Ein anderer Erzähler, der über seine Liebe zu einem siebzehnjährigen "Ungeheuer" mit gelben Augen und dem "Gebiß einer boshaften Fledermaus" schon viele heiße Tränen geweint hat, will "das Unsagbare festhalten", nämlich daß die Schönheit abscheulich ist, und daß der Aufruhr der Liebe erst ein Ende hat, wenn beide eins geworden, das heißt, wenn einer den anderen verzehrt, parasitär überwuchert, ausgelöscht hat.
Daß die Liebe schwierig sei und am Ende nur trockene Hülsen übrigbleiben, dafür sorgt in einer anderen Geschichte ein kleiner "durchscheinender" Dämon mit Klauen, "aus denen das Gift tropft". Gierig hockt er zwischen obskuren Büchern im Regal und hofft, daß das Gift die beiden Liebenden endlich gesprächig macht und sie sich gegenseitig ihre Geschichten erzählen. Denn vom süßen "Traubengeschmack" ihrer Träume ernährt sich der kleine Vampir: der Erzähler.
Und die beiden hier bewirten ihn wirklich fürstlich. Mit tollen Kindheitsmärchen von genialen kleinen Spielern, die nach Schamanenart zu Knochen zerfallen und wieder auferstehen können. Von einem kindlichen Guru namens Jegor, (der Name klingt schon ein bißchen nach Borges) der den Gespielinnen jenen heiligen Ort zeigt, wo jedes Ding eine Unendlichkeit von Dingen ist, wo man alles sehen, in einem leuchtenden Punkt des Raums den ganzen unendlichen Kosmos, Millionen Vorgänge simultan erleben kann: das REM, die verborgene Gottheit. Die Mädchen betreten einen morschen Schuppen und siehe da, dort sitzt die verborgene Gottheit- der Autor vor seiner alten "Erika", in der just die Geschichte steckt, die wir soeben lesen. Jeder Traum ist Traum in einem Traum, das ganze Universum ist Traum. Und ein Buch mit sieben Siegeln. Und jedes Buch eine unendliche Bibliothek. Und in dieser hier sirrt die Luft von den Klagen der unerlösten Seelen: Proust, Poe, Nerval, Hoffmann, Huysmans, Kafka, Rimbaud, Rilke, Céline, Borges ...
Alle, alle drängeln sich hier, und wer weiß, wenn dies eine Reise zu den Jakuten geworden wäre (wie bei Cartarescus Landsmann, dem Schamanenforscher Mircea Eliade), wäre ihr Wunsch sicher in Erfüllung gegangen. Doch Mircea Cartarescu hat ein Traumschiff ins Fantasialand filmreifer Vorabend-Literatur gechartert. Und so werden die teuren Toten nicht wieder lebendig.
Mit Mircea Cartarescus preisgekrönter Prosa hat die Postmoderne mit ihrem glamourösen Aufgebot an erzählerischen Illusions- und Pyrotechniken mächtig Einzug gehalten in Rumänien. Jedes Land, das in geschichtlicher Zeit sich schwertut, aus dem Elend herauszukommen und den Anschluß an die Moderne zu vollziehen, muß sich glücklich schätzen über einen solchen Ehrenretter (in der Türkei gebührt Orhan Pamuk dieses Verdienst), der den inneren Reichtum, die schöne mythische Seele eines Volkes einmal so fleißig herausarbeitet.
Für den Außenstehenden mag da vieles wundersam unverständlich und einfach erstaunlich bleiben an diesem buntscheckigen Bukarester Traumbaedeker. Er kneift die Augen zu vor soviel Abendsonne, soviel Rot, soviel bröckelndem Putz und Geisterspuk, oder wenigstens ein Auge angesichts der märchenhaften Unbeholfenheiten, Scharlatanerien und metafiktionalen Trivialitäten. Ist aber auch betört von konkreten Schilderungen vor allem der kindlichen "Ungeheuer" und ihren rührenden Phantastereien. Wie ernst gemeint ist das Ganze? Möchte der Autor seine Prosa vielleicht als ein ironisches Spiel, eine satirische "Abrechnung" mit der Nostalgie und Huldigung zugleich an ein volkseigenes Laster verstanden wissen? Woher, wieso, warum diese extreme Nostalgomania? Einen noblen Hinweis gibt uns Borges: weil "nur eine verlorene Sache einen Gentleman interessieren kann."