Archiv


NRW-Grüne verabschieden sich von der Nachhaltigkeit

Das Ziel der Grünen in NRW hieß vor der Wahl: Nachhaltigkeit. Das heißt, wenn Geld ausgegeben wird, dann bitte nicht für kurzfristige Erfolge. Stört dieses Ziel den Schulterschluss mit der SPD?

Von Barbara Schmidt-Mattern |
    "Sie ist ein Pfundskerl ... "

    ... sagt Sylvia Löhrmann über Hannelore Kraft.

    "Beide sind exzellente Politikerinnen, die diesem Land auch ein ganz, ganz neues Gesicht gegeben haben – ein sehr pragmatisches Gesicht, und deswegen würde ich mir wünschen, dass beide auch sehr erfolgreich noch lange weiterarbeiten können."

    ... sagt Sven Lehmann, Parteichef der NRW-Grünen über das Führungsduo der rot-grünen Minderheitsregierung.

    "Also es läuft in der Regierungskoalition vernünftig."

    ... findet schließlich auch Rainer Priggen, Vorsitzender der grünen Landtagsfraktion. Nein, da ist nichts zu machen – egal ob in Partei, Fraktion oder Regierung, kein Grüner sagt in diesen Tagen etwas Negatives über die strauchelnde Minderheitsregierung in Düsseldorf. Dabei hatte Sylvia Löhrmann, stellvertretende Ministerpräsidentin, noch letztes Jahr vor ihrer Wahl erklärt:

    "Die Grünen stehen ja dafür, dass sie Kröten schützen wollen und keine Kröten schlucken wollen."

    Doch genau das müssen sie gerade, denn Rot-Grün steht das Wasser bis zum Hals: eine laufende Haushaltsklage gegen die höchste Neuverschuldung in der Geschichte Nordrhein-Westfalens, eine auf Krawall gebürstete Opposition, und ein Finanzminister, der Parlament und Verfassungsgericht brüskiert, weil er seine Zahlen nur häppchenweise serviert. Aber: Die grüne Landtagsabgeordnete Verena Schäffer dreht den Spieß einfach um:

    "Deswegen kann ich diesen Vorwurf von der Opposition, dass man keine Schulden mehr machen dürfte, weil man sonst eben den zukünftigen Generationen schaden würde, so auch nicht mehr hören, weil das so auch einfach nicht stimmt."

    Schäffer ist mit ihren gerade einmal 24 Jahren die jüngste Landtagsabgeordnete am Rhein, und doch klingt sie wie ein alter Hase im Politikgeschäft. Stramm auf Linie verteidigt sie das Mantra der Landesregierung, demnach die Schulden von heute die Investitionen für morgen seien. Quasi präventive Schulden zum Wohle von Jugend, Familie und Kommunen. Das ehemals grüne Zauberwort – Nachhaltigkeit – ist perdu. Oder? Nein, so will Verena Schäffer das nicht verstanden wissen:

    "Das heißt, dass wir auf der anderen Seite natürlich auch Sparvorschläge machen werden, wenn uns der Haushaltsentwurf der Landesregierung vorliegt."

    ... also der nächste, denn nicht nur der Nachtragshaushalt für das letzte, auch der für dieses laufende Jahr ist wegen der milliardenschweren Neuverschuldung umstritten:

    "Wir werden uns das sehr genau angucken."

    Und dann folgt noch einmal die These, dass grüne Nachhaltigkeit derzeit vor allem neue Schulden bedeutet:

    " ... aber ich finde, dass man auf der anderen Seite eben auch gucken muss, wo sind notwendige Investitionen ... "

    Kritische Worte an der rot-grünen Haushaltspolitik sind allenfalls hinter vorgehaltener Hand zu hören. Spöttische Töne etwa, Kraft mache es wie Johannes Rau und sitze Konflikte aus wie der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident. Und was den derzeitigen Finanzminister Norbert Walter-Borjans von der SPD betrifft, da lässt sich Grünen-Parteichef Sven Lehmann dann doch zu einer kleinen Ja-aber-Kritik hinreißen:

    "Man kann sich darüber streiten, ob die Performance, also die Kommunikation mit dem Verfassungsgerichtshof so optimal war, aber sachlich hat er völlig richtig entschieden."

    Die Neuwahl-Debatte – frisch angeheizt durch die laufende Haushaltsklage – sei im Übrigen völlig surreal, heißt es bei der Öko-Partei. Dabei müssten gerade die NRW-Grünen, gestärkt durch gute Umfragen und einen neuen Mitgliederrekord, als einzige Partei in NRW keine Angst vor dem Wähler haben. Zumal sich Norbert Röttgen, Bundesumweltminister und Chef der NRW-CDU, gerade wieder an die Grünen heranrobbt. Anfang Januar traf man sich gar zum
    Gedankenaustausch. Ein Treffen, das der bekennende Anhänge von Rot-Grün, Sven Lehmann, vorsichtshalber ganz niedrig hängt:

    "Es war ein ganz normales banales Mittagessen, es gab unter anderem Ofenkartoffeln. Also sehr unspektakulär. Es fand in netter Atmosphäre statt, und wir werden das auch natürlich fortführen."

    Gespräche führe man mit allen demokratischen Parteien, so betonen die Grünen immer wieder, selbst mit der FDP und der Linken. Weshalb Ex-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers von der CDU noch letztes Jahr befand:

    "Die Grünen sind einfach nur machtgeil."

    "Mit dem Begriff machtgeil kann ich überhaupt nichts anfangen. Ich möchte es eher so formulieren, dass wir Verantwortung übernehmen möchten."

    ... antwortet Grünenchef Lehmann. Mit Norbert Röttgen können sich viele Grüne das immerhin besser vorstellen als damals, mit Röttgens Vorgänger, Jürgen Rüttgers. Nur sind alle schwarz-grünen Zukunftsvisionen eine Kröte, die dem Koalitionspartner SPD Atemnot verursacht. Darauf nehmen die Grünen Rücksicht. Noch. Denn zum Ende des Interviews liefert Sven Lehmann doch noch eine erfrischend offene Zustandsbeschreibung von Rot-Grün:

    "Also ich glaube, es ist immer wichtig, dass einem, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, man einfach offensiv raus schwimmt."

    In wenigen Wochen könnte die rot-grüne Schuldenpolitik vor Gericht scheitern. Spätestens dann brauchen die Grünen einen Rettungsring: entweder eine nachhaltige Haushaltspolitik, oder Neuwahlen.