Donnerstag, 25. April 2024

Notizen aus Berlin
Auf Ecstasy - die Berlinale im Vollrausch

Während Angela Merkel mit ihren Kollegen in Minsk um Frieden ringt, hat es aus Schanghai schon eine entscheidende Intervention gegeben, um Ruhe in die Ukraine zu bringen. Im Film "Gone with the Bullets" des chinesischen Regisseurs Jiang Wen rief heute Nachmittag eine atemberaubende Schönheit einfach bei den Kriegstreibern an.

Von Christoph Schmitz | 11.02.2015
    Die Schauspielerin Zhou Yun und der Regisseur Jiang Wen kommen am 11.02.2015 in Berlin während der 65. Internationalen Filmfestspiele zum Fototermin von "Gone with the Bullets".
    Die Schauspielerin Zhou Yun und der Regisseur Jiang Wen kommen am 11.02.2015 in Berlin während der 65. Internationalen Filmfestspiele zum Fototermin von "Gone with the Bullets". (dpa / picture alliance / Jörg Carstensen)
    Sie will den Schönheitswettbewerb während einer weltweit übertragenen spektakulären Show gewinnen. Sie bietet dem Publikum nicht nur ihr zauberhaftes Lächeln an, sondern spendet ihr Vermögen den Armen, versteigert dazu dem Meistbietenden sich selbst und ruft ihren pazifistischen Appell den Streithähnen in der Ukraine zu, endlich die Waffen ruhen zu lassen. Und prompt kommt die Antwort per Telegramm: Krieg beendet!
    So einfach könnte es sein. Ist es aber nicht. Hatte Putin den Flugzeugmodus seines Mobiltelefons nicht ausgestellt? War sein Radio zu leise eingestellt? Vielleicht. Der Hauptgrund fürs Scheitern der Friedensbemühungen war: Der Aufruf der schönen Chinesin liegt in Jiang Wens Film über 90 Jahre zurück. Um 1920 steigt die Schönheitsparty im damals fast noch kleinstädtischen Schanghai, wo ehemalige Adelige und korrupte Polizisten in großem Stil Geld waschen und ein Maximum an Profit aus dem politischen Vakuum nach Ende des Bürgerkrieges ziehen wollen.
    "Gone with the Bullets" ist eine schrille, rasante und mit Adrenalin dauerversorgte Komödie, die den Produzenten mehrere Vermögen gekostet haben muss. Erstens aber konnte sie leider Merkel nicht helfen, zweitens vermag sie den Zuschauer, trotz ästhetischer Dauerekstase, nicht mitreißen. Im Gegenteil. Wer hielte schon einen permanenten Orgasmus aus?
    Peter Greenaways "Eisenstein in Gunajuato"
    Ein Maximum an Mitteln bringt nicht unbedingt ein Maximum an Suggestion. Dieser Befund trifft auf mehrere Filme des Berlinale-Wettbewerbs zu. Viel heiße Luft. Auch Peter Greenaways "Eisenstein in Gunajuato" zählt zu diesen überinszenierten Arbeiten. Die Leinwand hämmert uns die Geschichte des genialischen und exzentrischen Regisseurs Sergei Eisenstein, der 1931 von Moskau über die USA nach Mexiko gereist ist, um dort einen neuen Film zu drehen, sich gnadenlos in seinen mexikanischen Begleiter verliebt und aus dem Bett nicht mehr herauskommt, förmlich ins Hirn.
    Die kreisende Kamera, das immer wieder mehrfach aufgeteilte Bild, die fette Musik, die mit alten Aufnahmen, Fotos und Zeichnungen gespickten Spielszenen sind ein einziges Delirium. Mit dickem Schädel schlurft man nach dieser Überdosis ins Freie. Ganz leer im Kopf, in Herz und Seele. Es bleibt nur noch der Weg ins Café zu einem doppelten Espresso mit sehr viel Zucker.