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Norwegens Rolle beim Holocaust

In Oslo wurde jetzt das erste Forschungszentrum eröffnet, das sich mit der Rolle Norwegens bei der Deportation und Ermordung der europäischen Juden beschäftigt. Norwegen hat die eigene Kriegsgeschichte lange Zeit nur aus dem Blick des Widerstands gegen die Nationalsozialisten betrachtet. Das Holocaust Center thematisiert erstmals, welche Rolle die Norweger in diesem Prozess selbst gespielt haben, und rührt damit an ein Tabu.

Moderation: Katja Lückert |
    Katja Lückert: Norwegen gilt eher als Land des Widerstands während der NS-Zeit. Der Freiheitsmythos während der Besatzerjahre wurde traditionell hochgehalten. Allerdings wurden Juden auch aus Norwegen deportiert. Norwegische Antisemiten brachten 770 Juden auf Schiffen nach Stettin, von dort aus wurden sie in die Vernichtungslager der Nazis deportiert. Erinnerungen an die Kriegszeit in Norwegen kamen bisher allerdings ohne solche Details aus. In Oslo wurde nun endlich ein erstes Forschungszentrum, das sich mit der Rolle Norwegens in Bezug auf den Holocaust beschäftigt, eröffnet: "Zentrum für Studien zu Holocaust und religiöse Minderheiten" heißt es mit vollem Namen. An den deutschen Antisemitismusforscher und Mitarbeiter am Holocaust Center Christhard Hoffmann die Frage: Wieso widmen sich die Norweger erst so spät diesem Kapitel ihrer Geschichte?

    Christhard Hoffmann: Das hängt hauptsächlich damit zusammen, dass diese nationale Basiserzählung von Krieg und Besatzung, der zufolge sich das kleine Norwegen im heroischen Widerstandskampf gegen die überlegene deutsche Besatzungsmacht und auch gegen die Quislinge bewährt hat, so lange vorgehalten hat. Also das Besondere der norwegischen Situation ist nun in der Tatsache, dass sich das so lange, bis in die 90er Jahre gehalten hat. Und das hängt eben damit zusammen, dass diese Geschichte des Widerstandes für Norwegen in der Nachkriegszeit ein ganz wichtige, identitätsschaffende Erzählung gewesen ist - auch für das Bild von Norwegen in der Welt. Und daran wollte man nicht ohne weiteres rütteln. Als mein Kollege und der jetzige Leiter des Holocaust Centers in Oslo, der Historiker Odd-Bjorn Fure, Ende der 90er Jahre die tabuisierten Themen der norwegischen Kriegsgeschichte zusammenfassend beschrieben hat - also Sie sagten schon: Der norwegische Beitrag zur Deportation der Juden, aber auch andere Themen wie die Geschichte der norwegischen Mitglieder der Waffen-SS, die Liquidierung von Kollaborateuren seitens der Widerstandsbewegung und auch die Behandlung der deutschen Kinder und ihrer Mütter-, da hatte er praktisch in ein Wespennest gestochen. Das hat sich seit Ende der 90er Jahre wohl ein bisschen geändert. Dass es ein Holocaust Center direkt gibt, hängt damit zusammen, dass der norwegische Staat eine Untersuchungskommission Mitte der 90er Jahre eingesetzt hat, die untersuchen sollte: Was ist mit jüdischem Besitz denn während des Krieges und vor allen Dingen nach dem Krieg geschehen?

    Lückert: Dennoch mussten wieder die Opfer, also gemeint sind kleine jüdische Gemeinden, sich für ein solches Zentrum einsetzen. Haben Sie den Eindruck, dass sie zufrieden sind, auch wenn im Titel "Holocaust" in einem Atemzug mit anderen religiösen Minderheiten genannt wird?

    Hoffmann: Ich glaube schon. Ich meine, die jüdischen Gemeinden - es gibt nur zwei in Norwegen: in Oslo und in Trondheim - haben das natürlich schon als eine verspätete Genugtuung empfunden, dass jetzt ihr Schicksal auch mal thematisiert wird, weil es bisher in dieser überwiegenden Heroisierung des Widerstands kaum vorkam. Und das ist, glaube ich, positiv. Dass man in Norwegen das auch für die Gegenwart und für die Zukunft machen will, das heißt, nicht nur auf die Juden, auf die jüdische Gemeinde beschränken will, sondern andere Minderheiten und Minderheitenkonflikte einbeziehen will, wird, glaube ich, verstanden und auch akzeptiert.

    Lückert: Haben Sie das Gefühl, noch ein wenig Pionierarbeit leisten zu müssen, auch bei der didaktischen Arbeit für Schulen etwa? Bisher sind norwegische Schulklassen eher zu KZ-Gedenkstätten nach Deutschland gereist. Wird sich das ändern?

    Hoffmann: Das wird sich vielleicht nicht ändern, aber ich glaube, es wird sich insofern verändern, dass der Schwerpunkt jetzt nicht nur auf der emotionalen Beziehung liegt. Also die Schüler bisher sind ja oft nach Auschwitz gefahren und waren emotional sehr berührt von dem Ganzen, haben aber eigentlich die Zusammenhänge nicht verstanden. Das Holocaust Center in Oslo will jetzt auch die Zusammenhänge, die historischen Zusammenhänge, wie es dazu kommen konnte, thematisieren, und auch, welche Rolle die Norweger in diesem Prozess selbst gespielt haben.

    Lückert: Vielleicht noch mal ganz kurz: Welche Rolle haben sie nämlich gespielt?

    Hoffmann: Die Hauptrolle ist, dass - der Befehl sozusagen zur Deportation der norwegischen Juden ist nicht direkt aus Berlin gegeben worden, sondern kommt aus Oslo seitens der lokalen SS-Leute und aber auch der Quisling-Regierung. Und dann ist die ganze Verhaftung von der norwegischen Staatspolizei durchgeführt worden. Also bis die Juden auf dies Schiff, die MS Donau, verfrachtet wurden, haben Deutsche sozusagen gar keinen Finger gerührt. Das ist alles von Norwegern gemacht worden. Man muss auch erwähnen allerdings, dass etwa über die Hälfte der norwegischen Juden von der Widerstandsbewegung gerettet wurden und nach Schweden entkommen konnten.

    Lückert: Vielleicht noch einen abschließenden Blick auf andere Länder in Skandinavien: Wie wird Holocaust-Geschichtsschreibung etwa in Schweden oder Finnland gehandhabt?

    Hoffmann: In Schweden gibt es seit langem ein Institut für die Geschichte von Völkermord und vom Holocaust. Das ist ein wissenschaftliches Institut an der Universität in Uppsala. In Dänemark gibt es das etwa in der Universität in Kopenhagen. In Norwegen ist, glaube ich, der Unterschied, dass dieses Holocaust Center eine ganz starke Öffentlichkeitswirksamkeit schon jetzt erreicht hat. Es ist auch in der Öffentlichkeit zum Teil umstritten. Es gibt Leute, gerade vom linksliberalen Milieu, die meinen, das sei ein Institut, das nur zur Unterstützung von Israel errichtet worden sei, und sind deswegen skeptisch. Andere meinen, man würde die alten Konflikte der Kriegszeit wieder aufgraben. Also es ist nicht völlig unumstritten, aber die Gründung und die Eröffnung jetzt in der letzten Woche hat ja gezeigt seitens der Regierung, dass sozusagen im politischen Leben und auch im öffentlichen Leben es eine große Einigkeit ist, dass es ein wichtiges Institut ist.

    Lückert: Holocaust-Forschung bekommt in Norwegen erstmals einen festen Ort: das Holocaust Center in Oslo. Ein Gespräch mit dem deutschen Mitarbeiter dort, Christhard Hoffmann war das.