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NS-Gigantomanie als satirische Zeichnung

Hans Stephan plante mit im Stab von Albert Speer, und er war sich gewahr der ausufernden Entwürfe der Generalbauinspektion. Dennoch war er offenbar vom architektonischen Wahnwitz angetan und überzeichnete die Entwürfe mit einem satirischen Zwinkern.

19.07.2008
    Michael Köhler: Im Planungsstab von Albert Speer, zur Bebauung von Groß-Berlin zur Zeit des Nationalsozialismus, da gab es einen Mitarbeiter, der auch nach dem Krieg rasch wieder Leiter der Stadtplanung und Senatsbaudirektor wurde, bis er 1958 zurücktrat und bis zu seinem Lebensende als freier Architekt tätig war. Hans Stephan war seit 1937 einer der engen Mitarbeiter von Albert Speer innerhalb der Generalbauinspektion. Er hat aber nicht nur Pläne gemalt, sondern auch über die Gigantomanie der damaligen Bebauungspläne nachgedacht und satirische Zeichnungen darüber angefertigt. Ein Buch von Lars Olof und Sabine Larsson hat das dokumentiert und ausgestellt sind die Zeichnungen, wie sich etwa Fußgänger in einer fünfzigspurigen Straße Berlins verirren, in der Galerie des Architekturmuseums Berlin. Deren Leiter ist Hans-Dieter Nägelke. Herr Nägelke, was hat Hans Stephan gezeichnet?

    Hans-Dieter Nägelke: Er hat gezeichnet zum einem Karikaturen von allem, was ihm begegnet ist, von Mitarbeitern in der Behörde, die waren auch bekannt, die wurden öffentlich gezeigt innerhalb der Behörde, dafür war er auch beliebt und geschätzt, bissige, bösartige Karikaturen von Kollegen und Vorgesetzten, auch von Albert Speer. Er hat aber vor allen Dingen, und das ist das, was wir in unserer wirklich sehr kleinen Galerieausstellung zeigen, gezeichnet satirische Kommentare zu der Neugestaltung, an der er selbst beteiligt war.

    Köhler: Wie sehen die aus? Wie sieht diese satirische Gestaltung aus? Man sieht teilweise Straßenzüge, wo Dinge explodieren, wo Menschen sich verstecken müssen hinter Häuserblocks, teilweise unmenschliche Pläne werden da gezeigt. Das ist doch fast schon antinazistische Propaganda.

    Nägelke: So könnte man es sehen. Aber ich würde es anders deuten wollen. Ich würde es eigentlich als Ausfluss seines Unterbewussten deuten wollen. Auch diese Zeichnungen, in denen er, das finde ich für mich eigentlich eines der subversivsten, scheinbar subversivsten Beispiele, in dem er das Lieblingsprojekt von Adolf Hitler, den großen Triumphbogen, hernimmt, diesen großen Triumphbogen von seinem Platz an der Nord-Süd-Achse versetzt an die Stelle, wo das Brandenburger Tor steht, das war nun eine Stelle, mit der er als Planer unmittelbar beschäftigt war, und auf diesen großen Triumphbogen das Brandenburger Tor hinaufstellt, und zwei Figuren dazustellt, eine von dem Oberinspektor Müller und eine von dessen Sohn, dem kleinen Müller, und dazu schreibt "das Brandenburger Tor nach einem Vorschlag aus dem Publikum". Und wenn man sich gewahr wird, dass dieser Triumphbogen das Lieblingsmotiv, das Lieblingsprojekt von Adolf Hitler war, dann ist das natürlich tatsächlich subversiv, oder man könnte meinen, dass es das ist.

    Köhler: Er hat unter anderem die sogenannte "Große Straße" gezeichnet, eines der Prestigeobjekte, eine fünfzigspurige Verkehrslawine verstopft sie gerade und am Rande verkünden Schilder "NS-Verkehrsopfergemeinschaft, versichere dein Leben vor Überschreiten der Fahrbahn". Wusste man das, was der da tat, oder anders gesagt, wusste Speer das und welches Licht wirft das dann auch auf Speer selber?

    Nägelke: Das war kein heimliches Hobby. Also, seine Zeichnungen waren zwar nicht öffentlich im Sinne von publiziert, aber sie waren eben im Amt bekannt. Speer kannte sie, Speer hat später darüber geschrieben, Stephans Kollegen wie Rudolf Wolters oder Willi Schelkes oder Gerhard Frenck kannten sie und hatten, das dürfen wir mutmaßen, auch ihren Spaß daran. Ich glaube, dass es immer zu diesen zwiegespaltenen Persönlichkeiten gehört; das waren ja normale Bildungsbürger, die dort am Werke waren, die sich sehr wohl der Absurdität der Aufgabe, der sie sich gestellt haben, bewusst waren und die dieses Zweifeln daran am ehesten in solchen Witzen quasi als Ventil ausfließen lassen konnten.

    Köhler: Sie haben es gerade gesagt, es war kein heimliches Hobby und Sie haben auch mehrfach das Wort "bewusst" verwendet. Das heißt, es war ein Bewusstsein über die Gigantomanie und ihre Kosten vorhanden, die sich in diesen satirischen Zeichnungen Ausdruck verschaffte.

    Nägelke: Dazu gehört natürlich auch, dass Stephan natürlich zu denen gehörte, die auch die verbrecherischen Folgen oder das verbrecherische Beiwerk der Planung sehr genau kannten. Er begegnet uns in frühen Besprechungsprotokollen, wo es um die Zwangsräumung von Wohnungen geht, wo es um die Vertreibung von der jüdischen Bevölkerung geht, sicherlich wusste er auch über den Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Insassen für die Materialbeschaffung, für die Neubauplanung usw., usw. Das war alles bekannt. Und auch insofern würde ich diese Zeichnungen wirklich als Ausfluss des Unbewussten deuten wollen.

    Köhler: Ich war mal vor Jahren bei Gitta Sereny, der Biografin von Albert Speer, die ihn ja besucht hat auch im Gefängnis in Heidelberg usw. Und seit kurzem, verhältnismäßig kurzem wissen wir, dass er von den Zwangsarbeitern wusste und auch von Vielem mehr wusste. Was war Hans Stephan für ein Typus? War er der stille Mitläufertyp? War er ein aktiver Nazi? War er Parteimitglied, aber im Wesentlichen Architekt? Was hat sich Ihnen für ein Bild von ihm vermittelt?

    Nägelke: Was bekannt ist, ist, dass er früh Parteimitglied war, wie Albert Speer selbst auch, der gleich 1931 in die Partei eingetreten. Er wird mit Sicherheit viel gewusst haben und er hat es in Kauf genommen, um sozusagen Teil zu haben an dieser gewaltigen Planungsaufgabe und Karrierechance.

    Köhler: Herr Nägelke, sie ist ausgestellt in der Galerie des Architekturmuseums. Auf mich wirkt das alles brandneu. Ist das was Neues oder wusste man das alles schon?

    Nägelke: Die Zeichnungen sind so neu nicht, im Gegenteil. Sie sind schon unmittelbar nach dem Krieg in Auszügen in der "deutschen Bauzeitung" veröffentlicht worden, übrigens durchaus in der Absicht, Hans Stephan ein bisschen reinzuwaschen. Das hat sein Kollege Hans Schoszberger lanciert, etwa zu dem Zeitpunkt als Hans Stephan Senatsbaudirektor wurde. Und die Zeichnung gibt es im Original nicht mehr. Die sind nach Stephans Tod 1973 verschollen. Es gibt aber eine Folge von Reprographien und diese Reprographien, die Anfang der 40er Jahre also zeitgenössisch entstanden sind, zeigen wir jetzt.

    Köhler: Sagt Hans-Dieter Nägelke, Leiter des Architekturmuseums Berlin über Zeichnungen von Hans Stephan.