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Nur das Algenpilz-Rätsel blieb ungelöst

Der in Berlin geborene Max Delbrück hat Deutschland früh verlassen und wurde in den USA eingebürgert. Aber die Wissenschaft, vor allem die Genetik in Deutschland steht heute noch in der Tradition Delbrücks.

Von Martin Winkelheide | 09.03.2011
    Es war eine kleine Sensation, als 1969 erstmals ein Physiker den Nobelpreis für Medizin erhielt. Max Delbrück nahm es gelassen und spendete das gesamte Preisgeld an "Amnesty International".

    "Die ganze Sache mit dem Nobelpreis ist ja so eine ulkige Angelegenheit. Plötzlich über Nacht wird man zum Fernsehstar. Wie kommt man dazu? Man kommt dazu wie die Jungfrau zum Kinde. Man weiß nicht wie."

    Das Nobelpreiskomitee indes fand, dass Delbrück mit seiner Forschung eine neue Wissenschaftsdisziplin mit begründet hatte, die moderne Molekular-Biologie.
    Max Delbrück wurde am 4. März 1904 in Berlin geboren. Er war Urenkel von Justus Liebig und Sohn des bekannten Historikers Hans Delbrück, der die "Preußischen Jahrbücher" herausgab. Delbrück studierte in Berlin, Bonn und Göttingen. Zunächst Astronomie.

    "Ich wollte ein Gebiet haben, was mich am allermeisten absetzte von anderen Mitgliedern der Familie. Ich komme aus einer sehr persönlichkeitsreichen Familie. Ich war der Allerjüngste, und niemand anderes wusste etwas von Naturwissenschaften und noch weniger von Astronomie."

    Bald aber wandte sich Delbrück der Physik zu. 1930 promovierte er bei Max Born in theoretischer Physik. 1931 ging er als Rockefeller-Stipendiat nach Kopenhagen zum Atomphysiker Niels Bohr. Bohr war überzeugt: So, wie durch die Quantenphysik eine ganz neue Physik entstanden war, stehe jetzt in der Biologie der Durchbruch bevor. Max Delbrück ließ sich von diesem Optimismus anstecken.
    "Mitte der 30er-Jahre, da interessierten sich die theoretischen Physiker, besonders Bohr, für das Rätsel des Lebens. Schließlich ist es eine merkwürdige Sache, dass Menschen erzeugen Menschen, Katzen erzeugen Katzen, und Mais erzeugt Mais. Das scheint nicht in der Physik und Chemie drin zu sein. Atome machen nicht gleiche Atome."

    In Berlin organisierte Max Delbrück Treffen mit Gleichgesinnten, um mehr über die Natur des Gens herauszufinden - mit Hilfe der Physik. Ernst Peter Fischer, einer der letzten Doktoranden von Delbrück, ist heute Wissenschaftshistoriker an der Universität Konstanz:

    "Dabei sind die auf die Idee gekommen oder haben den Mut gehabt zu sagen, dass Gene aus Atomen bestehen. Das klingt heute banal. Aber wie alle großen Entdeckungen muss sie irgendwer irgendwann gemacht haben. Und Delbrück hatte den Mut, das Gen als Atomverband zu definieren, und das ist es eben."

    1937 kehrte Delbrück Deutschland den Rücken und ging in die USA ins kalifornische Pasadena. Hier forschte er mit sogenannten Phagen. Das sind winzig kleine Viren, die Bakterien befallen und auflösen. Die Phagen-Experimente brachten Delbrück später den Nobelpreis ein. Ernst Peter Fischer:

    "So etwa um 1939 hat er in einer großen Arbeit über das Wachstum der Bacteriophagen, also das Wachstum der bakteriellen Viren, zeigen können, wie viele Viren durch eine ganz bestimmte Infektion entstehen. Und von dem Moment an war die Biologie eine exakte Wissenschaft."

    Das "Geheimnis des Lebens" aber entdeckte Delbrück nicht. Und als James Watson und Francis Crick 1953 die Struktur des Erbmoleküls DNA vorstellten, war Delbrück enttäuscht. Das Erbmolekül als endlose Abfolge von nur vier Bausteinen, zusammengebaut zu einer doppelt verdrillten Strickleiter, der Doppelhelix - das erschien ihm als zu simpel. Fischer:

    "Es war ja ein Modell des Gens gefunden, das sozusagen ohne Komplikationen nur durch ein bisschen raffiniertes mechanisches Denken so wie eine Art großes Puzzle die Gesetzmäßigkeiten des Lebendigen erklärt. Und das fand Delbrück langweilig."

    Die genetische Forschung überließ er nun anderen. Aber er half, die neue Genetik als Fach zu etablieren. Max Delbrück, seit 1947 Staatsbürger der USA, kehrte 1961 für zwei Jahre nach Deutschland zurück, gründete in Köln das Institut für Molekulargenetik und beriet die Universität Konstanz beim Aufbau ihrer Naturwissenschaftlichen Fakultät.

    Als Forscher interessierte sich Delbrück jetzt für Fragen der Wahrnehmung. Er wollte wissen, wie ein einfacher Algenpilz es schafft, ein Hindernis zu registrieren und an ihm vorbei zu wachsen - ohne es zu berühren. Delbrück:

    "Und wie er das macht, das ist in den entscheidenden Punkten immer noch ein Rätsel."

    Max Delbrück starb am 9. März 1981 mit 75 Jahren - ohne das Algenpilz-Rätsel gelöst zu haben.