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Nur der Anfang

Schon als die große Koalition die Regierungsgeschäfte noch gar nicht übernommen hatte, ließ sie sich feiern - für die Föderalismusreform. Von der "Mutter aller Reformen" sprach der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Doch genau betrachtet ist das Gesetzeswerk erst der Anfang auf dem Weg zu einer grundlegenden Neuordnung der Bundesrepublik.

Von Jacqueline Boysen | 09.03.2006
    "Verstehe echt nicht...

    Oh, was genau ist das?

    Fö-de-ra-lismus-Reform? Keine Ahnung, weiß ich jetzt nicht.

    Ne.

    Ne, danke schön.

    Was ist das? Ich weiß nicht, was das ist.

    Oh Gott, weiß ich leider gar nichts drüber.

    Ja, selbstverständlich. Das ist die Reform der Strukturen zwischen Bund und den einzelnen Bundesländer."

    Außerhalb des Dunstkreises der Politik finden sich wenige, die ein genaues Bild zeichnen könnten von der vermeintlichen Jahrhundert-Reform. Doch nichts erregt die Volksvertreter derzeit mehr als eben diese geplanten Eingriffe in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesregierung rühmt sich ungerührt, sie werde die bundesstaatliche Ordnung in Deutschland umfassend erneuern – nach Ansicht der Kanzlerin einzig zum Wohl der Bürger des Landes:

    ""Ich glaube, dass für die Entscheidungsschnelligkeit, die heute im 21. Jahrhundert von großer Bedeutung ist, diese Föderalismusreform außerordentliche Wichtigkeit besitzt und auch für die Bürgerfreundlichkeit, denn die Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland werden in Zukunft wieder besser sagen können, wer für welche politische Entscheidung Verantwortung trägt und zwar voll, und genau dies ist auch ein Anliegen dieser Föderalismusreform."

    Lange bevor Angela Merkels Kanzlerschaft abzusehen war, im Oktober 2003, hatte der Bundestag beschlossen, das Grundgesetz, seit 1949 Garant für Stabilität im Lande, zu modernisieren. Unmittelbar nach der Wiedervereinigung war der Versuch, die Verfassung zu ändern, in den Kinderschuhen stecken geblieben. Nun sollte in einem neuen Anlauf eine eigens einberufene Kommission unter Edmund Stoiber und Franz Müntefering konkrete Vorschläge für eine zeitgemäße neue Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern erarbeiten. Müntefering, heute Vizekanzler und Bundesarbeitsminister, damals Fraktionschef der SPD:

    "Unsere Verfassung ist eine Erfolgsstory, aber sie muss weiter vorangebracht werden, sie muss der Neuzeit genügen und mithelfen, die Verkrustungen aufzubrechen, die es gibt, an manchen Stellen."

    Das hehre Vorhaben scheiterte in der vergangenen Legislaturperiode: Die rot-grüne Bundesregierung und der CDU-dominierte Bundesrat kamen nicht überein, wie die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern künftig verteilt werden sollten – als unüberbrückbar wurden Meinungsverschiedenheiten in der Bildungspolitik vorgeschoben. Es wird eher um das Prestige der handelnden Personen, Parteien und Länder sowie des Bundes gegangen sein. Pressekonferenz des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder mit den Hauptakteuren Müntefering und Stoiber:

    Schröder: "Mich interessieren in diesem Zusammenhang nicht Kompetenzen, mich interessiert, was passiert. Ich glaube, wir brauchen einen neuen Anlauf in dieser Frage und die Kommission, die Sie, Herr Ministerpräsident, und Herr Müntefering geleitet haben, hat gute Ergebnisse vorzuweisen. 85, 90 Prozent waren konsensfähig. Ich frage mich, warum setzen wir die nicht wenigstens um, aber bitteschön. Ich sag das für die Bundesregierung, ich werde jeden Vorschlag, auch in dem schwierigen Gebiet, unterstützen, auf den Sie sich mit Ihrem Co-Vorsitzenden einigen, Sie können sicher sein, wir beide setzen das auch durch, ob Sie es hinkriegen bei Ihrem anderen Kollegen Ministerpräsidenten, ist eine andere Frage."

    Nach der unvorhergesehenen Bundestagswahl im vergangenen Jahr haben CDU/CSU und SPD das schnöde gescheiterte Projekt wiederbelebt: Die große Koalition erklärte die Föderalismusreform zu einer ihrer vordringlichsten Aufgaben und übernahm die fertigen Vorschläge der Kommission geringfügig modifiziert in den Anhang ihrer Koalitionsvereinbarung – nicht zuletzt als Beleg dafür, dass beide Seiten sich ernsthaft auf die schwierige Zusammenarbeit am Kabinettstisch einlassen wollten.

    Merkel: "An einer Stelle ist der Knoten im Grunde schon durchgeschlagen worden, bevor noch die große Koalition ihre Arbeit aufgenommen hat, das muss jetzt allerdings umgesetzt werden, das ist die Föderalismusreform."

    Ihr Ziel: Die Beziehungen zwischen Bund und Ländern sollen entflochten werden. Die beiden Ebenen sollen jeweils für bestimmte Themen verantwortlich sein und autonom entscheiden dürfen, so der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, CSU:

    "Insgesamt ist es ein wuchtiger Schritt in die Richtung mehr Reform. Ich habe ja gesagt, diese Föderalismusreform ist ja in erster Linie eine Staatsreform, und sie wird dazu führen, dass Deutschland insgesamt schneller und beweglicher entscheiden kann, weil jetzt über 60 Prozent der Gesetze, die der Bund erlassen will, nicht mehr der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, und dass zum anderen in wichtige Disziplinen die Länder künftig die alleinige Gesetzgebungszuständigkeit haben, ich denke vor allen Dingen an das 'öffentliche Dienstrecht', aber auch an das Heimgesetz, das Pressewesen und viele andere Dinge, die den Landtagen jetzt wieder eine ganz andere Entscheidungskompetenz zuweisen werden, als sie das bisher hatten."

    Als zweiter Urvater der Reform verbirgt er seinen Stolz über die 40 vorgeschlagenen Grundgesetzänderungen nicht:

    "Diese Föderalismusreform ist ja die Mutter aller Reformen, jetzt lässt sich auf Grund dieser Reformbereitschaft der großen Koalition aufbauen für weitere große Reformen."

    Soweit aber ist es noch lange nicht. Denn schon bevor Bundestag und Bundesrat sich morgen dem so genannten Reformpaket zuwenden, hagelt es Kritik – sachlicher und inhaltlicher Natur, vor allem aber am Verfahren. Denn angesichts divergierender Interessen der Länder untereinander, eines zudem schwierigen Interessenausgleichs zwischen Bund und Ländern und – nicht zuletzt – zwischen den Parteien, hatte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, SPD, den Kompromiss kurzerhand für sakrosankt erklärt

    "Ich hab großes Verständnis dafür, dass Abgeordnete oder Ministerpräsidenten sagen, wozu bin ich noch da, wenn ich eigentlich nur ein Gesamtpaket abstimmen kann, ich möchte Änderungen haben. Hier ist eine komplizierte Gemengelage. Wir brauchen zweimal eine Zwei-Drittel-Mehrheit sowohl im Deutschen Bundestag wie im Bundesrat. Wer an einer Stelle etwas rauszieht, der wird das ganze Ding zum Einsturz bringen. Das wollen wir nicht. Es ist ein großes Reformwerk, hier muss sich die große Koalition auch bewähren, wozu hat sie die großen Mehrheiten, wenn sie nicht große Dinge in Bewegung bringt. Deshalb glaube ich, dass jeder sich das gut überlegen wird, anwägen, die Einzelinteressen zurückstellen, um ein großes Ganzes zu erreichen."

    Ein zweifelhafter Appell wider demokratische Gepflogenheiten – so der Verwaltungsrechtler Christian Pestalozza von der Freien Universität Berlin:

    "Das Normale an einem Paket ist, dass es geöffnet wird und man auspackt. Das können kleine Einzelteile sein, das eine findet man gut, das andere schlecht. In dem Sinne ist es gerade kein Paket, sondern man möchte es als Monolith betrachten, in dieser Form soll die Reform durchgehen, und es sollte nichts einzelnes herausgeschnippelt werden, weil es ein Kompromissvorschlag ist. Also das Wort ist verfehlt, der Hinweis, das ist nicht diskutierbar, das versteh ich, weil man glaubt, man ist bis an die Grenzen der Kompromissfähigkeit gegangen. Man sollte bei all dem nicht vergessen, dass das Parlament beansprucht, souverän zu entscheiden mit Zwei-Drittel-Mehrheit, und dass die Abgeordneten unabhängig sind, und man sollte bei ihnen nicht den Eindruck erwecken, sie hätten nun nichts mehr zu sagen."

    Doch gemahnt auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, CDU, an die politische, die parteipolitische Vernunft:

    "Das tut unserem Staat, unserem föderalen Aufbau gut. Wir hatten in den letzten Jahren durch die großen Verschränkungen viele Zustände, in denen die Verantwortung nicht mehr klar identifizierbar war, insofern ist der Beginn des Verfahrens zur Änderung des Grundgesetzes wie des Gesetzgebungsverfahrens, die jetzt am Freitag im Bundestag und im Bundesrat beginnt, ein großer Fortschritt für die politische Kultur in unserem Land."

    Auf die verbrieften Rechte des Parlaments pocht namens der Opposition Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion vom Bündnis90/Die Grünen. Anhörungen zu Details der Reform wären in den Fachausschüssen des Bundestages zu diskutieren, Debatten aber fürchte die große Koalition wie der Teufel das Weihwasser:

    "Es ist vielleicht ein politischer Kompromiss zwischen Bund und Ländern, zwischen CDU und SPD, aber es ist ein Kompromiss zu Lasten der Bürger. Dass die große Koalition Angst hat, dass man über diese Fragen mit den Fachleuten diskutiert, sieht man daran, das sieht man daran, dass sie in einem Staatsstreich quasi im Bundestag die Vorlagen, die wir bereits überwiesen haben, wieder zurückholen will, weil ansonsten ruchbar werden wird, dass es zu einem riesigen Wirrwarr führen wird, was da auf dem Tisch liegt. Es ist ein klassischer Kompromiss der politischen Klasse, der an den Bedürfnissen des Landes und an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger dramatisch vorbeigeht."
    Dass der derzeit diskutierte Kompromiss zunächst einmal die Interessen der Parlamentarier berührt, wird kaum jemand besser wissen als Peter Struck, Fraktionsvorsitzender der SPD. Vor allem unter den Abgeordneten seiner Fraktion tobt Widerstand gegen das Reformpaket. Struck demonstriert Gelassenheit:

    "Föderalismusreform, das ist uns sehr wichtig. Wir hoffen, dass wir das parlamentarische Verfahren sehr ausführlich darstellen und auch die Bedenken, die vorgetragen werden, berücksichtigen können."

    Auch der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder, soll seinerseits angedeutet haben, "radikale Fehler" in den mehr als 120-seitigen Drucksachen des Parlaments würden korrigiert. Doch werden die Protagonisten der Reform offenkundig nicht zulassen, dass Kritiker ihr Werk grundlegend umstricken. Und also wird eine zentrale Idee des Grundgesetzes künftig aufgegeben: Der eherne altbundesrepublikanische Grundsatz "Bundesrecht bricht Landesrecht". Denn bei Rechtsfragen, für die künftig eigentlich der Bund zuständig sein soll, erhalten die Länder ein Abweichungsrecht – problematisch, befindet der Staatsrechtler Pestalozza, folgenschwer, findet der Bündnisgrüne Beck, seinerseits Jurist.

    "Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, wird die Mutter allen Murkses. Es ist superkompliziert, wirtschafts- und bürgerfeindlich. Wir werden in vielen Bereichen durch die Abweichungsrechtregelungen zersplittertes Recht haben, wir haben dann in einigen Ländern Bundes-, in anderen wird abgewichen, Landesrecht, und wenn der geneigte Bürger oder das Unternehmen ins Gesetz schaut, dann weiß es beim Bundesrecht nicht, ob das überhaupt ein geltendes Recht ist, das wird die Leute verrückt machen."

    Die Reform deformiere die gesamtstaatliche Rechtsordnung, künftig leben wir mit einem Flickenteppich von sechzehn einzelnen Rechtssystemchen – so ein Grundtenor der Kritik. Der Jurist Christian Lange, SPD-Bundestagsabgeordneter, ist einer der Wortführer der sich selbst als Netzwerker bezeichnenden Jungintellektuellen der SPD. Die Überantwortung des Dienstrechts für Staatsdiener in die Hände der Länder dient ihm als Beispiel für die drohende Kleinstaaterei.

    "Ich komme aus Baden-Württemberg, da sehen Sie das. Wir öffnen die Tür zu einer eigenständigen Entwicklung der Hochschulen, des Laufbahnrechts, das bedeutet, in Zukunft wird es in Deutschland möglich sein, Eliteuniversitäten mit besser bezahlten öffentlich-rechtlichen Professoren auszustatten, darauf werden dann hoffentlich bessere Absolventen kommen, die wir dann auch wieder, weil wir mehr Geld haben, kaufen können. Das ist das Ende einer solidarischen Bildungsentwicklung in Deutschland, das Ende auch eines vergleichbaren öffentlichen Dienstes in Deutschland, das glaube ich, ist das Ende eines solidarischen Bundesstaates, das kann niemand wollen."

    Die Ministerpräsidenten der Länder dagegen sind froh, dass sie für ihr Personal in Zukunft selbst verantwortlich sein sollen. Da Personalkosten etwa 40 Prozent ihrer Ausgaben ausmachen, sei es mehr als plausibel, dass sie auch über das Dienstrecht entscheiden können, so ihre Argumentation. Wirtschaftliche Gründe würden auch dafür sprechen, das Umweltrecht in ihre Hände zu legen. Das sehen neben dem Sachverständigenrat für ökologische Fragen auch die Umweltverbände ganz anders. Olaf Tschimpke, Präsident des NABU:

    "Wir wollten ein einheitliches Umweltgesetzbuch schaffen, das ist faktisch mit dieser Regelung nicht möglich. Bisher gab es auch 16 Naturschutz- und 16 Wassergesetze, aber es gab wenigstens ein Rahmengesetz, was gewisse Bereiche geregelt hat. Dieses Rahmengesetz wird ja an dieser Stelle aufgehoben, und das wird zu ziemlich chaotischen Rechtsverhältnissen und zu ständigen Streitereien zwischen Bund und Ländern führen. Es gibt ja viele Bereiche, gerade bei Umsetzung im Naturschutzrecht, Nationalparks ausweisen, Schutzgebiete ausweisen, da haben die Länder doch Handlungsmöglichkeiten, hatten sie bisher übrigens auch schon, aber das muss nach einheitlichem Recht in Deutschland geschehen, weil wir sonst einmal das EU-Recht nicht vernünftig umsetzen können, und zum zweiten, um auch den Investoren in Deutschland Rechtssicherheit zu geben. Die müssen doch nach gleichen Regeln in Mecklenburg-Vorpommern wie in Bayern investieren können."

    Die Umweltverbände befürchten, dass das Bundesverfassungsgericht demnächst damit belastet wird, die bereits absehbaren Konflikte zu lösen. Kaum ein Feld der Reform aber kritisieren Verbände, Initiativen und Gewerkschaften so vehement wie die Rückkehr zu den Prinzipien des Föderalismus in der Hochschul- und Bildungspolitik: Die Länder würden hier ihren Egoismus in besonderer Weise ausleben, die ohnehin ausgeprägten regionalen Unterschiede würden sich verstärken – und unter all dem litten schließlich die Schüler, so der Tenor der Kritik. Der Bund wird sich nach einer Übergangsfrist aus den Bildungsbelangen grundsätzlich herausziehen. Laufende Projekte werden zu Ende gebracht – beispielsweise die von der vormaligen sozialdemokratischen Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn öffentlichkeitswirksam initiierte Förderung der Ganztagsschulen. Künftig dann obliegen Bildungsbelange also den Ländern. Und die bisher vermittelnd tätige Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung wird aufgelöst – zum Schaden aller, so Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, denn nun müsse ein Gremium wie die Kultusministerkonferenz Entscheidungen treffen

    "Die Kultusministerkonferenz hat kürzlich erst erklärt, dass sie mit dem Geld, was sie jetzt vom Bund zusätzlich erhalten wird, keine Modellprojekte mehr in der Zukunft fördern wird, das heißt, wir müssen davon ausgehen, dass zum Beispiel solche hervorragenden Modellprojekte, die sich zum Beispiel mit Kultur im Medienzeitalter und ähnlichem beschäftigt haben, in der Zukunft nicht mehr werden stattfinden können."

    An ganz anderer Stelle setzt indes die Kritik der Deutschen Bischofskonferenz an. Karl Kardinal Lehmann erkennt keinen Sinn darin, dass die Länder den Strafvollzug selbst verantworten:

    "Wir haben doch Sorge, dass es eine Absenkung der Standards gibt, gerade bei einer Überbelegung auf längere Sicht. Wenn wir schauen, wie die Haushaltsmittel in den Ländern knapper werden oder auch verschiedene Vorstellungen über die Notwendigkeit des Strafvollzugs gegeben sind, das wandelt sich ja auch, was habe ich da schon erlebt an unterschiedlichen Vorstellungen, dann wird es wichtiger, dass ein gemeinsames Niveau erhalten werden kann, das alle Länder verbindet."

    Die Angleichung der Lebensverhältnisse aller Bürger in Nord und Süd, Ost und West als übergeordnete gesamtstaatliche Aufgabe sieht dagegen Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, SPD, bedroht:

    "Nehmen Sie als Beispiel: Bei dem so genannten Wettbewerb um Eliteuniversitäten war keine ostdeutsche Universität dabei, das ist nicht verwunderlich nach der Vorgeschichte. Wenn diese Verfassungsänderung jetzt Wirklichkeit wird, wird die Benachteiligung der schwächeren Länder, zum Beispiel der ostdeutschen Länder auf die Ewigkeit hin versteinert. Das kann ich nicht für gut halten."

    Der Kulturrat hat noch einen weiteren Streitpunkt ausgemacht: dass die Länder in der Schul-, Kultur- und Medienpolitik ihre Interessen gegenüber den Institutionen der Europäischen Union selbst vertreten dürfen, das echauffiert Olaf Zimmermann:

    "Können die Länder das überhaupt? Oder muss das nicht auch gerade in einem subsidiären Staat Aufgabe des Gesamtstaates, also des Bundes sein, dass unsere nationalen Vorstellungen sehr klar und sehr deutlich in Europa vertreten werden. Das, glaube ich, können die Länder gerade nicht, weil sie einen so großen Abstimmungsbedarf untereinander haben werden, dass sie überhaupt nicht rechtzeitig sich einbringen können, geschweige denn, sind sie für diesen Bereich qualifiziert."

    Staatsrechtler Christian Pestalozza indes wirft grundsätzlichere Fragen auf. Er moniert beispielsweise, dass die Koalition die erste Etappe der Reform beschreiten will, ohne die Grenzen zwischen den Bundesländern neu abzustecken – von der überfälligen Neuordnung der Finanzverfassung ganz zu schweigen.

    "Es ist was Kleines, und die Kompromisse, die da gefunden wurden, bis auf zwei, drei mehr juristische, verfassungsrechtliche Punkte sind, denke ich, völlig akzeptabel. Es sollte nicht vergessen lassen, dass es größere Aufgaben gibt wie etwa die wirtschaftlichen Fragen, die uns bewegen und bedrücken, aber das heißt nicht, dass nicht so eine kleinere Reform auch betrieben werden sollte, man sollte sie nur nicht ausgeben für was ganz Großes."

    Euphorie über die "Mutter der Reformen" wäre also übertrieben. Das Jahrhundertwerk, über das dann selbst außerhalb des Regierungsviertels geredet wird, das steht noch aus.