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NRW- Datenschutzbeauftragte gegen Videoüberwachung

Die Datenschutzbeauftragte von NRW, Bettina Sokol, hat sich gegen eine flächendeckende Videoüberwachung deutscher Städte ausgesprochen. Eine solche Überwachung könne zwar möglicherweise einiges zur Aufklärung von Straftaten beitragen, verhindern könne sie Anschläge wie den in London jedoch nicht.

Moderation: Friederike Schulz |
    Friederike Schulz: In Deutschland diskutieren im Moment Vertreter der Parteien und der Kirchen darüber, wie jetzt die innere Sicherheit verbessert werden kann, ohne dass gleich ein Überwachungsstaat entsteht. Am Telefon ist jetzt die Datenschutzbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen. Guten Tag, Bettina Sokol.

    Bettina Sokol: Guten Tag.

    Schulz: Mehr Videokameras auf Straßen und Plätzen in Deutschland. Können wir uns dann wirklich sicherer fühlen?

    Sokol: Das glaube ich nicht, denn die schrecklichen Ereignisse von London haben ja gezeigt - London ist bereits flächendeckend videoüberwacht - dass Videoüberwachung keine Anschläge verhindern kann. Sie kann zwar möglicherweise einiges zur Aufklärung beitragen, aber verhindern kann sie solche Anschläge nicht. Und deswegen würde ich vermuten, dass man sich nicht unbedingt sicherer wird fühlen können durch mehr Überwachungskameras. Es kommt auch dazu, dass die Strategie, mit der diese Anschläge verübt worden sind und die Ziele, die sie gehabt haben, welche sind, die kaum zu schützen sind. Es ist nicht möglich, sämtliche Züge, sämtliche öffentliche Verkehrsflächen komplett zu überwachen und die Bevölkerung unter eine Totalüberwachung zu stellen, um dann gegebenenfalls Anschläge bloß dokumentieren zu können.

    Schulz: Die Ankündigung der Berliner Verkehrsbetriebe halten Sie dann auch nicht für sinnvoll? Die wollen ja jetzt überall die Videoüberwachung verstärken.

    Sokol: Nun, da sind mir jetzt die Einzelheiten nicht bekannt, was die Berliner Verkehrsbetriebe vorhaben. Es gibt in der ganzen Bundesrepublik bereits jetzt in etlichen Städten Verkehrsmittel, die partiell videoüberwacht werden. Also das ist eigentlich - leider Gottes muss man schon fast sagen - relativ häufig schon anzutreffen, dass Straßenbahnen oder Busse videoüberwacht werden. Allerdings unter Kennzeichnung dieser Maßnahme und unter strengen Datenschutzrestriktionen, was Aufzeichnungen oder Löschungsfristen der gewonnenen Daten angeht.

    Schulz: Der Niedersächsische Innenminister verlangt jetzt eine stärkere Telefonüberwachung, wenn jemand verdächtig erscheint. Reichen die bisherigen Überwachungen da nicht aus?

    Sokol: Ich denke, dass unsere Gesetze bisher ausreichende Möglichkeiten dafür bieten, in den Fällen, in denen die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, auch Überwachungsmaßnahmen anzuordnen.

    Schulz: Inwiefern kann Telefonüberwachung Ihrer Meinung nach überhaupt ein sinnvolles Mittel sein?

    Sokol: Wir kennen es in den Strafprozesszusammenhängen zur Aufklärung von Straftaten. Dort hat es sich an manchen Stellen bewährt, an anderen Stellen allerdings auch nicht. Es ist leider immer wieder eine Tendenz festzustellen zu einem erhöhten Einsatz dieses Mittels, obwohl es eigentlich nur ultima ratio sein sollte. Und das kann gar nicht pauschal als geeignet angesehen werden, um etwa terroristische Anschläge zu verhindern.

    Schulz: Die Datenschützer protestieren ja. Die meisten Deutschen scheinen sich nicht besonders daran zu stören, dass unsere Daten überall Spuren hinterlassen. Müssen wir umdenken und kritischer werden?

    Sokol: Das wäre natürlich schön. Wir haben ja eine Verfassung. Wir haben Grundrechte. Und gerade in Krisenzeiten ist es so, dass die Bedeutung der Grundrechte nicht geschwächt werden sollte, sondern hier muss sich der Rechtsstaat mit seinen Grundrechten auch bewähren. Denn ansonsten, wenn in Krisenzeiten Freiheitsrechte abgebaut werden, dann ist es natürlich schon ein Stück weit so, dass wir auf solche gesellschaftlichen Verhältnisse zusteuern, die wir gerade vermeiden wollen, und die andere Gesellschaften anstreben.

    Schulz: Im Zuge der Diskussion um die Fußballweltmeisterschaft 2006 haben die Innenminister jetzt eine Sicherheitsdatei angesprochen, die ausgebaut werden soll. Was halten Sie davon?

    Sokol: Das käme darauf an, was diese Datei überhaupt für einen Zweck erfüllen soll, was dort gespeichert werden soll und wie die näheren Umstände sind. Es ist ja leider so, dass wir bereits jetzt natürlich Verbunddateien darüber haben, ob Menschen zu den so genannten Gewalttätern im Sportbereich gehören. Da gibt es das alles schon. Und von daher wüsste ich jetzt nicht, was eine solche neue Datei im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft denn enthalten soll.

    Schulz: Sie sagen "leider Gottes". Sie sprechen da wirklich sehr, sehr kritisch. Meinen Sie, dass diese ganze Diskussion jetzt überflüssig ist?

    Sokol: Ich bedauere es immer sehr, wenn solche entsetzlichen Taten, wie die von London genutzt werden, um Vorschläge, die bereits seit Jahren diskutiert und begründet zurückgewiesen werden, erneut aufs Tapet gebracht werden, etwa flächendeckende Videoüberwachung oder auch die Vorratsdatenspeicherung aller Telefon- und Internetdaten. Das ist beispielsweise etwas, wogegen sich der Bundestag bereits mehrfach zu recht ausgesprochen hat. Auch das Europäische Parlament hat sich demgegenüber kritisch geäußert. Wir in der Bundesrepublik hätten sicherlich verfassungsrechtliche Probleme damit, wenn überhaupt so etwas eingeführt würde. Aber auch die Wirtschaft ist dagegen und sagt, mit solchen Datenfriedhöfen können wir nichts anfangen, die sind teuer und überflüssig. Und trotzdem wird es immer wieder in die Diskussion gebracht und erst recht dann - fast zynisch muss man es nennen - anlässlich solcher leidvollen Anschläge.

    Schulz: Bettina Sokol war das. Sie ist Datenschutzbeauftragte in Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank für das Gespräch.