Donnerstag, 25. April 2024

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NRW-Kulturministerin
"Pittsburgh ist eine Zäsur"

Die Bundesländer und das Washingtoner Holocaust Museum erforschen gemeinsam NS-Unrecht. Die NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen ist derzeit in Washington und beobachtet vor den Midterms eine besorgte Stimmung. Die Hemmschwelle, sich antisemitisch zu äußern, sei gesunken, sagte die Ministerin im Dlf.

Isabel Pfeiffer-Poensgen im Gespräch mit Anja Reinhardt | 01.11.2018
    Die nordrhrein-westfälische Kultur- und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen gibt am 27.09.2017 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) ein Interview. Foto: Marcel Kusch/dpa | Verwendung weltweit
    Die nordrhrein-westfälische Kultur- und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (dpa / Marcel Kusch)
    Anja Reinhardt: Das Holocaust Memorial Museum in Washington wurde Ende der Siebziger Jahre noch unter Präsident Jimmy Carter initiiert, der erste Vorsitzende war der Holocaust Überlebende Elie Wiesel. Damals begann man, sich mit dem Völkermord an den Juden intensiv auseinanderzusetzen, in Europa, in Amerika und anderen Teilen der Welt. In den USA folgten noch 22 weitere Museen zum Holocaust. Mittlerweile gibt es vielfach internationale Kooperationen, Archive aus mehreren deutschen Bundesländern, Bayern und Brandenburg zum Beispiel, stellen dem Holocaust Memorial Museum Material zur Verfügung. Diese Woche kam noch Nordrhein Westfalen dazu. Die NRW Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen ist zur Zeit in den USA und hat eine Vereinbarung zur gemeinsamen Erforschung nationalsozialistischen Unrechts unterschrieben. Diese Kooperation fällt außerdem in das Deutschlandjahr in den USA, das gerade begonnen hat. Wir haben sie dort telefonisch erreicht und ich habe sie gefragt, wie genau diese Zusammenarbeit aussieht und was das Land NRW zur Forschung in den USA beitragen kann?
    Isabel Pfeiffer-Poensgen: Ja, das Memorial Museum ist auf das Land Nordrhein-Westfalen zugekommen und hat gebeten, einen bestimmten Aktenbestand, der eben für die Arbeit dieses Hauses, was ja ein Forschungszentrum für die Forschung im Bereich des Holocaust, aber eben auch ein Museum ist, mit einer sehr starken Vermittlungsarbeit, eben Akten zu bekommen in digitalisierter Form, die ihre Arbeitsgrundlage eben sehr stark erweitert. Das - sage ich mal - war der Wunsch, darüber hat man auch schon vor meiner Amtszeit verhandelt. Und das Archivgesetz Nordrhein-Westfalens gibt das auch grundsätzlich, sozusagen diesen Auftrag mit, gerade für diese Zeit eben auch die Akten zu öffnen. In der Durchführung fand ich es als ein etwas noch zu lösendes juristisches Problem vor. Das haben wir sehr beherzt getan. Es geht immer auch um Fragen des Datenschutzes usw. und wir konnten eben nicht nur den Vertrag jetzt unterzeichnen, sondern auch - das ist ja die Möglichkeit des 21. Jahrhunderts - eine kleine Festplatte mit den Digitalisaten von 70.000 Akten gestern übergeben
    Reinhardt: Es geht da ja um 72.000 Gestapo - Akten. Was ist daran für das Museum in Washington interessant?
    Transparenz schaffen
    Pfeiffer-Poensgen: Es geht also um eine sehr breit gefächerte Art von Akten, darunter sind auch Polizei- und Gestapo-Akten, wo wirklich Einzelfall-Akten mit allem , was die Verwaltung damals produziert hat bis hin zu Gerichtsurteilen, Schutzhaftbefehlen. Es geht aber auch um Akten aus anderen Verwaltungsbereichen, Justiz, Justizvollzug, Gesundheit, Finanzen. Ich sag´ mal Stichwort Arisierung jüdischen Vermögens, aber auch allgemeine Akten. Und, was interessiert das Museum daran? Die machen wirklich eine sehr qualifizierte Forschungsarbeit, die sie dann unter anderem auch in große Ausstellungen umsetzen. Es geht aber natürlich auch aus unserer Sicht, finde ich, darum, dass man transparent machen muss wie der gesamte Apparat funktioniert hat und , dass eben doch sehr, sehr viele Teile, an den für uns heute so wirklich schmerzvollen Handlungen und Entscheidungen der damaligen Behörden beteiligt waren.
    Reinhardt: Wie wichtig ist denn das Gedenken an den Holocaust in den USA, gerade nach so einem antisemitisch motivierten Massaker wie in Pittsburgh. Und nachdem sich die Zahl der judenfeindlichen Zwischenfälle in den USA 2017 mehr als verdoppelt hat?
    Unverhohlener Antisemitismus
    Pfeiffer-Poensgen: Also, ich glaube das wird jetzt auch noch mal ganz anders diskutiert. Man konnte hier in den letzten Tagen, wir haben ja zahlreiche Besuche schon absolviert, merken, dass dieser Anschlag von Pittsburgh schon noch mal eine wirkliche Zäsur ist. Also alle, mit denen wir gesprochen haben wirklich auch unter Schock standen, weil es ein solches schreckliches Vorkommen bisher nicht gegeben hat. Was aber, glaube ich, schon auch, und da sind wir in einer ähnlichen Situation, festzustellen ist, dass es eben auch die - ich sag mal - die Ungehemmtheit, antisemitische Äußerungen auch öffentlich auszubringen, enorm zugenommen hat. Man weiß ja immer nie, wann der Antisemitismus wirklich anfängt. Aber wir merken jetzt auf jeden Fall, dass das auch sehr unverhohlen öffentlich geäußert wird. Und das - so haben uns alle Gesprächspartner gesagt – in den USA ganz genauso. Und von daher sind natürlich solche Arbeiten, wie dieses Museum sie tut, von ganz besonderer Bedeutung. Sie haben gerade jetzt eine große Ausstellung eröffnet, die wir uns auch anschauen konnten, wo sie sich mit der Frage beschäftigt hatten, wie gut waren eigentlich amerikanische Bürger während der Dreißiger Jahre schon, über das, was in Europa und ganz besonders von Deutschland ausging. Und haben das also sehr, sehr detailliert und seriös einfach mal dargestellt wie gut die Informationslage damals war. Das ist eine, auch für die Amerikaner, schwierige Ausstellung, die aber - glaube ich - sehr, sehr wichtig ist, um zu lernen, dass man eben auch schon diesen ersten Anzeichen gegenüber sehr aufmerksam sein muss
    Reinhardt: Wenn wir jetzt über Informiertheit de Bürger sprechen, am 6. November stehen in den USA die Midterms an, die Kongresswahlen. Und seit Donald Trump seinen Wahlkampf auch mit Hass und Hetze geführt hat, spürt man ja doch eine immer deutlichere Spaltung der Gesellschaft. Verstärkt das auch den Antisemitismus in den USA? Wie erleben sie die Stimmung wenige Tage vor den Wahlen?
    Besorgte Stimmung
    Pfeiffer-Poensgen: Also die Stimmung, man kann das eben immer nur aus den persönlichen Gesprächen und Erlebnissen sozusagen für sich zusammensetzen, ist schon so, dass es natürlich dort, wo wir jetzt sind, nämlich an der Ostküste, eine andere Haltung gibt, als in der Weite des Landes. Aber die gesamte Stimmung ist schon sehr besorgt und auch ein bisschen gedrückt, finde ich, weil man jetzt eben immer krasser wirklich diese Polarisierung in der Haltung der Menschen auch gespürt hat. Und ich glaube, dass das viele sehr nachdenklich und auch besorgt stimmt. Und sich jetzt zum ersten Mal, ich finde, das ist alles gar nicht so unähnlich zu Europa, auch die Menschen, die in diesen Gegenden, sag ich mal, wie Ostküste, Westküste, leben, klar machen, dass sie sich verstärkt auch um die Fläche kümmern müssen, dass es da riesige Unterschiede in den Auffassungen gibt. Und wir haben auch mitbekommen, dass das sogenannte deutsche Jahr, was über tausend Veranstaltungen in den USA macht, jetzt ganz stark darauf konzentriert wirklich überall in die Fläche zu gehen, und eben nicht nur in den großen Städten an der Ost- und Westküste viele Themen zu bearbeiten, sondern wir müssen, das gilt für uns genauso, wir müssen lernen, dass wir diese ganz unterschiedlichen Lebenssituationen stärker in alle Bereiche, und eben natürlich auch in diese Art der Aufklärungsarbeit einbeziehen.
    Reinhardt: Bei uns ist ja die Geschichte der Juden im 20. Jahrhundert vor allem eine Geschichte des Massenmordes, des Völkermordes durch die Nationalsozialisten. In den USA ist sie das natürlich auch, aber das gibt es vielleicht noch eine etwas erweiterte Geschichte des Exils, der Flucht und des Überlebens eben auch. Kann das für deutsche Museen und Archive wiederum interessant sein?
    Austausch durch Netzwerke
    Pfeiffer-Poensgen: Das ist es ja schon. Ich weiß nicht, ob sie zum Beispiel schon diese eher virtuelle, aber auch mit Ausstellungen bestückte Exilarchiv , das die Deutschen Nationalbibliothek im Auftrag eigentlich vieler Bibliotheken betreibt. Also um sich zum Beispiel mit dem Thema Exilliteratur zu beschäftigen, das ist, glaube ich, ein Thema, das viele interessiert, auch in Deutschland. Es gibt ja eine Aktivität in Berlin, die ein Exilmuseum auch einrichten möchte. Wir haben ja von Seiten der Bundesrepublik jetzt dieses Thomas Mann Haus in Pacific Palisades jetzt an der Westküste als Ort für künstlerische und wissenschaftliche Arbeiten eröffnet. Also, es gibt, glaube ich, viele Punkte dazu. Aber im Momentkonzentriert sich alles, und das ist auch der Auftrag dieses Holocaust Museums auf die eigentliche Zeit und ihre Auswirkungen. Und wie können wir durch Transparenz einfach Aufmerksamkeit und auch Achtsamkeit schaffen.
    Reinhardt: Ich frage das auch deswegen, weil NRW nicht das einzige Bundesland ist, das mit dem Holocaust Memorial Museum zusammenarbeitet. Bayern ist schon dabei, Hamburg, Brandenburg. Sie wiederum, NRW, arbeitet mit Yad Vashem zusammen. Geht es auch darum, so etwas wie ein gemeinsames globales Narrativ zu schaffen?
    Pfeiffer-Poensgen: Das finde ich hoch gegriffen. Ich würde eher sagen, ein globales, enges Netzwerk. Dazu gehört übrigens auch das Shoah-Museum in Rom, wo wir auch entsprechende Aktenbestände hingegeben haben, schon vor längerer Zeit. Und ich glaube, dieses Netzwerken kann dazu helfen, die unterschiedlichen Perspektiven, aber auch die sehr unterschiedlichen Geschichten aus dieser Zeit zu stärken und eben sozusagen zum Austausch anzuregen. Zum Beispiel gestern habe ich auch hier in dem Holocaust Museum in Washington mehrere Stipendiaten aus Deutschland getroffen, also Leute, die für Zeit herkommen und dann hier arbeiten. Und ich glaub´ dieser Perspektivwechsel aus den unterschiedlichen nationalen Geschichten, der ist, glaube ich, für alle auch `ne ganz wichtige Anregung, um eben mit diesem Thema umzugehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.