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Norman Manea: Die Rückkehr des Hooligan. Ein Selbstporträt.

Zunächst möchte ich Ihnen heute das Selbstportrait des rumänischen Intellektuellen Norman Manea vorstellen, der in seinem Buch 'Rückkehr des Hooligan’ die Erfahrung der Verfolgung und des Exils auf eigenwillige Weise reflektiert. Außerdem stellen wir neue Bücher des französisch-israelischen Autors Michel Warschawski vor, die sich mit dem Nahost Konflikt befassen.

Von Jochen Stöckmann |
    Die Zensur in den einst so hochgelobten Medien der USA wird Thema sein und zum Schluss stellen wir Ihnen die Geschichte der Sklaverei vor, ein Kapitel der Menschheitsgeschichte, das noch nicht zu Ende ist.

    Die beiden mächtigen Diktaturen des 20. Jahrhunderts, der Faschismus und der Stalinismus, haben viele politische Intellektuelle nicht nur um den Schlaf, sondern auch um ihr Leben gebracht. Manche mussten beider Gewalt am eigenen Leib erfahren, nicht wenige haben als Juden den Antisemitismus unter beiden totalitären Regimen zu spüren bekommen. Zu ihnen zählt der Rumäne Norman Manea, der heute im Exil in den USA lebt und am Bard College lehrt. In einem Essay reflektiert er über das Weggehen, über die Fremde - über das Exil. Erschienen ist das Buch unter dem etwas rätselhaften Titel: 'Die Rückkehr des Hooligan’ . Jochen Stöckmann hat es für uns besprochen:

    Als "Zeitalter der Extreme" kennzeichnet der Historiker Eric Hobsbawm das
    20. Jahrhundert. Der 1936 in der Bukowina geborene, aus einer jüdischen Familie stammende Rumäne Norman Manea hat eben dieses Jahrhundert zwar nicht von Anfang an, dafür aber mit den allerheftigsten Ausschlägen nach links und rechts durch- und überlebt. Seine eigenen Erfahrungen reichen von der Deportation unter dem faschistischen Regime des Nazi-Kollaborateurs Marschall Antonescu bis hin zur Verfolgung durch die Securitate-Geheimpolizei des ebenso grotesken wie grausamen Diktators Ceausescu. In Ceausescus allumfassender, totalitärer Herrschaft erkennt der 1986 in die USA emigrierte Manea nicht nur stalinistische Methoden, sondern auch einen düster-surrealistischen Alltag. Erst enthusiastischer "Kommandant" der Jungen Pioniere, dann hoffnungsvoller Jung-Ingenieur im hoch angesehenen Fach Wasserbau, verschließt sich Manea den zunehmend nationalistischen, ganz offen antisemitisch agierenden Parteikommunisten. Er wendet sich der Literatur zu, denn:

    Die Banalität der Perversion drang überall ein, niemand war vor den Giften der Verrohung gefeit, nichts schützte einen vor der heimtückischen Krankheit. Die Schriftsteller und Künstler und auch viele Namenlose hatten immerhin das Risiko der Armut und Unsicherheit auf sich genommen und waren der Hirnhackmaschine entronnen.

    Mit expressionistisch überbordender Wucht, aber auch mit bitter pointierten Charakterstudien schildert Manea nicht allein die Strukturen der Macht, sondern vor allem Schicksale: individuelle Lebensläufe, die in ihrem Anpassungs- oder Fluchtverhalten als typische Reaktionen unter der unentrinnbaren Herrschaft der Extreme gelten können. Da ist der ebenso zynische wie einflussreiche Kritiker, ein hochintelligenter Kopf, der buchstäblich alles in sich hineinfrisst: Zum allwöchentlichen Rendezvous mit seiner Geliebten muss dieser erschreckend muntere Trauerkloß regelrecht getragen werden – von seiner treusorgenden Gattin. Ein Zerrbild zwar, aber eben auch grotesker Ausdruck jener psychischen Zwangslage, die nicht nur den jungen Ingenieur Manea bedrückt:

    Die Zurückhaltung im Politischen erstreckte sich auch auf das Gefühlsleben. Ich funktionierte, auch sexuell, besser, wenn ich eine "Doppellösung" in Aussicht hatte. Eine Reservelösung, der "Sicherheitskoeffizient", den ein Ingenieur für extreme, unvorhersehbare Situationen berechnet, für den Fall, dass der Ausweg sich als nicht gangbar erweist.

    Doch das Leben in der sozialistischen Planwirtschaft ist nicht berechenbar. Maneas Vater, als Jude mit der ganzen Familie 1941 in ein rumänisches Konzentrationslager deportiert, landet unter dem neuen System im Straflager: Mit dem roten Parteibuch in der Tasche ist der stets korrekt gekleidete Angestellte zum Leiter der örtlichen Handelsorganisation aufgerückt – und lässt die eigenen Einkäufe anschreiben, um sie dann am Ende jeder Woche penibel zu begleichen. Diese lässliche Gewohnheit wird dem allzu "bürgerlichen" Genossen zum Verhängnis, wegen Unterschlagung verurteilt ihn ein Tribunal zu mehrjähriger Zwangsarbeit. Gegen viele bürokratische Widerstände gelingt es seinem Sohn, ihn im Lager zu besuchen:

    Die Demütigung war es, die den Häftling vor mir erdrückte. Schwerer als die Arbeit, schwerer als die Freude des Wiedersehens wog die Demütigung. Von den Konventionen der Würde hatte er sich nie lossagen können. Die Würde, das elfte Gebot, in dem er die anderen zehn bestätigt sah, bestimmte seinen Lebenslauf! Ich wusste, dass ich nicht hätte sehen dürfen, was ich sah. Das ausgemergelte Gesicht, die zitternden Hände – sowenig er, wie ich nur zu gut wusste, über das faschistische Lager hatte reden mögen, sowenig würde er auch über das sozialistische Lager reden wollen, und ich würde die Episode erst nach seinem Tod schildern dürfen.

    Genau an dieser Stelle liegt das eigentliche Motiv verborgen für ein literarisches "Selbstporträt", das Norman Manea auf über 400 Seiten ausmalt und collagiert, das er mit Anspielungen spickt, die von der rumänischen Zeitgeschichte über die Kultur der Bukowina bis hin zu Familiengeschichten aus dem jiddischen Schtetl reichen. All das rankt sich zwar um die Ausgangssituation des Emigranten Manea, der als Professor am renommierten Bard College in New York entscheiden muss, ob er zehn Jahre nach der Wende und dem Fall des Eisernen Vorhangs einer akademischen Einladung folgen und damit die Last einer – wenn auch auf wenige Tage befristeten – "Rückkehr" nach Rumänien auf sich nehmen soll. Dort lauern immer noch die Gespenster der Vergangenheit, die früheren Weggefährten: Ein Freund, der sich einst als Securitate-Spitzel offenbart hatte. Die Kommilitonin, die eine Emigration als Flucht aus der gemeinsamen Muttersprache vehement ablehnte – und als Kulturattaché in den USA und Frankreich Karriere machte. Auch ein Ingenieurskollege, der Manea in jungen Jahren auf den Weg zur Literatur gebracht hatte – und später als Außenminister Ceausescus seine "Innerlichkeit" mit dem Sammeln bibliophiler Kostbarkeiten kultivierte.

    All das sind Einzelschicksale, exemplarische Lebensläufe zwar, denen aber im Zeitalter der Extreme unweigerlich kolportagehafte Züge anhaften. Manea jedoch verwahrt sich ausdrücklich gegen eine "öffentliche Erinnerung, die Schrecken zu Klischees macht", deren Protagonisten "selbstgestrickte Opferwappen" vor sich hertragen und die allenfalls die abgegriffenen "Gedankenlitaneien" im Talkshow-Format hervorbringe. Eine wahrhaftige Biographie aber, so konstatiert Manea im Sinne seines bittergalligen Landsmannes Cioran, müsse ein "Aschenbad" sein. Und Asche, das bedeutet in diesem Fall die psychischen Verletzungen, die mentalen Blessuren eines Intellektuellen, der durch mehr als nur einen Weltenbrand gegangen ist – und dessen Buchtitel "Die Rückkehr des Hooligan" keineswegs auf rechtsradikale Fußballrowdys verweist, sondern auf das gleichnamige Buch des Rumänen Mihail Sebastian, der Anfang der Dreißiger nicht verwinden konnte, dass die zunehmend am Faschismus orientierte Schriftsteller-Boheme ihn als Juden stigmatisierte:

    Man müsste von dem Psychoanalytiker fordern, dass er endlich nicht nur die Fragen beantwortet, die er selbst gestellt hat, sondern auch die der Nachwelt. Nicht nur die Frage, was bleibt, wenn man verloren hat, was man nie hatte, sondern auch jene, wie man durch Holocaust, Kommunismus und Exil zum Juden wird. Initiationen, die sich in die Seele geritzt haben, die einen zum Juden machen, selbst wenn man es nicht gewesen ist?

    Eine klare Antwort kann es nicht geben, gab es weder in Manès Sperbers voluminöser Trilogie "Wie eine Träne im Ozean" – also einem Roman – noch darf man sie von Maneas als "Selbstporträt" betitelten literarischem Essay erwarten. Stattdessen blitzen in seiner entlarvenden Farce, in einem realistisch bizarren Maskenspiel tiefe Einsichten in die fortwirkende Mechanik einer Diktatur auf. Einsichten, die sich Maneas Verzicht auf besserwisserische Ironie, überlegenem Zynismus oder überhaupt jeder von vornherein festgelegten "Identität" verdanken. Am Ende nämlich reist der Professor doch noch einmal nach Rumänien, besucht die Gräber seiner Eltern und geht durch die Straßen von Bukarest, als Heimkehrer auf Zeit:

    Wieder habe ich das Gefühl, verkleidet zu sein wie ein ortskundiger Spion hinter der Maske des Durchreisenden. Einmal enttarnt, würde ich mich dann nicht mit den Mitbürgern verbrüdern, ob sie mich erkannten oder nicht? Wären sie sich doch wahrscheinlich nicht im klaren, ob der Fremde Freundschaft oder Feindschaft verdient.

    Jochen Stöckmann war das über Norman Maneas: Die Rückkehr des Hooligan. Ein Selbstportrait, erschienen im Carl Hanser Verlag. Das Buch hat 411 Seiten und kostet 24.90 Euro