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NRW-SPD vor Koalitionsvotum
Macht und Zweifel im größten Landesverband

Noch einmal Schwarz-Rot? Nach den Koalitionsverhandlungen lässt die SPD ihre Mitglieder entscheiden. Etwa jeder vierte Sozialdemokrat stimmt in NRW ab. Und viele NRW-Genossen sehen eine Neuauflage dieser Regierung kritisch.

Von Moritz Küpper | 08.02.2018
    Mike Groschek auf dem Feierabendmarkt in Gelsenkirchen
    NRW-Parteichef Michael Groschek wird vor dem Mitgliederentscheid der SPD über eine neue GroKo noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen (Deutschlandradio/Moritz Küpper)
    Auf das Brauchtum konnte Michael Groschek heute keine Rücksicht nehmen. Während die Karnevalisten schunkelten, sangen und ab 11.11 Uhr die Rathäuser stürmten, saß der Chef der mächtigen NRW-SPD in der Düsseldorfer Parteizentrale vor Journalisten:
    "Wir schämen uns nicht, dass uns in weiten Teilen bestätigt wird, dass sehr viel SPD wahrgenommen wird."
    Er muss den Koalitionsvertrag erklären. Das ist sein Arbeitsauftrag. Denn: Immer noch schwebt das sozialdemokratische Mitgliedervotum wie ein Damoklesschwert über diesen 177 Seiten.
    Und bei allem Lob von außen, gibt es innen, in der Partei, auch Skepsis:
    "Die für mich jetzt zusätzlich wichtige Frage ist, wie wir die sehr emotionale Diskussion um die Entscheidung von Martin Schulz so rational in die Gesamtdiskussion einbetten, dass das jetzt nicht zu großes Gewicht bekommt."
    Schulz' Worte lasten auf Landesverband
    Doch: Schulz' gebrochenes Versprechen, nie in ein Kabinett Merkel einzutreten, ist auch in seinem eigenen Landesverband eine Hypothek, weiß Groschek:
    "Ich kann die Gefühlswallung verstehen, ich kann auch manche Faust auf dem Tisch verstehen, aber wir müssen eben möglichst sachlich und intensiv über die Ergebnisse der Koalitionsverhandlung diskutieren."
    Groschek will dabei vor allem die Inhalte in den Vordergrund rücken:
    "Es gibt für die Kette von Jung bis Alt spürbare, auch am Konto und am Rentenbescheid ablesbare soziale Verbesserungen. Und deshalb bin ich davon überzeugt, dass es fahrlässig wäre, Nein zu diesem Koalitionsvertrag zu sagen."
    Essener Parteivize will dagegen stimmen
    "Ich glaube hier in Essen gibt es eine große Mehrheit gegen die GroKo", sagt dagegen Karlheinz Endruschat. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Essener SPD sowie Ratsherr in der zweitgrößten Stadt des Ruhrgebiets.
    "Es wird meines Erachtens auf Neuwahlen hinauslaufen. Nur eins ist uns auch klar: Man wird nicht ununterbrochen neu wählen können. Letztlich gibt es noch einen Aufschlag, der für die Partei eventuell, wenn ich mir die Zahlen anschaue und die Stimmung im Lande anschaue, bitter werden wird, aber wir werden diesen Weg gehen müssen."
    Letztendlich aber, so Endruschat, sei die Entscheidung für oder gegen den Koalitionsvertrag schwierig:
    "Ich bin da auch zerrissen. Ich sehe sehr wohl, gerade als Sozialpolitiker, dass in den Verhandlungen einige Punkte ausverhandelt wurden, die wichtig sind. Ich denke an den sozialen Arbeitsmarkt, ich denke an die Krankenversicherung, die paritätische. Aber auch ich sage, wenn man in dieser Klarheit sich äußert und eine Groko ablehnt, dann muss man dies auch den Bürgerinnen und Bürgern glaubhaft zeigen, dass man es so machen wird. Deswegen werde ich auch gegen die Groko stimmen."
    Zwei Gründe gegen eine neue GroKo
    Wegen solcher Zweifel, aber auch wegen der zahlenmäßigen Macht werden sich die Blicke der Sozialdemokraten in den Westen richten. Fast 115.000 stimmberechtigte Mitglieder hat die SPD im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland. Das heißt: Etwa jeder vierte Sozialdemokrat stimmt in Nordrhein-Westfalen ab. Ähnlich verteilen sich auch die Parteieintritte seit Jahresbeginn: Rund 6.000 der insgesamt 24.000 Neugenossen, die ja als skeptisch gelten, sind in NRW beigetreten.
    Wird der Landesverband damit zum Zünglein an der Waage? Bereits bei der letzten Mitgliederbefragung zum Eintritt in die Große Koalition im Jahr 2013 gab es an Rhein, Ruhr und Lippe große Zweifel unter den Genossinnen und Genossen. Damals war es vor allem die Vereinbarung zum Mindestlohn, die als Argument überzeugte. Doch jetzt? Die Ressortverteilung mit Außen, Finanzen und Arbeit für die SPD? Inhaltliche Punkte? Der Essener Genosse Endruschat wiegt den Kopf hin und her, meint dann – unabhängig von den konkreten Ergebnissen:
    "Ich weiß nicht, ob man das unterschätzt hat… Ich glaube, man hat schon richtig eingeschätzt, dass natürlich Nordrhein-Westfalen mit der Größe und mit der Anzahl an Mitgliedern wichtig sein wird. Ich glaube aber, dass auch hier gesehen wird: Es gibt zwei Gründe. Es gibt eine inhaltliche Begründung. Es wird als nicht ausreichend empfunden, was ausverhandelt wurde und es gibt eine grundsätzliche Begründung, nämlich: Wir müssen als Sozialdemokraten zu unserem Wort stehen."
    Fünf große Erklärveranstaltungen in NRW
    Schon beim Bundesparteitag in Bonn waren die Jusos überzeugt, dass eine Mehrheit der NRW-Delegierten gegen die Koalition mit der Union gestimmt habe. Beim Landesverband heißt es allerdings, die NRW-Delegierten hätten nicht anders abgestimmt als der Rest des Parteitags, also 56,4 Prozent dafür. Auch das hieße aber: Es wird eng.
    Weshalb der Landesverband auch ordentlich trommeln beziehungsweise erklären möchte. Fünf Veranstaltungen, verteilt über ganz NRW, plant die Landesgeschäftsstelle, 2013 waren es nur zwei. Dazu kommen ein großer Termin im Zuge der bundesweiten Kampagne der Bundespartei sowie zahlreiche Stammtische, Mitgliederversammlungen oder eine Art Konvent auf Ebene der Unterbezirke oder Ortsvereine. NRW-Landespartei-Chef Groschek jedenfalls ist zuversichtlich:
    "Ich glaube, dass es einen positiven Mitgliederentscheid geben wird, auch in Nordrhein-Westfalen, weil gerade in Nordrhein-Westfalen ganz besonders viele Menschen von den Verbesserungen profitieren würden."
    Ab Aschermittwoch will die Landes-SPD das nun in Veranstaltungen erklären – und zwar mit prominenter Unterstützung, denn zum traditionellen politischen Aschermittwoch in Schwerte wird die aktuelle Fraktions- und künftige Parteichefin erwartet – Andrea Nahles.