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Nützlinge und Schädlinge
Erstaunliche neue Erkenntnisse über die Pflanzen-Evolution

Nützlinge und Schädlinge haben einen entscheidenden Einfluss auf die Evolution von Pflanzen. Zu diesem Ergebnis sind Biologen der Universität Zürich gelangt. Um dies herauszufinden, haben sie ein bisher einzigartiges Experiment durchgeführt.

Von Lucian Haas | 12.04.2019
Eine Honigbiene sitzt auf einer Blumenwiese auf der Blüte einer Kornblume.
Eine Biene sitzt auf einer Kornblume (imago / McPHOTO / Andreas Volz)
Bienen fliegen auf Blüten. Vor allem auf jene, die für sie besonders attraktiv erscheinen, und deren Pollen sie dann weiter transportieren, um andere Blüten damit zu bestäuben. Damit haben sie auch Einfluss auf die Evolution der Blüten dieser Pflanzen.
"Zum Beispiel Sachen wie Blütenfarbe oder Blütenduft, Blütengröße, Anzahl der Pollenkörner und Menge des Nektars, solche Eigenschaften werden sehr stark von der Bestäubung geformt."
Der Biologe Florian Schiestl von der Universität Zürich erforscht seit Jahren den Einfluss von Insekten auf die Evolution der Pflanzen. Neben den hilfreichen Bestäubern können das auch Fraßschädlinge sein.
"Schädlinge spielen im Allgemeinen eine sehr große Rolle auf die Verteidigungseinrichtungen der Pflanzen. Also zum Beispiel haben sehr viele Pflanzen bestimmte Giftstoffe, die man in aller Regel so interpretiert, dass sie Anpassungen sind gegen Fressfeinde."
Was aber passiert in der Natur, wenn dort üblicherweise Bestäuber und Schädlinge gleichzeitig auf die Pflanzen einwirken? Gibt es dabei übergreifende Effekte? Florian Schiestl und sein Doktorand Sergio Ramos haben das in einem bisher einzigartigen Experiment untersucht. Sie ließen schnell wachsende Pflanzen der Art Brassica rapa – auch als Rübsen bekannt – in Gewächshäusern wachsen, und das über mehrere Generationen hinweg. Dabei wurden die Pflanzen in vier Gruppen aufgeteilt und dann jeweils mal von Hummeln, mal von Hand bestäubt, mal mit Raupen besetzt, mal schädlingsfrei gehalten. Nach nur sechs Generationen zeigte sich schon eine deutlich gerichtete Evolution.
Ein Maispflanze vom Heerwurm befallener Maiskolben.
Um sich gegen Schädlinge zu wehren, nutzen Pflanzen nicht nur Gift, sie haben auch eine Technik entwickelt, sich selbst zu bestäuben (picture alliance/CABI/dpa)
Präsenz von Fraßfeinden führt zu mehr Selbstbestäubung
Pflanzen, die nur in Kontakt mit Hummeln kamen, also ohne Schädlinge, besaßen am Ende größere, stärker duftende, attraktivere Blüten. Kamen Fraßinsekten ins Spiel, zeigte sich allerdings ein anderes Bild:
"Wir haben gefunden, dass die Präsenz von Fraßinsekten die Ausbildung von Selbstbestäubung stark fördert."
Das heißt: Die Blüten veränderten ihren Aufbau derart, dass der eigene Pollen leichter auf dem Pollenempfangsorgan, der sogenannten Narbe, landen konnte. Die Pflanzen waren damit weniger auf Insekten als Bestäuber angewiesen. Die Hummeln flogen allerdings die Blüten auch weniger an, weil die Abwehrstoffe der Pflanzen gegen die Raupen sie ebenso abschrecken. Dass die Schädlinge die Evolution der Blüten derart stark beeinflussen würden, war für die Forscher überraschend.
"Die Fraßinsekten haben in unserem Experiment nur an den Blättern gefressen. Die waren nie an den Blüten. Trotzdem haben sie so massive Auswirkungen auf Blütenmerkmale und auf das Paarungssystem.
Es sind mehr Experimente nötig
Für Florian Schiestl steht nach diesem Versuch fest: Man müsste noch viel mehr solcher Experimente machen, bei denen man die Evolution von Pflanzen unter dem Einfluss verschiedener Faktoren gleichzeitig beobachtet, um die auftretenden Wechselwirkungen zu verstehen und auch voraussagen zu können.
"Wir müssen uns bewusst werden, dass Pflanzen oder zumindest manche Pflanzen die Fähigkeit haben, sich an Umweltbedingungen sehr rasch anzupassen. Ich denke, diese Anpassungsprozesse werden noch zu wenig in Betracht gezogen. Und weil wir eben unsere Umwelt so stark verändern. Das fängt beim Klimawandel an, und es fängt damit an, dass die Landwirtschaft einen sehr starken Einfluss ausübt auf diverse Ökosysteme. Man weiß, dass die Insekten immer seltener werden bei uns. Das ist ein sehr trauriges Kapitel.
Das heißt, Ökosysteme ändern sich, und wir wissen gar nicht viel darüber. Noch weniger wissen wir darüber, wie sich diese Veränderungen auf die Evolution von Pflanzen auswirken."