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Novel Food

Seit Mai 1997 gilt die Novel Food Verordnung. Sie regelt nicht nur den Marktzugang für gentechnisch veränderte Lebensmittel, sondern für alle neuar-tigen Lebensmittel und Lebensmittelzutaten. Jahrelang hatte man über die Ein-zelheiten der Regelung gestritten, aber nun gilt sie in allen Ländern der Europäi-schen Union. Die Novel Food Verordnung ist nicht einfach ein zusätzliches Lebensmittelgesetz. Erstmals werden nicht nur einzelne Stoffe unter einen Vor-behalt gestellt, wie vorher die Zusatzstoffe, sondern Lebensmittel. Sofern sie auf dem europäischen Speiseplan noch nicht bekannt sind, brauchen sie eine aus-drückliche Zulassung, damit sie in den Handel kommen dürfen. An dieser Hürde scheitern vor allem Produkte aus fernen Ländern, obwohl sie dort womöglich seit Jahrhunderten zu täglichen Nahrung gehören.

von Susanne Kuhlmann |
    Auf der anderen Seite der Erdhalbkugel haben Nangai-Nüsse seit jeher ihren Platz auf dem Speiseplan der Menschen. Aber den Europäern bleibt dieses Geschmackserlebnis wohl vorenthalten, sagt Stefanie Ludes, Ernährungswissen-schaftlerin der VerbraucherInitiative.

    "Die Nangai-Nüsse stammen aus dem Südpazifik. Da ist noch keine endgültige Entscheidung getroffen von der Kommission. Man befürchtet aber, dass diese Nüsse ein starkes allergenes Potenzial haben können, das auch nicht ausreichend widerlegt werden konnte."

    Der Wissenschaftliche Lebensmittelausschuss ist das Organ der Europäischen Kommission, das im Rahmen der Novel Food Verordnung entscheidet, welches Produkt in den europäischen Handel kommen darf und welches nicht.

    "Abgelehnt" - so lautet das Votum der Experten für die süßen Blätter der Ste-via-Pflanze. Sie wachsen an einem kleinen Strauch und süßen mindestens zehnmal stärker als weißer Zucker.

    "Dieser Strauch, Stevia, stammt ursprünglich aus Südamerika und wird dort, aber auch in Asien sowohl in der Naturheilkunde als auch bei der Lebensmittelzube-reitung als Süßungsmittel eingesetzt, weil die Süßkraft der Blätter kalorienarm ist und außerdem sehr zahnfreundlich. Der Wissenschaftliche Lebensmittelausschuss hat sie mit der Begründung abge-lehnt, die Untersuchung habe nicht in ausreichendem Maße ergeben, dass die Pflanze tatsächlich nicht gesundheitsschädlich ist und hat eine weitere Anmer-kung gemacht, dass man bei einer groß angelegten Verwendung von Stevia als Süßungsmittel auch ganz neu prüfen müsste, was das für eine Auswirkung auf die Nährstoffversorgung der Bevölkerung hat."

    Diese beiden Beispiele zeigen das Problem, das sich durch die Novel Food Ver-ordnung für exotische Lebensmittel ergeben hat. Weil sie zumindest auf dem Speisezettel der Europäer neu sind, wissen wir nicht, wie sicher und wie ver-träglich sie sind. Deshalb muss zunächst wissenschaftlich begründet nachgewie-sen werden, dass es gesundheitlich unbedenklich ist, Nangai-Nüsse zu essen und dass das Süßen mit Stevia-Blättern nicht zu Ernährungsmängeln führt. Bisher gibt es keine einheitlichen Testverfahren, nach denen exotische Lebens-mittel untersucht werden. Wie geht man vor, um zu beweisen, dass ein Produkt unbedenklich ist oder nicht? Stefanie Ludes zu den damit verbunden Schwierig-keiten:

    "Dieser Nachweis ist bei einfachen Stoffen - zum Beispiel einer bestimmten Zutat, sei es jetzt ein Fettersatzstoff oder ein neuer Zusatzstoff - relativ einfach zu führen, weil es sich um einfache chemische Gebilde handelt. Aber gerade bei natürlichen Produkten, natürlichen Lebensmitteln, ist das sehr schwierig, weil es komplexe Gebilde sind, die aus wer weiß wie vielen Inhaltsstoffen bestehen. Und im Grunde müsste für jeden einzelnen Inhaltsstoff und für die Gesamtheit dieser Stoffe ganz ausführlich nachgewiesen werden, dass keine krebserregende Wirkung vorliegt, dass keine allergene Wirkung vorliegt und was auch immer man sich vorstellen kann."

    Auch in unserem Kulturraum gibt es Lebensmittel, die allergen wirken können: Haselnüsse zum Beispiel oder Erdnüsse, Möhren oder Erdbeeren. Oder solche, die Giftstoffe enthalten, wie Kartoffeln oder grüne Bohnen. Diese Risiken sind uns bekannt. Bei unbekannten Produkten soll der Sicherheitsnachweis im Rah-men der Novel Food Verordnung die Vertrautheit ersetzen. Die Hürden für die Zulassung sind hoch. Wesentlich unkomplizierter ist das Verfahren für neuartige Lebensmittel, die aus Einzelstoffen oder einfachen Mischungen bestehen. Hier funktioniert die Sicherheitsbewertung mit den derzeitigen Prüfmethoden. Eine dieser Substanzen ist Salaltrim.

    "Bei Salaltrim handelt es sich um einen Fettersatzstoff, ein sogenanntes unver-dauliches Fett. Das heißt, es hat eine Struktur wie Fett. Aber in bestimmten chemischen Abschnitten ist es so verändert, dass es vom Körper nicht als Nähr-stoff erkannt und aufgenommen wird. Die Frage ist allerdings, wie das mit fett-löslichen Vitaminen zum Beispiel aussähe, die Fettstoffe brauchen, um vom Körper aufgenommen werden zu können, ob die an solche Stoffe gebunden sein können auch."

    Der Wissenschaftliche Lebensmittelausschuss hat die Zulassung von Salaltrim unter bestimmten Auflagen empfohlen. Das gleiche gilt für Phytosterol-Ester, einen cholesterinsenkenden Margarinezusatz und für Dextran, einen Backzusatz aus Mikroorganismen. Ob nach neuartigen Verfahren hergestellt oder aus für uns unbekannten Pflanzen produziert - auf der Prüfliste des Wissenschaftlichen Lebensmittelausschusses stehen noch einige andere Produkte. Ist es gut, dass die Genehmigungsregelung so streng ist oder verarmt unser Speisezettel auf die Dauer? Stefanie Ludes von der VerbraucherInitiative mit einem Fazit.

    "Es ist grundsätzlich eine gute Verordnung, weil sie auch dafür sorgt, dass Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Zutaten oder Inhaltsstoffen eben nicht so leicht auf den Markt kommen, wie es die Industrie gerne hätte. Die Kehrseite der Medaille ist das beschriebene Problem, dass auch natürliche Pro-dukte aus anderen Ländern der Erde die gleichen Schwierigkeiten und Probleme haben, in Europa zugelassen zu werden. Da gibt es sicher einzelne Fälle, wo das schade ist. Zum Beispiel bei der Stevia-Pflanze. Bei anderen Produkten ist es möglicherweise aber auch gut, dass die nicht auf den Markt kommen."