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Nützliche Datensammelwut

Bis ein Medikament für den Markt freigegeben wird, muss es viele aufwendige Testphasen durchlaufen. Ein britisches Projekt sammelt seit vielen Jahren Patientendaten für das Antipsychotikum Clozapint. So soll für jeden Patienten die exakt richtige Dosis gefunden werden.

Von Katrin Zöfel |
    "Clozapin wird bei Schizophrenie eingesetzt, oft bei Patienten, bei denen nichts anderes wirkt. Aber für den Arzt ist es nicht leicht, das Medikament richtig einzusetzen. Es hat ziemlich schwere Nebenwirkungen."

    Lewis Couchman ist Toxikologe am King’s College in London. Sein Spezialgebiet sind psychiatrische Medikamente und die Überwachung ihrer Konzentration im Blut. Seit 15 Jahren sammeln Toxikologen am King’s College Patientendaten zu Clozapin – 200.000 Proben sind inzwischen in einer Datenbank gespeichert. Ärzte aus ganz Großbritannien und Nordirland können – wenn sie wollen –, Blutproben ihrer Patienten nach London schicken.

    "Indem wir den Blutspiegel messen, können wir den Ärzten wertvolle Hinweise geben. Wir sprechen die Ergebnisse ausführlich am Telefon mit den Ärzten durch. Sie berichten, wie sie die Wirkung des Medikaments wahrnehmen. Das bringen wir dann zusammen mit dem, was wir im Blut messen. Das ist sehr nützlich."

    Denn jeder Arzt, der ein Medikament verordnet, hat folgendes Problem: Jeder Patient verarbeitet den Wirkstoff anders. Und am Ende kommt es nicht auf die verordnete Dosis an, sondern darauf, wieviel davon ins Blut gelangt, also auf den Blutspiegel. Im Fall von Clozapin kann bei gleicher Dosis beim einen Patienten dieser 20mal so hoch ausfallen wie bei einem anderen.

    Das kommt bei vielen Medikamenten vor, bei Clozapin aber ist es heikel: bei zuviel davon im Blut leidet das Immunsystem des Patienten, genauer gesagt sinkt die Zahl der weißen Blutkörperchen stark ab.

    "Das ist ziemlich gefährlich, das Medikament muss sofort abgesetzt werden."

    Für den Patienten heißt das: Er verliert den Schutz gegen neue psychotische Schübe. In fast allen Ländern, wo Clozapin zugelassen ist, muss jeder Patient, der das Mittel bekommt, regelmäßig zur Blutkontrolle, wichtige Blutparameter werden so überwacht. Die Hoffnung: Wenn es zu Komplikationen kommt, kann man so noch rechtzeitig reagieren. Der Blutspiegel des Medikaments, also seine wirksame Konzentration, wird dabei aber nicht erfasst.

    Christoph Hiemke ist Toxikologe und leitet das neurochemische Labor am Universitätsklinikum in Mainz. Er setzt sich dafür ein, dass in Deutschland so wie am King’s College auf breiter Basis Blutspiegeldaten erfasst, gesammelt und ausgewertet werden.

    "Der Wert ist, dass man sich anschauen kann: Wie werden denn die Patienten unter Alltagsbedingungen behandelt? Patienten im klinischen Alltag sehen häufig ganz anders aus als die in den Studien. Da sehen wir: was wird kombiniert, wie wird kombiniert, wie verändern sich die Blutspiegel und das ist ganz wichtig."

    In Deutschland werden zwar Blutspiegel verschiedener Antipsychotika gemessen, aber meist erst wenn es zu Unregelmäßigkeiten kommt. Außerdem werden die Daten nicht zusammengeführt. Christoph Hiemke meint, gerade bei Medikamenten wie Clozapin wären Kontrolldaten auch für den Arzt hilfreich:

    "Bei der Schmerztablette, da sagt der Patient: ‘Ja es wirkt!’. Bei einem Medikament wie dem Clozapin, da ist es so: Der Patient bekommt das Medikament und eine klinisch relevante Wirkung, die der Arzt dann auch feststellen kann, die tritt ein mit einer Verzögerung von, sagen wir, 14 Tagen, manchmal kann es auch länger dauern."
    Wenn man dagegen die Medikamentenspiegel im Blut von Anfang an messen würde, wüsste man viel schneller, ob ein Patient richtig eingestellt ist oder nicht. Auch deshalb findet Christoph Hiemke die Londoner Datenbank sinnvoll und würde das Konzept gerne auf Deutschland übertragen, allerdings erweitert um einige Parameter, die in London nicht erfasst werden, etwa genauere Beschreibungen, wie die Medikamente wirken. Deutlich häufiger als bisher üblich, findet er, sollte die ärztliche Praxis per Blutspiegel begleitet werden – die Ergebnisse aus solchen Studien könnten wiederum die Wissenschaft weiterbringen.