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"Novo Argumente"
"Wir glauben an die Digitalisierung"

Die Zeitschrift "Novo Argumente" setzt auf neue Verbreitungswege, ohne das gedruckte Wort aufzugeben. Die Zukunft sehen die Macher eindeutig im Internet. Doch den Stein der Weisen haben auch sie noch nicht gefunden: wie man Leser im Netz für interessante Inhalte zur Kasse bitten kann.

Von Norbert Seitz | 29.12.2014
    "Wir bei 'Novo' verstehen uns als Forum für kritisches Selbstdenken und konstruktiven Meinungsstreit, weil wir ein gesellschaftliches Klima wahrnehmen, das von Unsicherheit, Zukunftsängsten und einem großen Misstrauen gegenüber dem menschlichen Potenzial, Gesellschaft aktiv zu gestalten, gekennzeichnet ist."
    Das klingt ein bisschen wie Guido Mikrowelle, das heißt nach aufgewärmter FDP. Doch Johannes Richardt, der Redakteur von "Novo Argumente", verwahrt sich dagegen, von seinen Kritikern nur als intellektueller Reparaturbetrieb der gestrandeten Freien Demokraten wahrgenommen zu werden. "Freiheit" und "Fortschritt" lauten "Novos" Leitideen in Zeiten hoher Sicherheitsbedürfnisse und nagender Wachstumszweifel.
    "Unser Projekt ist durchaus fortschrittsoptimistisch, ohne dass wir uns jetzt Illusionen machen. Durch wachsende Naturbeherrschung ist es uns gelungen, viele Krankheiten zu bekämpfen, die Lebenserwartung ist deutlich gestiegen, der Hunger ist rückläufig auf der Welt, das allgemeine Wohlstandsniveau steigt. Also es gibt mehr als genug Gründe, fortschrittsoptimistisch auf den Einsatz moderner Technologien, auf die Wirkung des Wirtschaftswachstums zu schauen."
    Das in Frankfurt am Main erscheinende Blatt existiert seit über 20 Jahren und hat eine bewegte Vita, die eher im studentisch-trotzkistischen Milieu begann. Aus dem dort gepflegten Anti-Stalinismus erwuchs gleichsam das spätere Pathos der Freiheit und aus der schrillen Losung von der "permanenten Revolution" das geschmeidigere Credo von der Eigenverantwortung. Johannes Richardt:
    "Also die erste Printausgabe von 'Novo Argumente', damals, hieß es noch 'Novo Magazin', ist 1992 erschienen. Ja, 'Novo' war ursprünglich ein linkes Projekt, ist aus einer studentischen Initiative gegen Rassismus hervorgegangen. Es ist schon richtig. 'Novo' hat eine Tradition aus der anti-autoritären freiheitlichen Linken. Und das ist auch nix, was man irgendwie verleugnen sollte.
    Ende der 1990er-Jahre fand die inhaltliche Zäsur statt - die libertäre Neuorientierung. Das Blatt erschien zunächst sechs Mal im Jahr. Seit 2012 druckt "Novo" jährlich nur noch zweimal kompakt, in Buchform mit über dreihundert Seiten, und bereitet dabei einen weiteren Einschnitt vor.
    "Wir hatten vor einigen Jahren einen strategischen Richtungswechsel vorgenommen und unsere redaktionellen Ressourcen verstärkt auf unsere Website konzentrieren wollen. Wir haben ein Online-Magazin etabliert, was fast täglich, manchmal auch am Wochenende, Artikel publiziert."
    Aber noch steht das Printmedium mit seinen Essays und Interviews im Vordergrund. Das aktuelle Heft befasst sich mit den antijüdischen Ressentiments in Europa, den Chancen einer liberalen Drogenpolitik, der Tierrechtsproblematik sowie mit dem favorisierten Reizthema des Blattes - dem bevormundenden Paternalismus in Staat und Gesellschaft mit seinen aktuellsten Ausprägungen und Stilblüten. Der Autorenkreis von "Novo Argumente" reicht dabei von der Bürgerrechtlerin und Schriftstellerin Juli Zeh über den Philosophen Robert Pfaller, die Kriminologin Monika Frommel bis zu scharfen EU-Kritikern wie dem Ökonomen Walter Krämer oder dem Ex-Abgeordneten Frank Schäffler.
    "Wir finanzieren uns aus drei Quellen, unserem Printmagazin, und wir haben unsere Einzelheftverkäufe und unsere Abos. Wir haben tatsächlich private Förderer, und wir arbeiten mit externen Kooperationspartnern zusammen."
    Unter ihnen befindet sich nicht nur das Institute of Ideas in London, sondern auch der Industrieverband Agrar, mit dem sich die marktkonforme Zeitschrift der erbitterten Gegnerschaft der Öko-Szene gewiss sein kann. "Pestizide statt Paternalismus", wird von dort gespottet. Doch "Novo Argumente" reibt sich bevorzugt an grüner Weltuntergangslyrik. Es bleibt indes fraglich, ob das Redaktionsteam mit dieser quer zum Mainstream entwickelten Kampfstrategie auch dem medialen Trend aussterbender Monatszeitschriften auszuweichen vermag. Redakteur Johannes Richardt glaubt unverdrossen an die Chancen unter digitalen Bedingungen.
    "Ich bin da durchaus optimistisch, dass 'Novo' seine Zukunft nicht unbedingt im Printbereich sieht. Wir glauben an die Digitalisierung. Wir setzten aktuell auch auf einen Relaunch unserer Website. Wir möchten responsive werden. Wir möchten bessere Benutzerformate einführen und so weiter. Wir möchten aktiver im Social-Media-Bereich werden."
    Der Jargon verrät die Richtung. Doch den Stein der Weisen haben auch die "Novo"-Leute noch nicht gefunden, wie man Leser im Netz für interessante Inhalte zur Kasse bitten kann.