. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion symbolisch ein eiserner Besen überreicht worden war. Stalin wendete als erster den technischen Begriff "Säuberung" auf lebende Menschen an.
Im Zusammenhang mit der gewaltsamen Kollektivierung der Landwirtschaft "reinigte" er - zeitgenössisch formuliert - von 1929 bis 1930 die sowjetische Gesellschaft zunächst von allen tüchtigen Landwirten: Zwei Millionen wurden deportiert, zweieinhalb Millionen umgesiedelt, mehr als eine halbe Million Menschen kam um. Nach der Ermordung des Leningrader Parteichefs Sergej Kirow 1934 nahmen die Säuberungen von Partei und Gesellschaft gigantische Ausmaße an. Bis zu 50 Millionen Menschen wurden - unterschiedlichen Schätzungen zufolge - in den GULag geschickt oder liquidiert.
Der Begriff "ethnische Säuberung" entstammt der Propagandasprache im zerfallenden Jugoslawien Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und bezeichnet die gewaltsame Vertreibung einer ethnischen Gruppe. Ziel ist dabei die Schaffung eines ethnisch oder so genannten "völkisch-rassisch" homogenen Staatswesens. Heinrich Himmler, Chef der SS mit dem Rang eines "Reichsführers", nannte die von ihm betriebene Vernichtung der Juden oder der Sinti und Roma eine - Zitat: -"völkische Flurbereinigung"; dieser Sprachgebrauch impliziert die Vernichtung von "Unkraut" oder "Ungeziefer".
Der Begriff "ethnische Säuberung" wurde zum Unwort des Jahres 1992 gewählt. Er kommt nicht aus der Wissenschaft, ist kein Rechtsbegriff. Inzwischen gelten "ethnische Säuberungen" in der zivilierten Welt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Norman M. Naimark untersucht in seinem Buch "Flammender Hass", wie weit ethnische Säuberungen das 20. Jahrhundert prägten und erklärt die Notwendigkeit dieses neuen Begriffs:
Man benötigte einen neuen Begriff, weil ethnische Säuberung und Völkermord zwei verschiedene Handlungen bezeichnen und die Unterschiede zwischen ihnen wichtig sind. Genau wie bei der juristischen Bestimmung von Mord ist auch hier der Vorsatz das entscheidende Kriterium. Völkermord ist die vorsätzliche Tötung eines Teils oder einer ganzen ethnischen, religiösen oder nationalen Gruppe; sein Ziel ist die Ermordung eines Volkes. Die Absicht der ethnischen Säuberung liegt in der Entfernung eines Volks und oft auch aller seiner Spuren von einem bestimmten Territorium. Am Ende des Spektrums berührt sich die ethnische Säuberung mit der Deportation oder dem so genannten "Bevölkerungsaustausch". Hier geht es darum, Menschen zur Umsiedlung zu bringen, und zwar mit legalen oder halblegalen Mitteln. Am anderen Ende unterscheiden sich ethnische Säuberung und Völkermord nur durch das Endziel. Hier geht die ethnische Säuberung in den Völkermord über, da Massenmord begangen wird, um das Land von einem Volk zu "säubern".
In der Tat waren alle im Buch von Norman Naimark beschriebenen ethnischen Säuberungen von Massenmorden und entsetzlichen Gräueltaten begleitet. Während des Ersten Weltkriegs wurden etwa anderthalb Millionen Armenier auf Todesmärschen in den Tod getrieben. Auch wenn die türkische Geschichtsschreibung sich bis heute gegen diese Zahl wehrt, ist sie glaubhafter als die türkischen Niedrigziffern, die versuchen, den Völkermord an den Armeniern herunterzuspielen.
Norman Naimark analysiert ausführlich die historischen und politischen Gründe für die Vertreibungen, die begleitet waren von allen nur vorstellbaren Kapitalverbrechen: Raub, Mord, Folter, Vergewaltigung, Brandstiftung.
Der genaue Ablauf der Deportation unterschied sich von Region zu Region, doch das allgemeine Muster legt einen zentral gesteuerten Plan nahe. Zunächst kam die Kampagne zur Entwaffnung der Bevölkerung, dann die Inhaftierung der führenden Bürger – Geistliche, Geschäftsleute und Ärzte. Wenige entkamen der Gewalt; zahlreiche Männer wurden in Gefängnissen geschlagen und gefoltert. Beobachter erwähnen das "Beschlagen" von Opfern mit Hufeisen. Nach Wochen der Folter und Verfolgung wurden die verzweifelten, hungrigen und erschöpften Gefangenen aneinandergefesselt, manchmal zu zweit, manchmal zu viert oder fünft und ins Exil getrieben. Selten kamen sie weit, bevor sie erschossen oder erschlagen wurden.
Nicht weniger grausam verlief die Vertreibung von Millionen Deutscher aus Polen und Tschechien. Die Planung der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten wurde abschließend auf der Potsdamer Konferenz 1945 durch die Siegermächte sanktioniert. Auch wenn diese Vertreibung nicht zuletzt als Reaktion und im Zusammenhang mit den ihrerseits unerhörten Gräueltaten der Deutschen zu sehen ist, entwürdigen die sie begleitenden Verbrechen dennoch all jene demokratischen Regierungen, die sie billigten:
Wie so oft bei ethnischen Säuberungen wurden die Frauen im allgemeinen von den Männern getrennt und auf brutale und obszöne Art beschimpft und sexuell missbraucht. Sie wurden ständig als "Schweine" und "Nazihuren" beschimpft und manchmal zur bloßen Unterhaltung der Wachen ausgezogen und geschlagen.
Es ist ein großes Verdienst von Norman Naimark, als US-Bürger das für die Beziehungen zwischen Deutschland, Tschechien und Polen heikle Thema der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten sachlich und präzise behandelt zu haben. Viele Ereignisse und Zahlen werden in diesem Buch erstmalig der Öffentlichkeit vorgestellt.
Übrigens: Die von den Deutschen verübten Vertreibungen von Ukrainern, Polen und Russen sind 1946 während der Nürnberger Prozesse gegen die Nazi-Kriegsverbrecher offenbar deswegen nicht thematisiert worden, weil zeitgleich gerade die Deutschen aus Polen und der Tschechoslowakei vertrieben wurden.
Grausam und - so der Buchtitel - von "flammendem Hass" gekennzeichnet waren die ethnischen Säuberungen im zerfallenden Jugoslawien vor gut einem Jahrzehnt. Die Schilderungen des Autors auch zu diesem Komplex überzeugen durch kluge Analysen der politischen Hintergründe und Fakten.
Die Deportationen der Inguschen und Tschetschenen sowie wenig später der Krimtataren 1944 unter Stalin nehmen bei Naimark eine besondere Position ein. Diese Deportationen, ebenso wie die der Wolgadeutschen, der Karatschaier, der Balkaren aus dem Kaukasus-Vorland, und fünfzehn weiterer ethnischer Gruppen, verliefen dagegen ohne das Attribut "flammender Hass". Sie passierten ebenso fast lautlos wie Stalins Säuberungen in den Jahren zuvor. Sie waren nicht einmal begleitet von sadistischen Ausschreitungen. Die Deportation als solche war das Verbrechen, bei dem prozentual nicht weniger Menschen umkamen, als bei der Vertreibung der Deutschen ein paar Monate später oder bei den ethnischen Säuberungen im zerfallenden Nach-Tito-Jugoslawien.
Nach tschetschenischer Darstellung kam weit über die Hälfte ihres Volkes bei der Deportation um - also rund 250.000 Menschen. Nicht erwähnt wird als wichtiger Grund für die Vertreibungen, dass Stalin die reichen Dörfer auf der Krim und im Kaukasus für Invaliden, Rentner und Waisenkinder brauchte, die er in den Metropolen nicht mehr ernähren konnte.
Der russisch-tschetschenische Konflikt dauert bekanntlich an und bestätigt einmal mehr die Ansicht des Autors Norman Naimark, dass ethnische Säuberungen Ausdruck der Moderne sind. Und: Sie werden mit Hilfe von Errungenschaften aus Wissenschaft und Technik ausgeführt. Russische Generäle sprechen unverhüllt davon, die Tschetschenen vernichten zu wollen, wie etwa der General Schamanov 1999, zu Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs: Dieser Krieg - so der hohe russische Militär - sei die Wiedergeburt der russischen Armee und der russischen Nation. Dieser Krieg werde das tschetschenische Problem endgültig lösen. Nach diesem Krieg - so Schamanov - werde es die Tschetschenen nicht mehr geben. - Und so wartet Norman Naimarks Frage dringend auf eine Antwort:
Hat die internationale Gemeinschaft den Willen, rasch und entschlossen zu handeln? Wenn nicht, werden sich die in diesem Buch geschilderten Schrecken mit Sicherheit wiederholen.
Ekkehard Maass rezensierte: Norman M. Naimark: "Flammender Hass. Ethnische Säuberungen im 20. Jahrhundert". Erschienen ist der Band im C.H. Beck Verlag, Münschen. 301 Seiten - für 26 Euro 90.
Ein dickleibiger Band zum immer noch nicht endgültig erforschten Themenkomplex "Der GULag in der untergegangenen Sowjetunion" soll anschließend kurz vorgestellt werden - und enden wollen wir heute mit der Besprechung zweier Essays aus den Federn je eines ukrainischen sowie polnischen Schriftstellers zu dem ganz und gar nicht sich nur mit der Geographie begnügenden Begriff: "Mitteleuropa".
Wer weiß, ob in der Geschichtswissenschaft nicht eines Tages das Jahr 1992 als ein Schlüsseldatum festgeschrieben werden wird? Exakt zu diesem Zeitpunkt nämlich tauchte der Begriff der "Ethnischen Säuberung" zum ersten Mal auf, um die serbischen Angriffe auf die muslimische Bevölkerung in Bosnien-Herzegovina zu beschreiben. Dies zumindest beobachtete Norman M. Naimark, Historiker an der Stanford University in den USA. Ethnische Säuberungen gab es allerdings auch schon vorher und in anderen Ländern. Allerdings: Es scheint sich dabei um ein typisches Phänomen aus dem vergangenen, dem 20. Jahrhundert, zu handeln.
Naimark hat jetzt beim Münchner Beck-Verlag eine Art Sammelband vorgelegt mit dem Titel: "Flammender Hass - Ethnische Säuberungen im 20. Jahrhundert." Ekkehard Maass, gelernter DDR-Bürger und seit langem ausgewiesener Kaukasus-Experte fiel nach der Lektüre dieses Buches umgehend ein Gedicht von Wolf Biermann ein, das er seiner Rezension vorangestellt hat:
Die DDR, mein Vaterland
Ist sauber immerhin
Die Wiederkehr der Nazizeit
Ist absolut nicht drin
So gründlich haben wir geschrubbt
Mit Stalins hartem Besen
Dass rot verschrammt der Hintern ist
Der vorher braun gewesen
Der Hinweis auf Stalins harten Besen in den Einleitungsstrophen von Wolf Biermanns Poem "Deutschland ein Wintermärchen" bezieht sich auf die politischen Säuberungen unter Stalin, dem 1934 auf dem XVII. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion symbolisch ein eiserner Besen überreicht worden war. Stalin wendete als erster den technischen Begriff "Säuberung" auf lebende Menschen an.
Im Zusammenhang mit der gewaltsamen Kollektivierung der Landwirtschaft "reinigte" er - zeitgenössisch formuliert - von 1929 bis 1930 die sowjetische Gesellschaft zunächst von allen tüchtigen Landwirten: Zwei Millionen wurden deportiert, zweieinhalb Millionen umgesiedelt, mehr als eine halbe Million Menschen kam um. Nach der Ermordung des Leningrader Parteichefs Sergej Kirow 1934 nahmen die Säuberungen von Partei und Gesellschaft gigantische Ausmaße an. Bis zu 50 Millionen Menschen wurden - unterschiedlichen Schätzungen zufolge - in den GULag geschickt oder liquidiert.
Der Begriff "ethnische Säuberung" entstammt der Propagandasprache im zerfallenden Jugoslawien Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und bezeichnet die gewaltsame Vertreibung einer ethnischen Gruppe. Ziel ist dabei die Schaffung eines ethnisch oder so genannten "völkisch-rassisch" homogenen Staatswesens. Heinrich Himmler, Chef der SS mit dem Rang eines "Reichsführers", nannte die von ihm betriebene Vernichtung der Juden oder der Sinti und Roma eine - Zitat: -"völkische Flurbereinigung"; dieser Sprachgebrauch impliziert die Vernichtung von "Unkraut" oder "Ungeziefer".
Der Begriff "ethnische Säuberung" wurde zum Unwort des Jahres 1992 gewählt. Er kommt nicht aus der Wissenschaft, ist kein Rechtsbegriff. Inzwischen gelten "ethnische Säuberungen" in der zivilierten Welt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Norman M. Naimark untersucht in seinem Buch "Flammender Hass", wie weit ethnische Säuberungen das 20. Jahrhundert prägten und erklärt die Notwendigkeit dieses neuen Begriffs:
Man benötigte einen neuen Begriff, weil ethnische Säuberung und Völkermord zwei verschiedene Handlungen bezeichnen und die Unterschiede zwischen ihnen wichtig sind. Genau wie bei der juristischen Bestimmung von Mord ist auch hier der Vorsatz das entscheidende Kriterium. Völkermord ist die vorsätzliche Tötung eines Teils oder einer ganzen ethnischen, religiösen oder nationalen Gruppe; sein Ziel ist die Ermordung eines Volkes. Die Absicht der ethnischen Säuberung liegt in der Entfernung eines Volks und oft auch aller seiner Spuren von einem bestimmten Territorium. Am Ende des Spektrums berührt sich die ethnische Säuberung mit der Deportation oder dem so genannten "Bevölkerungsaustausch". Hier geht es darum, Menschen zur Umsiedlung zu bringen, und zwar mit legalen oder halblegalen Mitteln. Am anderen Ende unterscheiden sich ethnische Säuberung und Völkermord nur durch das Endziel. Hier geht die ethnische Säuberung in den Völkermord über, da Massenmord begangen wird, um das Land von einem Volk zu "säubern".
In der Tat waren alle im Buch von Norman Naimark beschriebenen ethnischen Säuberungen von Massenmorden und entsetzlichen Gräueltaten begleitet. Während des Ersten Weltkriegs wurden etwa anderthalb Millionen Armenier auf Todesmärschen in den Tod getrieben. Auch wenn die türkische Geschichtsschreibung sich bis heute gegen diese Zahl wehrt, ist sie glaubhafter als die türkischen Niedrigziffern, die versuchen, den Völkermord an den Armeniern herunterzuspielen.
Norman Naimark analysiert ausführlich die historischen und politischen Gründe für die Vertreibungen, die begleitet waren von allen nur vorstellbaren Kapitalverbrechen: Raub, Mord, Folter, Vergewaltigung, Brandstiftung.
Der genaue Ablauf der Deportation unterschied sich von Region zu Region, doch das allgemeine Muster legt einen zentral gesteuerten Plan nahe. Zunächst kam die Kampagne zur Entwaffnung der Bevölkerung, dann die Inhaftierung der führenden Bürger – Geistliche, Geschäftsleute und Ärzte. Wenige entkamen der Gewalt; zahlreiche Männer wurden in Gefängnissen geschlagen und gefoltert. Beobachter erwähnen das "Beschlagen" von Opfern mit Hufeisen. Nach Wochen der Folter und Verfolgung wurden die verzweifelten, hungrigen und erschöpften Gefangenen aneinandergefesselt, manchmal zu zweit, manchmal zu viert oder fünft und ins Exil getrieben. Selten kamen sie weit, bevor sie erschossen oder erschlagen wurden.
Nicht weniger grausam verlief die Vertreibung von Millionen Deutscher aus Polen und Tschechien. Die Planung der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten wurde abschließend auf der Potsdamer Konferenz 1945 durch die Siegermächte sanktioniert. Auch wenn diese Vertreibung nicht zuletzt als Reaktion und im Zusammenhang mit den ihrerseits unerhörten Gräueltaten der Deutschen zu sehen ist, entwürdigen die sie begleitenden Verbrechen dennoch all jene demokratischen Regierungen, die sie billigten:
Wie so oft bei ethnischen Säuberungen wurden die Frauen im allgemeinen von den Männern getrennt und auf brutale und obszöne Art beschimpft und sexuell missbraucht. Sie wurden ständig als "Schweine" und "Nazihuren" beschimpft und manchmal zur bloßen Unterhaltung der Wachen ausgezogen und geschlagen.
Es ist ein großes Verdienst von Norman Naimark, als US-Bürger das für die Beziehungen zwischen Deutschland, Tschechien und Polen heikle Thema der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten sachlich und präzise behandelt zu haben. Viele Ereignisse und Zahlen werden in diesem Buch erstmalig der Öffentlichkeit vorgestellt.
Übrigens: Die von den Deutschen verübten Vertreibungen von Ukrainern, Polen und Russen sind 1946 während der Nürnberger Prozesse gegen die Nazi-Kriegsverbrecher offenbar deswegen nicht thematisiert worden, weil zeitgleich gerade die Deutschen aus Polen und der Tschechoslowakei vertrieben wurden.
Grausam und - so der Buchtitel - von "flammendem Hass" gekennzeichnet waren die ethnischen Säuberungen im zerfallenden Jugoslawien vor gut einem Jahrzehnt. Die Schilderungen des Autors auch zu diesem Komplex überzeugen durch kluge Analysen der politischen Hintergründe und Fakten.
Die Deportationen der Inguschen und Tschetschenen sowie wenig später der Krimtataren 1944 unter Stalin nehmen bei Naimark eine besondere Position ein. Diese Deportationen, ebenso wie die der Wolgadeutschen, der Karatschaier, der Balkaren aus dem Kaukasus-Vorland, und fünfzehn weiterer ethnischer Gruppen, verliefen dagegen ohne das Attribut "flammender Hass". Sie passierten ebenso fast lautlos wie Stalins Säuberungen in den Jahren zuvor. Sie waren nicht einmal begleitet von sadistischen Ausschreitungen. Die Deportation als solche war das Verbrechen, bei dem prozentual nicht weniger Menschen umkamen, als bei der Vertreibung der Deutschen ein paar Monate später oder bei den ethnischen Säuberungen im zerfallenden Nach-Tito-Jugoslawien.
Nach tschetschenischer Darstellung kam weit über die Hälfte ihres Volkes bei der Deportation um - also rund 250.000 Menschen. Nicht erwähnt wird als wichtiger Grund für die Vertreibungen, dass Stalin die reichen Dörfer auf der Krim und im Kaukasus für Invaliden, Rentner und Waisenkinder brauchte, die er in den Metropolen nicht mehr ernähren konnte.
Der russisch-tschetschenische Konflikt dauert bekanntlich an und bestätigt einmal mehr die Ansicht des Autors Norman Naimark, dass ethnische Säuberungen Ausdruck der Moderne sind. Und: Sie werden mit Hilfe von Errungenschaften aus Wissenschaft und Technik ausgeführt. Russische Generäle sprechen unverhüllt davon, die Tschetschenen vernichten zu wollen, wie etwa der General Schamanov 1999, zu Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs: Dieser Krieg - so der hohe russische Militär - sei die Wiedergeburt der russischen Armee und der russischen Nation. Dieser Krieg werde das tschetschenische Problem endgültig lösen. Nach diesem Krieg - so Schamanov - werde es die Tschetschenen nicht mehr geben. - Und so wartet Norman Naimarks Frage dringend auf eine Antwort:
Hat die internationale Gemeinschaft den Willen, rasch und entschlossen zu handeln? Wenn nicht, werden sich die in diesem Buch geschilderten Schrecken mit Sicherheit wiederholen.
Ekkehard Maass rezensierte: Norman M. Naimark: "Flammender Hass. Ethnische Säuberungen im 20. Jahrhundert". Erschienen ist der Band im C.H. Beck Verlag, Münschen. 301 Seiten - für 26 Euro 90.